Die Schläferin von Edgar Allan Poe
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Ich steh’ um Mitternacht allein |
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Im mystisch weißen Mondenschein. |
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Dem vollen, goldenen Gestirne |
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Entströmen feuchte Nebeldünste |
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Und fallen auf die blauen Firne |
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Wie silberweiße Lichtgespinnste, |
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Um sich von dort melodisch leise, |
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Und schläfrig langsam, tropfenweise, |
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Wie bunte, schimmernde Juwelen |
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In das entschlafne Thal zu stehlen. |
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Vom Grabe winkt der Rosmarin |
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Zu den verschlafnen Lilien hin; |
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Die wankenden Ruinen raffen |
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Erschauernd um die morschen Glieder |
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Ihr Nebelkleid und sinken nieder, |
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In alle Ewigkeit zu schlafen; |
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Der See dort – Lethe ist nicht stummer |
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Als er in seinem tiefen Schlummer. |
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Es ruht das All. Die Zweige nicken |
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Süß eingewiegt – wo aber liegt |
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Irene mit ihren Geschicken? |
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O wundersame, bleichwangige Dame, |
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Wie unbedacht, dies Fenster bei Nacht |
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So offen den Gästen, die von den Aesten |
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Mutwillig hüpfen, in’s Zimmer schlüpfen, |
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Den Winden, den losen, fürwitzigen Rangen, |
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Die in den Gardinen sich lachend verfangen, |
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Und sie so unbändig und so beständig |
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Zerren und zausen dicht über den langen |
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Seidenen Wimpern auf deinen Wangen, |
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Daß über den Boden weg durch das Fenster |
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Die Schatten fallen wie schwarze Gespenster. |
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O wundersame, bleichwangige Dame, |
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Wo kommst du her? Wohl gar übers Meer? |
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Und sag’ mir, warum nur bist du so stumm? |
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Ist dir wohl bang? Du bist so eigen, |
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Dein Haar ist so lang, so seltsam dein Schweigen! |
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Die Dame schläft. O wär’ so mild |
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Ihr Schlummer, als er lange währt! |
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Der Himmel sei ihr heilger Schild. |
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Mag sie auf ewig ungestört, |
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In einem heiligeren Bette, |
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An melancholischerer Stätte, |
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Wo sich Cypressen leise wiegen, |
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Mit festgeschlossnen Augen liegen! |
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Es schläft mein Lieb. O, daß so mild |
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Ihr Schlummer, als er ewig ist! |
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Daß sich ihr eine Gruft erschließt |
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In einem Walde dicht und wild, |
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Ein tiefes, ruhevolles Grab |
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An einem stillen Ort, fernab – |
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So eine festverschloss’ne Gruft, |
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Aus der sie fürder nichts mehr ruft, |
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Die Reue nicht, die Buße nicht, |
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Bis an das ewige Gericht. – |
Details zum Gedicht „Die Schläferin“
Edgar Allan Poe
3
55
309
nach 1825
Klassik,
Romantik,
Biedermeier
Gedicht-Analyse
Dieses Gedicht ist „Die Schläferin“ von Edgar Allan Poe, einem amerikanischen Schriftsteller, Redakteur und Literaturkritiker des 19. Jahrhunderts, der für seine Romantik und seine Schreibtechniken bekannt ist, die ein Gefühl der Dunkelheit und des Schreckens hervorrufen.
Bei der ersten Lektüre des Gedichts bemerken wir schnell seine düstere und mystische Stimmung. In der ersten Strophe wird eine nächtliche Szene mit hervorgehobenen übernatürlichen und makabren Elementen beschrieben, welche die Leser auf eine Reise in eine geisterhafte und geheimnisvolle Welt mitnehmen. Im zweiten und dritten Teil fokussiert sich die Aufmerksamkeit auf eine mysteriöse „bleiche Dame“, die als „Schläferin“ oder „die Schlafende“ bezeichnet wird, und wir erfahren, dass sie in einem ewigen Schlaf liegt, was auf ihren Tod hinweist.
Die Grundstimmung dieser Komposition entspricht dem typischen Stil von Poe, in dem das Mysteriöse mit der Dunkelheit verknüpft wird, um eine Atmosphäre des Grusels und der Ungewissheit zu erzeugen.
Bezüglich des Inhalts: Das lyrische Ich beschreibt eine bezaubernde nächtliche Szenerie, die mit dem Tod verbunden ist, und eine namenlose Frau („Irene“), die in einem ewigen Schlaf liegt. Die konkrete Identität von „Irene“ wird nicht geleakt, was eine zusätzliche Dimension der Verwirrungen und des Mysteriums hinzufügt.
Die Form und Sprache des Gedichts sind, im Einklang mit viel vom Oeuvre Poes, wunderschön aber auch komplex und herausfordernd. Inhaltlich kombiniert Poe auf harmonische Weise das Natürliche mit dem Unheimlichen sowie das Schöne mit dem Tod. Diese Technik spiegelt eine zentrale Dachidee in seinen Werken wider: die Poesie ist nicht nur für den Ausdruck der sinnlichen und ästhetischen Erfahrung, sondern auch für die Erforschung der dunkleren Seiten der menschlichen Existenz.
Im Großen und Ganzen schafft Poe durch die Verwendung von dunklen, romantischen und gotischen Elementen, kombiniert mit der lyrischen Schönheit seiner Schreibweise, ein Gedicht, das sowohl verstörend als auch faszinierend ist. Es wirft Fragen nach dem Leben, dem Tod und der Realität auf und fordert die Leser dazu auf, sich mit ihren eigenen Ängsten und Fantasien auseinanderzusetzen.
Weitere Informationen
Edgar Allan Poe ist der Autor des Gedichtes „Die Schläferin“. Im Jahr 1809 wurde Poe in Boston, USA geboren. Zwischen den Jahren 1825 und 1849 ist das Gedicht entstanden. Der Erscheinungsort ist Berlin. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text den Epochen Klassik, Romantik, Biedermeier, Junges Deutschland & Vormärz oder Realismus zugeordnet werden. Die Angaben zur Epoche prüfe bitte vor Verwendung auf Richtigkeit. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Da sich die Literaturepochen zeitlich teilweise überschneiden, ist eine reine zeitliche Zuordnung fehleranfällig. Das Gedicht besteht aus 55 Versen mit insgesamt 3 Strophen und umfasst dabei 309 Worte. Weitere Werke des Dichters Edgar Allan Poe sind „Das ruhlose Thal“, „Das verwunschene Schloß“ und „Der Eroberer Wurm“. Zum Autor des Gedichtes „Die Schläferin“ haben wir auf abi-pur.de weitere 17 Gedichte veröffentlicht.
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