Die Raben von Karl Kraus

Immer waren unsre Nahrung
die hier, die um Ehre starben.
Aber eure Herzenspaarung
macht, daß Raben nimmer darben.
 
Wir, die wir uns nie bewarben,
Nahrung haben wir erworben.
Ihr nicht, wir nicht dürfen darben,
euch und uns sind sie verdorben.
 
Ihr und wir vom Siege schnarren,
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wenn die Opfer sich vermehren,
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weil im Reiche rings die Narren
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eurem, unsrem Ruf nicht wehren.
 
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Waren Generale Raben,
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schnarrts von Phrasen dort im Saale.
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Draußen sind sie unbegraben,
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da sind Raben Generale!
 
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Dürft getrost die Schlacht verlieren,
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wir und ihr in keinem Falle
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müssen uns vor uns genieren:
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Kriegsgewinner sind wir alle!
 
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Ja wir sind noch sehr lebendig,
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wir sind beide noch die Alten,
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und wir freuen uns unbändig,
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diese Kriegszeit durchzuhalten.
 
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Während ihr zum Fraß vereinigt,
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brauchen wir nicht zu entbehren.
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Hunger hat uns nie gepeinigt,
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seit wir folgen euren Heeren.
 
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Hunger würd’ uns nimmer munden,
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und wir stürben an der Schande,
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und wir sind euch sehr verbunden,
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daß wir nicht im Hinterlande.
 
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Dort ist wahre Not, die Greise
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und die Kinder dort verderben,
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weil hier auf die andre Weise
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uns zum Trost die Männer sterben.
 
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Eure Schlachtbank läßt nie darben
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ihre angestellten Kunden.
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Raben haben, seit sie starben,
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immer Nahrung noch gefunden.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.5 KB)

Details zum Gedicht „Die Raben“

Autor
Karl Kraus
Anzahl Strophen
10
Anzahl Verse
40
Anzahl Wörter
201
Entstehungsjahr
1920
Epoche
Moderne,
Expressionismus,
Avantgarde / Dadaismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Die Raben“ wurde von Karl Kraus verfasst, einem österreichischen Schriftsteller, Satiriker und Publizisten, der von 1874 bis 1936 lebte. Kraus war bekannt für seine scharfzüngige Kritik an der Gesellschaft und Politik seiner Zeit, wobei er häufig satirische und zynische Elemente nutzte. Das Gedicht kann in den Kontext der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eingeordnet werden, einer Zeit zahlreicher Konflikte und Kriege, die Kraus in vielen seiner Werke angriff.

Beim ersten Lesen fällt auf, wie das Gedicht den Krieg und seine Folgen in einer symbolischen und drastischen Art darstellt. Die symbolischen Raben stehen für die Nutznießer von Krieg und Konflikten, die sich von Leiden und Tod anderer ernähren.

Inhaltlich macht das lyrische Ich, welches die Position der Raben einnimmt, deutlich, dass Raben („wir“) sich von denen ernähren, die ehrenhaft im Krieg gestorben sind (Verse 1-2). Es stellt weiterhin fest, dass dieser Zustand dafür sorgt, dass die Raben niemals Hunger leiden müssen und bezieht sich dabei auf die Kontinuität von Kriegen (Verse 3-4). Die Worte verdeutlichen die Ironie, dass sowohl die Raben als auch die Menschen („ihr“), trotz der Verwüstung des Krieges, Nahrung haben und nicht hungern müssen (Verse 5-8). Es springt weiterhin auf die Tatsache an, dass die Opfer aufgrund von Täuschung und Manipulation (repräsentiert durch „Narren“) weiterhin zunehmen und beide – Raben und Menschen – hiervon profitieren (Verse 9-12). Die Raben sind hier in gewisser Weise zum Synonym für Kriegsgewinnler geworden (Verse 13-16). Das Gedicht endet mit der Wiederholung dieser düsteren Botschaft, dass Krieg und Tod stets für Futter sorgen (Verse 37-40).

In Bezug auf Form und Sprache ist das Gedicht in zehn Strophen zu je vier Versen unterteilt, alle in einem ähnlichen Rhythmus und Reimschema. Die Sprache ist tiefgründig, bildreich und symbolisch, teils mit Sarkasmus und Zynismus durchzogen und bietet eine düstere Vision des Krieges und seiner Auswirkungen. Besonders prominent ist das wiederkehrende Motiv der Raben, das sowohl eine Metapher als auch ein sinnbildlicher Träger der Hauptaussage des Gedichts ist. Hierdurch entsteht eine beeindruckende Allegorie auf die Verheerung und Vergeblichkeit des Krieges, die noch durch den zynischen Ton der Verse verstärkt wird.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Die Raben“ ist Karl Kraus. Kraus wurde im Jahr 1874 in Jičín (WP), Böhmen geboren. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1920. Der Erscheinungsort ist München. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her den Epochen Moderne, Expressionismus, Avantgarde / Dadaismus oder Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit zuordnen. Prüfe bitte vor Verwendung die Angaben zur Epoche auf Richtigkeit. Die Zuordnung der Epochen ist auf zeitlicher Ebene geschehen. Da sich Literaturepochen zeitlich überschneiden, ist eine reine zeitliche Zuordnung häufig mit Fehlern behaftet. Das Gedicht besteht aus 40 Versen mit insgesamt 10 Strophen und umfasst dabei 201 Worte. Die Gedichte „Auferstehung“, „Aus jungen Tagen“ und „Bange Stunde“ sind weitere Werke des Autors Karl Kraus. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Die Raben“ weitere 61 Gedichte vor.

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Zum Autor Karl Kraus sind auf abi-pur.de 61 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.