Die Rettung von Karoline Marie Luise Brachmann

Idylle.

Mutter, o sei mir gegrüßt, du süße Mutter! für diesmal
Siehst du mich wieder, doch bald war ich verlohren für dich.
Emusig sucht ich nach Kräutern zu deiner Genesung am Felsen,
Weißt du? wo über das Meer furchtbar die Klippe sich neigt.
Dort erblickt ich die Kräuter, die lang gesuchten, und eilte
Ohne bedächtliche Furcht auf den gefährlichen Rand,
Und, noch denk’ ich mit Schaudern daran, wie schnell mir die Füße
Glitten, und wie ich hinabstürzt’ in die tosende Flut.
 
Hülflos strebt’ ich empor und schrie nach Hülfe, doch hörte
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Niemand, es trieb mich der Strom weiter und weiter hinaus.
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Endlich erblickt ich nahend ein Schiff, ein glänzender Jüngling
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Riß sich hervor und sprang schnell wie ein Blitz in die Flut,
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Holte mich ein, und erhob mich mit übergewaltiger Stärke
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An den entferneten Strand trug er der Schwimmende mich.
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Himmel und Erde verging mir, doch seh ich noch deutlich die hohe
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Göttergestalt, denn es war sicher kein sterblicher Mann,
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Wie er vor mir knieete mit zärtlicher Sorgfalt! dann kamen
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Seine Gefährten, er ging zögernd zum Schiffe zurück.
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Lang noch blickt er nach mir, auch ich, bis das weißlichte Seegel
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Fern mir im Nebel verschwand sah ich dem Scheidenden nach.
 
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Und dann flog ich zu dir, noch pocht mir von Schrecken der Busen!
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Meine Mutter, bei dir such’ ich Erhohlung und Ruh.
 
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Theano.
 
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Komm an mein Herz, du Geliebte, und laß den Göttern uns danken,
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Die dich mit segnender Huld also vom Tode befreit!
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Wohl mir daß ich nun wieder an diesen Busen dich drücke!
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Daß nicht den einzigen Trost grausam der Fluß mir verschlang!
 
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Leukothoe.
 
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Ach ich sollte der Rettung mich freun, und es stürzen mir Thränen
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Ueber die Wangen? warum glühen die Wangen mir so?
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Beste Mutter, warum? es sind wohl Thränen der Freude?
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Aber welch heimlicher Schmerz wohnt mir im Herzen zugleich?
 
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Theano.
 
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Thränen der Freude mein Kind? nein Thränen der sehnenden Liehe
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sind es! du weinest daß so früh dir dein Retter verschwand.
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Aber weine nur nicht, komm schildre mir lieber die schöne
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Bildung, es sei nun ein Gott oder ein sterblicher Mann.
 
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Leukothoe.
 
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Warlich du forderst zu viel! wie sollt’ ich mit Worten ihn schildern
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Hättest du selbst ihn gesehn, wie er vom Tode mich riß,
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Wie er dann vor mir kniete! noch seh ich die wallenden Locken,
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Sehe den rührenden Blick den er im Scheiden mir gab.
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Aber es war ja ein Gott, wie könnt’ ich, wie dürft’ ich ihn lieben?
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Ach und ich werde ja so nimmer im Leben ihn sehn!
 
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Theano.
 
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Welche Qualen du selber dir schaffst! so schafft sich die Liehe
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Immer vergebliche Pein, kämpfend mit Hoffnung und Furcht.
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Sage, vermochte denn nur der Götter dich einer zu retten?
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Ist es nicht möglicher noch, daß es ein Sterblicher war?
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Und warum zweifelst du denn auf Erden ihn wieder zu finden?
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Oft was entfernet uns schien, bringt uns ein Augenblick nah.
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Nichts zwar wollt ich dir sagen, wofern nicht Erfahrung mich lehrte,
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Wie sich im Leben so leicht zweifelnde Liebe betrügt;
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Aber es traf ja auch mich mit deinem Vater ein gleiches
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Sonderbares Geschick, Rettung und Trennung zugleich.
 
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Leukothoe.
 
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Laß, so bitt’ ich, mich doch die wundervolle Geschichte
 
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Hören! die Rede ja fließt süß dir vom Munde hinweg,
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Und du sprichst mir so tröstlich, o liebe Mutter! wie glücklich,
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Daß dich Erfahrene mir freundlich der Himmel geschenkt!
 
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Theano.
 
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Höre denn an! wie sollt ich der Bitte Gewährung versagen?
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Gern ja ruft man das Bild schönerer Zeiten zurück.
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Jungfrau war ich wie du, und blühend im Reitze der Jugend
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Als ich die Heerde des weidet’ im einsamen Thal.
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Einsmals hatt’ ich mich kühl am Rauschen der Quelle gelagert,
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Da durchbrach das Gebüsch plötzlich ein grimmiger Bär.
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Denke mein Grausen dir selbst! ich war verlassen im öden
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Unbewohnten Gebürg, nirgend ein menschlicher Tritt,
 
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Und nun auf einmal die Schreckengestalt, ich wollt ihm entfliehen
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Aber vergebens, er kam schneller der Fliehenden nach.
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Damals glaubt ich mein Leben dahin, als ein Jüngling vom Felsen
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Eilt’ und dem nahenden Bär muthig entgegen sich warf.
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Lange währte der Kampf, da stürzte mein Retter zur Erde
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Und den entsetzlichen Blick hielt ich nicht länger mehr aus.
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Alles ward finster um mich, und ohne Gefühl und Besinnung
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Sank ich zu Boden und lag mehrere Stunden hindurch.
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Als ich erwachte da war der schöne Kämpfer verschwunden.
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Häufig mit Blute befleckt, lag der getödtete Bär.
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Neben ihm flattert ein Stück vom Obergewande des Jünglings,
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Und in der Seite des Thiers steckte sein glänzendes Schwert.
 
