Die Stimme des Gemordeten von Erich Mühsam

Gruß aus dem Grab euch, meinen Mördern!
Ich zürn euch nicht ob euer Tat.
Ein jeder sucht das Recht zu fördern,
das er für recht befunden hat.
Ihr glaubt an eurer Ahnen Lehre:
Ich bin der Herr und du der Knecht!
Herr sein erachtet ihr als Ehre
und Ehre als ein Sonderrecht.
Ich aber hielt es mit den Niedern.
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Ich sprach dem Volke mahnend zu,
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dem Ahnenenkel zu erwidern:
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Ich bin kein Knecht, kein Herr bist du!
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So kränkt ich euch an eurem Stolze
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und nahm dem Volk den Kinderwahn,
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als wärt ihr von besonderm Holze,
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als wär die Welt euch untertan.
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Ich kränkte euch. Ihr nahmt die Rache,
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und alle sind wir überzeugt,
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zu dienen der gerechten Sache,
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der sich der Mensch in Demut beugt.
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Mag denn mein Opferblut entscheiden,
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ob euer Recht, ob meines siegt,
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und ob des Volks, ob euer Leiden
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im Weltenratschluß schwerer wiegt.
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Fiel mit dem Ballast meines Lebens
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des Volks Befreiung über Bord,
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dann war mein Werk von je vergebens, –
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und sehr gerecht war euer Mord.
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Entquillt jedoch aus meinem Blute
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die nicht von euch gewollte Saat,
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dann preis ich jubelnd die Minute,
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die euch die Kraft verlieh zur Tat.
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Dann ward der Freiheit zum Erwecker
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der Arm der tötenden Gewalt,
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dann machtet ihr mich zum Vollstrecker
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des Willens, dem mein Leben galt.
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Dann wird mein Sterben euer Ende
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und euer Tod mein Anfang sein,
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dann springt zum Fest der Weltenwende
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mein Geist für meinen Körper ein.
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Dann wird es endlich sich erweisen,
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wer sich und wer die Welt befreit:
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Gemeinschaft oder Macht und Eisen!
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Hie Zukunft, hie Vergangenheit! –
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Der Tod, den ich erlitten habe,
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stählt meine Manen zum Gefecht.
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Gruß euch, ihr Mörder, aus dem Grabe!
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Zum Kampf! und wer gewinnt, hat recht!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.1 KB)

Details zum Gedicht „Die Stimme des Gemordeten“

Anzahl Strophen
1
Anzahl Verse
48
Anzahl Wörter
290
Entstehungsjahr
1920
Epoche
Expressionismus

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht wurde von Erich Mühsam geschrieben, einem deutschen Schriftsteller und politischen Aktivisten. Er wurde am 6. April 1878 geboren und am 10. Juli 1934 ermordet. Daher stammt das Gedicht aus der Phase der Weimarer Republik und des frühen Nationalsozialismus in Deutschland.

Mühsams Gedicht „Die Stimme des Gemordeten“ lässt einen zunächst unheimlichen, grabesstillen Eindruck zurück, da es aus der Sicht eines Ermordeten gesprochen wird, der seine Mörder begrüßt und ihnen keine Vorwürfe macht. Mühsam thematisiert in diesem Gedicht den Kampf um Gerechtigkeit sowie die sozialen und politischen Kämpfe seiner Zeit.

In einfacheren Worten ausgedrückt: Das lyrische Ich, vermutlich ein Opfer der politischen Umstände, spricht aus dem Grab heraus zu seinen Mördern. Es gibt keine Rachegefühle, sondern viele Vorschläge zur Reflektion über Recht und Gerechtigkeit, Herrschaft und Knechtschaft, Vergangenheit und Zukunft, Freiheit und Unterdrückung. Letztlich werden die Mörder dazu aufgefordert, den Kampf um Recht und Gerechtigkeit auszutragen, wobei der wahre Sieger das ist, der die Welt befreit.

Formell besteht das Gedicht aus 48 Versen ohne festes Reimschema, was es abstrakt und schwer zu fassen macht. Es handelt sich beim Gedicht um freie Verse, was die ernste und unvorhersehbare Thematik unterstreicht.

Sprachlich betrachtet, benutzt Mühsam eine direkte, harte und fordernde Sprache. Er verwendet militärische und kriegerische Metaphern wie „Kampf“, „Gefecht“, „Vollstrecker“ und „Gewalt“, was auf die turbulenten politischen Umstände seiner Zeit hinweist.

Zusammenfassend fasst Mühsams Gedicht „Die Stimme des Gemordeten“ die politischen und sozialen Kämpfe seiner Zeit zusammen und fordert eine kritische Auseinandersetzung mit Macht, Herrschaft und Gerechtigkeit. Es zeigt einen Wunsch nach Befreiung und Gleichheit, ein Thema, das nach wie vor relevant ist.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Die Stimme des Gemordeten“ des Autors Erich Mühsam. 1878 wurde Mühsam in Berlin geboren. Das Gedicht ist im Jahr 1920 entstanden. Der Erscheinungsort ist München. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text der Epoche Expressionismus zugeordnet werden. Bei dem Schriftsteller Mühsam handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 48 Versen mit nur einer Strophe und umfasst dabei 290 Worte. Erich Mühsam ist auch der Autor für Gedichte wie „Das Beispiel lebt“, „Das Volk der Denker“ und „Das Neue Deutschland“. Zum Autor des Gedichtes „Die Stimme des Gemordeten“ haben wir auf abi-pur.de weitere 57 Gedichte veröffentlicht.

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