Die Riesendame der Oktoberwiese von Joachim Ringelnatz
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Die Zeltwand spaltete sich weit, |
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Und eine ungeheure Glocke wuchtete |
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Herein. „Emmy, das größte Wunder unsrer Zeit!“ |
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Dort, wo der Hängerock am Halse buchtete, |
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Dort bot sich triefenden Quartanerlüsten |
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Die Lavamasse von alpinen Brüsten, |
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Die majestätisch auseinanderfloß. |
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„Emmy, der weibliche Koloß.“ |
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Hilflose Vorderschinken hingen |
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Herunter, die in Würstchen übergingen. |
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Und als sie langsam wendete: – Oho! – |
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Da zeigte sich der Vollbegriff Popo |
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In schweren erzgegoßnen Wolkenmassen. |
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„Nicht anfassen!“ |
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Und flüchtig unter hochgerafften Segeln |
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Sah man der Oberschenkel Säulenpracht. |
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Da war es aus. Da wurde gell gelacht. |
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Ich wußte jeden Witz zu überflegeln, |
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Und jeder Beifall stärkte meinen Schwung. |
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Die Dicke schwieg. Ich gab die Vorstellung. |
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Besonders lachten selbst recht runde Leute. |
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Ich wartete, bis sich das Volk zerstreute. |
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Nacht war es worden. Emmy ließ sich dort, |
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Wo sie gestanden, dumpf zum Nachtmahl nieder. |
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Sie schlang mit Gier, doch regte kaum die Glieder. |
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„Sag, Emmy, würdest du ein gutes Wort, |
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Das keinen Witz und keine Neugier hat, |
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Von einem, der dich tief betrauert, hören?“ |
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Sie sah nicht auf. Sie nickte kurz und matt: |
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„Nur zu! Beim Essen kann mich gar nichts stören.“ |
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„Emmy! Du armes Wunderwerk der Zeit! |
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Du trittst dich selbst mit ordinären Reden, |
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Mit eingelerntem hohlen Vortrag breit. |
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Du läßt die schlimme Masse deines Fettes |
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Von jedem Buben, jeder Dirne kneten. |
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Man kann den Scherz vom Umfang deines Bettes, |
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Der Badewanne bis zum Ekel spinnen. |
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Und so tat ich. Und konnte nicht von hinnen. |
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Ich dachte mich beschämt in dich hinein. |
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Es müßte doch in dir, in deinem Leben |
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Sich irgendwo das Schmerzgefühl ergeben: |
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Ein Dasein lang nicht Mensch noch Tier zu sein.“ |
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Hier hielt ich inne, dachte zaghaft nach. |
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Bis ein Geräusch am Eingang unterbrach. |
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Es nahte sich mit wohlgebornen Schritten |
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Der Elefant vom Nachbarzelt |
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Und sagte: „Emmy, schwerste Frau der Welt, |
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Darf ich um einen kleinen Beischlaf bitten?“ |
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Diskret entweichend konnte ich noch hören: |
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„Nur zu! Beim Essen kann mich gar nichts stören.“ |
Details zum Gedicht „Die Riesendame der Oktoberwiese“
Joachim Ringelnatz
6
50
315
1928
Moderne,
Expressionismus
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Die Riesendame der Oktoberwiese“ stammt von Joachim Ringelnatz, einem deutschen Schriftsteller und Kabarettist, der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts lebte. Das Gedicht wurde jedoch nicht genauer datiert.
Auf den ersten Eindruck wirft das Gedicht ein ruhiges und beobachtendes Bild. Es scheint, als ob der Autor eine Aufführung oder Show mit einer außergewöhnlich großen Frau namens Emmy kommentiert. Sie wird als faszinierend, aber gleichzeitig belächeltes Objekt der Schaulust vorgestellt.
Das Gedicht erzählt vom Auftritt einer massiven Frau namens Emmy in einem Zirkus oder einer ähnlichen Show. Der lyrische Erzähler stellt die groteske Darbietung und die verachtenden Reaktionen des Publikums dar, und zum Schluss stellt er sich vor, wie es für Emmy sein muss, in ihrem Körper zu leben und der ständigen Verachtung und Demütigung ausgesetzt zu sein. Gegen die Scham und die Verletzung, die sie ertragen muss, scheint sie eine Art Resignation entwickelt zu haben, indem sie sagt, „Nur zu! Beim Essen kann mich gar nichts stören.„
Das Gedicht ist in freien Versen mit unterschiedlicher Versanzahl pro Strophe geschrieben, was typisch für Ringelnatz' Stil ist. Die Sprache ist mal bildhaft und poetisch, mal derb und humorvoll, passend zur grotesken Darstellung Emmys und der unterschiedlichen Reaktionen darauf. Die ironische Distanz des Erzählers zu den Ereignissen und Charakteren im Gedicht lässt es dennoch menschlich wirken, insbesondere in seiner Betrachtung der enormen körperlichen und emotionalen Last, die Emmy täglich tragen muss.
Insgesamt ist „Die Riesendame der Oktoberwiese“ ein Gedicht, das die groteske Darstellung von Menschen als Schaustücke und die Grausamkeit der Öffentlichkeit hinterfragt, während es gleichzeitig ein tiefes Mitgefühl für diejenigen zeigt, die solche Demütigungen ertragen müssen. Trotz seines humorvollen Tones drückt es eine tiefe Traurigkeit und Empathie aus, die typisch für Ringelnatz' sensiblen und menschlichen Blick auf die Welt ist.
Weitere Informationen
Der Autor des Gedichtes „Die Riesendame der Oktoberwiese“ ist Joachim Ringelnatz. Ringelnatz wurde im Jahr 1883 in Wurzen geboren. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1928. Erschienen ist der Text in Berlin. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text den Epochen Moderne oder Expressionismus zugeordnet werden. Der Schriftsteller Ringelnatz ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen. Das vorliegende Gedicht umfasst 315 Wörter. Es baut sich aus 6 Strophen auf und besteht aus 50 Versen. Joachim Ringelnatz ist auch der Autor für Gedichte wie „...als eine Reihe von guten Tagen“, „7. August 1929“ und „Abendgebet einer erkälteten Negerin“. Zum Autor des Gedichtes „Die Riesendame der Oktoberwiese“ haben wir auf abi-pur.de weitere 560 Gedichte veröffentlicht.
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Zum Autor Joachim Ringelnatz sind auf abi-pur.de 560 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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