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Dies nur war alles was übrig mir blieb von der holden Erscheinung
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Aber er selbst wär’ hinab, glaubt ich, zum Orkus gesandt.
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Schmerzvoll irrt ich umher, und strebte den Leichnam zu finden,
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Aber ich fand im Gebürg, fand in der Waldung ihn nicht.
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Nun verließ ich die Gegend und kehrte nach Hause, doch ward ich
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Nirgends ruhig, sein Bild schwebte beständig mir vor.
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Also vergingen drei Monde, da kam ein Fremder zum Hause
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Meines Vaters und ward freundlich empfangen von ihm.
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Wir erkannten einander soglcich, er sah mich erröthen
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Und bekannte, wie nur Liebe hieher ihn geführt.
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Drauf erzählt er, daß da, als ich ihn verwundet zu Boden
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Sinken sah, auch das Thier tödtlich getroffen erlag;
 
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Daß ein Jäger ihn fand, zur Hütt’ ihn trug und die Wunden
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Pflegt’ und als er genaß eilte mich wiederzusehn. –
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Sieh, wie so wunderbar oft das Schicksal die Herzen verbindet,
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Ehe zwei Tag uns entflohn war er mein treuer Gemahl.
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Also das Leben der Menschen, es zeigt sich beständig in neuen
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Wechselgestalten, und stets folget dem Jammer das Glück.
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Darum beruhige dich und traue den himmlischen Göttern!
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Immer ja haben sie sich liebender Treue gefreut.
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Sie die in Todesgefahr dir hülfreich den muthigen Retter
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Sandten, die führen gewiß auch den Geliebten dir zu.
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LOUISE.

Details zum Gedicht „Die Rettung“

Anzahl Strophen
21
Anzahl Verse
104
Anzahl Wörter
951
Entstehungsjahr
1799
Epoche
Klassik,
Romantik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Die Rettung“ stammt von der Dichterin Karoline Luise Marie Brachmann, die im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert lebte. Es wurde also während der Epoche der Romantik verfasst, die durch eine Rückkehr zu Emotion und Subjektivität gekennzeichnet war und sich häufig auf die Themen Liebe, Natur und Vergänglichkeit konzentrierte.

Das Gedicht erzählt eine Fokusgeschichte von einer Tochter, die beim Sammeln von Heilkräutern für ihre kranke Mutter von einer Klippe ins Meer stürzt, bevor sie von einem mysteriösen Jüngling gerettet wird. Nachdem sie ihre Begegnung ihrer Mutter geschildert hat, gesteht die Tochter, dass sie sich in ihren Retter verliebt hat, obwohl sie glaubt, dass er vielleicht ein Gott war und sie ihn nie wiedersehen wird. Die Mutter tröstet sie jedoch mit ihrer eigenen Liebesgeschichte und versichert der Tochter, dass sie ihren Retter wiedersehen wird.

Der Inhalt des Gedichts zeigt die tief verwurzelte Sehnsucht und Liebe, die das lyrische Ich, die Tochter, für ihren Retter empfindet. Die Eindrücke von Unsterblichkeit und Göttlichkeit, die sie aufgrund seiner Rettungsaktion hat, lassen sie vermuten, dass sie ihn vielleicht nie wiedersehen wird. Diese Unsicherheit und Sehnsucht wird durch die tröstenden Worte ihrer Mutter gemildert, die versucht, Zuversicht und Hoffnung zu vermitteln.

Das Gedicht besteht aus freien Versen mit variierenden Verszeilen pro Strophe. Es gibt eine Mischung aus dialogischen Passagen und erzählenden Sequenzen, in denen die Perspektive zwischen Mutter und Tochter wechselt. Die Sprache ist romantisiert und kraftvoll und drückt emotionale und dramatische Spannungen aus, wie die Begegnung mit dem vermeintlichen Gott und die Liebe auf den ersten Blick.

Insgesamt vermittelt das Gedicht eine Vielzahl romantischer Ideale, einschließlich der unvermeidlichen Anziehungskraft zwischen zwei Seelen, der Göttlichkeit und Mystik der Natur und der unergründlichen Kluft zwischen Leben und Tod. Es ist ein kunstvolles Beispiel für die emotionale Tiefe und lyrische Schönheit der Dichtung der Romantik.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Die Rettung“ der Autorin Karoline Marie Luise Brachmann. Die Autorin Karoline Marie Luise Brachmann wurde 1777 in Rochlitz geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1799 zurück. Der Erscheinungsort ist Tübingen. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Klassik oder Romantik kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten der Autorin vorgenommen werden. Die Richtigkeit der Epochen sollte vor Verwendung geprüft werden. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Da es keine starren zeitlichen Grenzen bei der Epochenbestimmung gibt, können hierbei Fehler entstehen. Das 951 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 104 Versen mit insgesamt 21 Strophen. Weitere bekannte Gedichte der Autorin Karoline Marie Luise Brachmann sind „Treue Liebe“, „Meine Wahl“ und „Columbus“. Zur Autorin des Gedichtes „Die Rettung“ haben wir auf abi-pur.de weitere 20 Gedichte veröffentlicht.

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