Die Schwestern des Schicksals von Johann Gottfried Herder

Nenne nicht das Schicksal grausam;
Nenne seinen Schluß nicht Neid:
Sein Gesetz ist ewge Wahrheit,
Seine Güte Götterklarheit,
Seine Macht Nothwendigkeit.
 
Blick’ umher o Freund und siehe,
Sorgsam wie der Weise sieht.
Was vergehen muß, vergehet:
Was bestehen kann, bestehet:
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Was geschehen will, geschieht.
 
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Heiter sind des Schicksals Schwestern,
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Keine blassen Furien:
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Durch der sanftverschlungnen Hände
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Webt ein Faden sonder Ende
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Sich zum Schmuck der Grazien.
 
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Denn seit aus des Vaters Haupte
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Pallas jugendlich entsprang,
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Wirket sie den goldnen Schleier,
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Der mit aller Sterne Feier
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Droben glänzt Aeonenlang.
 
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Und an ihrem Meisterwerke
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Hanget stets der Parzen Blick.
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Weisheit, Macht und Güte weben
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In des Wurms und Engels Leben
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Wahrheit, Harmonie und Glück.
 
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Nenne nicht das Schicksal grausam,
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Nenne seinen Schluß nicht Neid:
28 
Sein Gesetz ist ewge Wahrheit,
29 
Seine Güte Götterklarheit,
30 
Seine Macht Nothwendigkeit.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26 KB)

Details zum Gedicht „Die Schwestern des Schicksals“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
30
Anzahl Wörter
133
Entstehungsjahr
1787
Epoche
Sturm & Drang,
Klassik

Gedicht-Analyse

Das hier zur Diskussion stehende Gedicht ist von Johann Gottfried Herder, einem der bedeutsamsten Vertreter der Weimarer Klassik, die um das Ende des 18. und den Anfang des 19. Jahrhunderts stattfand.

Beim ersten Lesen fällt zunächst auf, dass sich das Gedicht auf relativ abstrakte Konzepte wie das Schicksal, die Notwendigkeit und die Wahrheit konzentriert. Die neutrale und äußerst abstrakte Natur dieser Konzepte könnte darauf hindeuten, dass Herder versucht, seine Leser dazu zu ermutigen, diese Konzepte nicht nach gut und böse, sondern als universelle Wahrheiten zu betrachten, die jedem menschlichen Leben innewohnen.

Inhaltlich fragt das lyrische Ich den Leser anfangs eindringlich, das Schicksal nicht als grausam oder neidisch zu bezeichnen. Es betont, dass das Schicksal durch ewige Wahrheit, klare Güte und Notwendigkeit bestimmt wird. Im folgenden verdeutlicht es, dass alles, was passieren muss, geschehen wird und alles, was bestehen kann, bestehen bleibt. Es stellt das Schicksal und seine Begleiterscheinungen als harmonisch und stimmig dar und ruft den Leser dazu auf, diese Sichtweise zu teilen.

Formell besteht das Gedicht aus sechs Strophen mit jeweils fünf Versen, wobei der erste und der letzte Vers in Form und Inhalt identisch sind. Dies deutet auf eine umarmende Struktur hin, die das Gedicht als Ganzes zusammenhält. Der rhythmische Aufbau und die musikalische Qualität des Gedichts haben den melodischen Fluss eines Liedes.

Sprachlich gesehen verwendet Herder metrische Versmaße und Endreime, um sein Gedicht strukturiert und rhythmisch zu gestalten. Durch den Einsatz von bildhafter Sprache, z. B. in Form der Personifizierung des Schicksals, verleiht Herder dem Schicksal menschliche Eigenschaften, um seinem Publikum das Verständnis zu erleichtern.

Zusammenfassend zeichnet Herder in seinem Gedicht ein Bild des Schicksals, das weder gut noch schlecht ist, sondern durch universelle Gesetze und Wahrheiten bestimmt wird. Seine Botschaft ist nicht, das Schicksal zu fürchten oder zu verabscheuen, sondern es als einen notwendigen Teil des Lebens zu verstehen, den man, ungeachtet seiner Positivität oder Negativität, nicht ablehnen kann.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Die Schwestern des Schicksals“ des Autors Johann Gottfried Herder. Geboren wurde Herder im Jahr 1744 in Mohrungen (Ostpreußen). Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1787. Der Erscheinungsort ist Gotha. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht den Epochen Sturm & Drang oder Klassik zuordnen. Der Schriftsteller Herder ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.

Zwischen den Literaturepochen Empfindsamkeit und Klassik lässt sich in den Jahren zwischen 1765 und 1790 die Strömung Sturm und Drang einordnen. Geniezeit oder zeitgenössische Genieperiode sind häufige Bezeichnungen für diese Literaturepoche. Der Sturm und Drang war die Phase der Rebellion junger deutscher Autoren, die sich gegen die Prinzipien der Aufklärung und das gesellschaftliche System wendeten. Bei den Schriftstellern handelte es sich meist um Autoren jüngeren Alters. Meist waren sie unter 30 Jahre alt. Um die persönlichen Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen, wurde besonders darauf geachtet eine geeignete Sprache zu finden und in den Gedichten einzusetzen. Es wurde eine eigene Jugendsprache und Jugendkultur mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Halbsätzen und Wiederholungen geschaffen. Die traditionellen Werke vorangegangener Epochen wurden geschätzt und dienten weiterhin als Inspiration. Die Epoche des Sturm und Drang endete mit der Hinwendung Schillers und Goethes zur Weimarer Klassik.

Einer der wichtigsten Autoren der deutschen Klassik ist Johann Wolfgang von Goethe (* 28. August 1749 in Frankfurt am Main; † 22. März 1832 in Weimar). Seine Italienreise 1786 wird als Beginn der Weimarer Klassik angesehen. Goethe prägte die Klassik ganz wesentlich. Sein Todesjahr (1832) kennzeichnet gleichzeitig das Ende dieser Epoche. Sowohl die Bezeichnung Klassik als auch die Bezeichnung Weimarer Klassik sind gebräuchlich. Das literarische Zentrum dieser Epoche lag in Weimar. Humanität, Güte, Gerechtigkeit, Toleranz, Gewaltlosigkeit und Harmonie sind die bedeutenden Themen. Die Klassik orientiert sich am antiken Kunstideal. In der Gestaltung wurde das Gesetzmäßige, Wesentliche, Gültige aber auch die Harmonie und der Ausgleich gesucht. Im Gegensatz zum Sturm und Drang, wo die Sprache häufig derb und roh ist, bleibt die Sprache in der Klassik den sich selbst gesetzten Regeln treu. Schiller, Goethe, Wieland und Herder bildeten das „Viergestirn“ der Weimarer Klassik. Es gab natürlich auch noch weitere Autoren, die typische Werke veröffentlichten, doch niemand übertraf die Fülle und die Popularität dieser vier Autoren.

Das 133 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 30 Versen mit insgesamt 6 Strophen. Johann Gottfried Herder ist auch der Autor für Gedichte wie „Das Gesetz der Welten im Menschen“, „Das Glück“ und „Das Kind der Sorge“. Zum Autor des Gedichtes „Die Schwestern des Schicksals“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 413 Gedichte vor.

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