Die Stille von Rainer Maria Rilke

Hörst du, Geliebte, ich hebe die Hände –
hörst du: es rauscht …
Welche Gebärde der Einsamen fände
sich nicht von vielen Dingen belauscht?
Hörst du, Geliebte, ich schließe die Lider
und auch das ist Geräusch bis zu dir,
hörst du, Geliebte, ich hebe sie wieder …
… Aber warum bist du nicht hier.
 
Der Abdruck meiner kleinsten Bewegung
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bleibt in der seidenen Stille sichtbar;
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unvernichtbar drückt die geringste Erregung
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in den gespannten Vorhang der Ferne sich ein.
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Auf meinen Athemzügen heben und senken
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die Sterne sich.
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Zu meinen Lippen kommen die Düfte zur Tränke,
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und ich erkenne die Handgelenke
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entfernter Engel.
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Nur die ich denke: Dich
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seh ich nicht.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.3 KB)

Details zum Gedicht „Die Stille“

Anzahl Strophen
2
Anzahl Verse
19
Anzahl Wörter
106
Entstehungsjahr
1906
Epoche
Moderne

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Die Stille“ stammt von Rainer Maria Rilke, einem der bedeutendsten lyrischen Dichter der Moderne, der von 1875 bis 1926 lebte. Sein lyrisches Werk lässt sich in die Epoche des Symbolismus einstufen, einer Kunstrichtung Ende des 19. Jahrhunderts, die auf die Darstellung von inneren Zuständen und die symbolische Verdichtung der Sprache Wert legt.

Beim ersten Lesen des Gedichts fällt die Intimität und Sehnsucht auf, die das lyrische Ich seiner „Geliebten“ gegenüber ausdrückt. Es beschreibt sehr sinnlich und detailreich die vermeintliche Stille, die es umgibt.

Thematisch handelt das Gedicht von Distanz und Nähe, von Sehnsucht und dem Schmerz der Abwesenheit der geliebten Person. Das lyrische Ich spricht zur Geliebten, obwohl diese nicht anwesend ist. Es greift banale, alltägliche Handlungen und Ereignisse auf, wie das Heben der Hände oder das Schließen der Lider, und lädt sie mit einer ständig lauschenden, rauschenden Stille auf. Es sieht sie überall, in den Gedanken und im Alltag, außer in der gewünschten Realität.

Formal besteht das Gedicht aus zwei Strophen mit insgesamt 19 Versen. Die Verse variieren in ihrer Länge, liegen jedoch meist zwischen fünf und zehn Silben. Diese Variation sowie der Mangel an Reimen und einheitlichem Metrum verleihen dem Gedicht eine eher freie, prosaische Struktur, die die Intensität der inhaltlichen Aussage und die stark auf die Innenschau ausgerichteten Gefühle des lyrischen Ichs widerspiegeln.

In der hauptsächlich realistischen und alltagsnahen Sprache des Gedichts findet sich auch symbolische und metaphorische Sprachbilder, die charakteristisch für Rilke sind. Beispiele hierfür sind der „gespannte Vorhang der Ferne“ oder die „Handgelenke entfernter Engel“, die die Distanz und Sehnsucht visuell unterstreichen.

Zusammenfassend thematisiert „Die Stille“ von Rilke also das Fehlen der geliebten Person und die allgegenwärtige Sehnsucht nach ihr. In einer prosaischen Form und mit symbolischer Sprache geht das lyrische Ich auf eine innere Reise, auf der es die Abwesenheit der Geliebten stets begleitet und intensiviert. Der „Lärm“ der Stille wird audrücklich betont und erfüllt das Gedicht mit einer paradoxen Leere-Fülle, die der Leser sowohl hören als auch fühlen kann.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Die Stille“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Rainer Maria Rilke. Rilke wurde im Jahr 1875 in Prag geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1906 zurück. Erschienen ist der Text in Berlin / Leipzig, Stuttgart. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text der Epoche Moderne zugeordnet werden. Der Schriftsteller Rilke ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das 106 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 19 Versen mit insgesamt 2 Strophen. Weitere Werke des Dichters Rainer Maria Rilke sind „Adam“, „Advent“ und „Allerseelen“. Zum Autor des Gedichtes „Die Stille“ haben wir auf abi-pur.de weitere 338 Gedichte veröffentlicht.

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