Die Raupe und der Schmetterling von Johann Gottfried Herder

Freund, der Unterschied der Erdendinge
Scheinet groß und ist so oft geringe;
Alter und Gestalt und Raum und Zeit
Sind ein Traumbild nur der Wirklichkeit.
 
Träg’ und matt, auf abgezehrten Sträuchen
Sah ein Schmetterling die Raupe schleichen;
Und erhob sich fröhlich, Argwohnfrei
Daß er Raupe selbst gewesen sei.
 
Traurig schlich die Alternde zum Grabe:
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„Ach daß ich umsonst gelebet habe!
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Sterbe Kinderlos und wie gering!
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Und da fliegt der schöne Schmetterling.“
 
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Aengstig spann sie sich in ihre Hülle,
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Schlief und als der Mutter Lebensfülle
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Sie erweckte, wähnte sie sich neu,
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Wußte nicht, was sie gewesen sei.
 
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Freund, ein Traumreich ist das Reich der Erden.
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Was wir waren? was wir einst noch werden?
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Niemand weiß es; glücklich sind wir blind;
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Laß uns Eins nur wissen, was wir sind.
Arbeitsblatt zum Gedicht
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Details zum Gedicht „Die Raupe und der Schmetterling“

Anzahl Strophen
5
Anzahl Verse
20
Anzahl Wörter
127
Entstehungsjahr
1787
Epoche
Sturm & Drang,
Klassik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Die Raupe und der Schmetterling“ stammt von Johann Gottfried Herder, einem deutschen Dichter und Philosophen, der im 18. Jahrhundert lebte. Somit lässt sich das Gedicht zeitlich der Epoche der Aufklärung und damit den späten 1700er Jahren zuordnen.

Auf den ersten Blick präsentiert das Gedicht eine scheinbar einfache Geschichte von einer Raupe, die zu einem Schmetterling wird. Es weckt einen sanften, fast träumerischen Eindruck und wirkt äußerlich unschuldig.

Inhaltlich handelt das Gedicht von den Vorstellungen und Unsicherheiten des Lebens. Die Raupe, die sich zum Schmetterling transformiert, symbolisiert dabei den Lauf des Lebens mit seinen Veränderungen. Der Schmetterling erkennt nicht mehr, dass er einst eine Raupe war, und die Raupe, die sich für ihren Tod bereitet und ängstlich in ihre Hülle spinnt, kann sich nicht vorstellen, dass sie zu einem Schmetterling werden wird. Herder nutzt das Gedicht also als Metapher für den Lebenszyklus und die menschlichen Unfähigkeiten, den Lauf des Lebens zu verstehen.

Formal betrachtet besteht das Gedicht aus fünf Strophen zu je vier Versen. Die Sprache ist verhältnismäßig einfach und unprätentiös, die Bildsprache zugleich poetisch und eindringlich.

In der Aussage, die das lyrische Ich trifft, zeigt sich eine philosophische Tiefe: Der Mensch kann weder seine Vergangenheit noch seine Zukunft sehen und wird von der Ungewissheit über das, was er war und was er noch werden wird, geplagt. Doch trotz dieser Beschränkungen ermutigt der Sprecher uns letztlich, im Hier und Jetzt zu leben und zu akzeptieren, was wir gerade sind.

Kurz gesagt, Herders Gedicht regt dazu an, über das Leben und dessen Veränderlichkeit nachzudenken und dabei aber auch den aktuellen Moment zu schätzen. Es reflektiert die menschliche Fähigkeit, zu wachsen und sich zu verändern, und zugleich unsere Unfähigkeit, unsere Zukunft zu kennen oder unsere Vergangenheit zu erinnern.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Die Raupe und der Schmetterling“ ist Johann Gottfried Herder. Herder wurde im Jahr 1744 in Mohrungen (Ostpreußen) geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1787 zurück. Der Erscheinungsort ist Gotha. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text den Epochen Sturm & Drang oder Klassik zugeordnet werden. Bei Herder handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.

Der Sturm und Drang reicht zeitlich etwa von 1765 bis 1790. Sie ist eine Strömung innerhalb der Aufklärung (1720–1790) und überschneidet sich teilweise mit der Epoche der Empfindsamkeit (1740–1790) und ihren Merkmalen. Häufig wird die Epoche des Sturm und Drang auch als Genieperiode oder Geniezeit bezeichnet. Die Klassik knüpft an die Literaturepoche des Sturm und Drang an. Der Sturm und Drang war die Phase der Rebellion junger deutscher Autoren, die sich gegen das gesellschaftliche System und die Prinzipien der Aufklärung wendeten. Die Vertreter der Epoche des Sturm und Drang waren häufig Autoren im jungen Alter, die sich gegen die vorherrschende Strömung der Aufklärung wandten. In den Gedichten wurde darauf geachtet eine geeignete Sprache zu finden, um die subjektiven Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen. Die Nachahmung und Idealisierung von Künstlern aus vergangenen Epochen wie dem Barock wurde abgelehnt. Die traditionellen Werke wurden dennoch geschätzt und dienten als Inspiration. Es wurde eine eigene Jugendkultur und Jugendsprache mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Wiederholungen und Halbsätzen geschaffen. Die Epoche des Sturm und Drang endete mit der Hinwendung Schillers und Goethes zur Weimarer Klassik.

Johann Wolfgang von Goethe (geboren am 28. August 1749 in Frankfurt am Main; verstorben am 22. März 1832 in Weimar) ist einer der populärsten Dichter der Weimarer Klassik. 1786 unternahm Goethe eine Italienreise, diese wird als Beginn der Weimarer Klassik angesehen. Das Ende der Epoche ist im Jahr 1832 auszumachen. Sowohl Klassik als auch Weimarer Klassik sind häufig verwendete Bezeichnungen für die Literaturepoche. Von zentraler Bedeutung für die Zeit der Klassik ist der Begriff Humanität. Menschlichkeit, Toleranz, Selbstbestimmung, Schönheit und Harmonie sind wichtige inhaltliche Merkmale der Klassik. Die Klassik orientierte sich an klassischen Vorbildern aus der Antike. In der Gestaltung wurde das Gesetzmäßige, Wesentliche, Gültige aber auch die Harmonie und der Ausgleich gesucht. Im Gegensatz zum Sturm und Drang, wo die Sprache oft derb und roh ist, bleibt die Sprache in der Weimarer Klassik den sich selbst gesetzten Regeln treu. Schiller, Goethe, Wieland und Herder können als die Hauptvertreter der Weimarer Klassik angesehen werden. Aber nur Goethe und Schiller motivierten und inspirierten einander durch eine intensive Zusammenarbeit und gegenseitige Kritik.

Das 127 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 20 Versen mit insgesamt 5 Strophen. Johann Gottfried Herder ist auch der Autor für Gedichte wie „Apollo“, „Bilder und Träume“ und „Das Flüchtigste“. Zum Autor des Gedichtes „Die Raupe und der Schmetterling“ haben wir auf abi-pur.de weitere 413 Gedichte veröffentlicht.

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