Die Perle von Johann Gottfried Herder

Nimm, o Freundinn, dieser Perlen,
Dieser Silbertropfen Band:
Denn die Göttinn stiller Anmuth
Hat sie selbst dir zuerkannt.
 
Als sie aus des Meeres Wellen,
Wie ein Traum der Liebe stieg,
Kam demüthig eine Muschel,
Die sie trug und sittsam schwieg.
 
Wellen hüpften um die Göttinn,
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Weste buhlten um sie her;
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Aber die gefällig-gute
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Dienerinn gefiel ihr mehr.
 
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„Womit soll ich dich belohnen?“
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Sprach sie, und vom Silber-Glanz
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Ihrer Glieder schwamm die Muschel
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Glänzend schon und silbern ganz.
 
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„Nimm den Tropfen meines Haares.
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Künftig nur der Unschuld Schmuck.“
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Und der Tropfen ward zur Perle
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In der Muschel, die sie trug.
 
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Ewig jetzt ein Schmuck der Unschuld,
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Stiller Anmuth selbst ein Bild,
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Ohne Gaukelprunk der Farben
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Nur in eignen Reiz gehüllt,
 
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Sehnet sie sich aus der Krone
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Des Monarchen in das Band,
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Das der Unschuld Haar umschlinget,
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Einer Göttinn Haar entwandt.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.9 KB)

Details zum Gedicht „Die Perle“

Anzahl Strophen
7
Anzahl Verse
28
Anzahl Wörter
139
Entstehungsjahr
1787
Epoche
Sturm & Drang,
Klassik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Die Perle“ wurde von Johann Gottfried Herder verfasst, einem der führenden Köpfe der deutschen Aufklärung und einer Schlüsselfigur in der Sturm-und-Drang-Periode und in der deutschen Romantik. Das Gedicht wurde in einer Zeit aufgezeichnet, in der es einen starken Fokus auf Gefühle, Natur und Mythen gab.

Beim ersten Lesen kann das Gedicht als eine Huldigung an die natürliche Schönheit und die Reinheit einer Perle und als ein Lob an deren Entstehung gesehen werden. Die Wortauswahl und die Struktur des Gedichts vermitteln ein Gefühl der Ruhe und der Stille, passend zur Natur und Reinheit der Perle.

Das lyrische Ich spricht zu einer „Freundin“ und erzählt die Geschichte, wie eine Perle entsteht, allegorisch als Geschenk einer Meeresgöttin an eine bescheidene Muschel. Im Verlauf des Gedichts wird die Perle als ein „Schmuck der Unschuld“ und als „stille Anmut“ bezeichnet und es wird betont, dass sie ihren eigenen Reiz hat, ohne kräftige Farben oder unnatürliche Schönheit. Schließlich wünscht sich die Perle, nicht die Krone eines Monarchen zu zieren, sondern das Haar einer unschuldigen Göttin, was die Betonung von natürlicher und bescheidener Schönheit unterstreicht.

Das Gedicht besteht aus sieben Strophen mit jeweils vier Versen, was eine sehr klare und strukturierte Form erzeugt. Herder benutzt Sprache, um verschiedene Sinne anzusprechen und die Schönheit und Reinheit der Perle hervorzuheben. Er verwendet Worte wie „Silbertropfen“, „Traum“, „still“ und „unschuldig“, womit er positive und reine Assoziationen hervorruft.

Im Ganzen gesehen thematisiert das Gedicht „Die Perle“ dadurch vor allem die Schönheit und Reinheit der Natur und kritisiert indirekt die Oberflächlichkeit und den Prunk seiner gesellschaftlichen Zeit. Die Perle wird zur Verkörperung wahrer Schönheit und die Muschel zur Verkörperung von Bescheidenheit und Dienst. Somit könnte Herders Gedicht als eine Aufforderung interpretiert werden, natürliche und wahre Schönheit zu würdigen und Bescheidenheit zu schätzen.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Die Perle“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Johann Gottfried Herder. Herder wurde im Jahr 1744 in Mohrungen (Ostpreußen) geboren. Das Gedicht ist im Jahr 1787 entstanden. Der Erscheinungsort ist Gotha. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zu den Epochen Sturm & Drang oder Klassik zu. Bei dem Schriftsteller Herder handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.

Sturm und Drang ist die Bezeichnung für die Literaturepoche in den Jahren von 1765 bis 1790 und wird häufig auch zeitgenössische Genieperiode oder Geniezeit genannt. Diese Bezeichnung entstand durch die Verherrlichung des Genies als Urbild des höheren Menschen und Künstlers. Der Sturm und Drang knüpft an die Empfindsamkeit an und geht später in die Klassik über. Der Sturm und Drang war die Phase der Rebellion junger deutscher Autoren, die sich gegen das gesellschaftliche System und die Prinzipien der Aufklärung wendeten. Bei den Schriftstellern handelte es sich meist um Autoren jüngeren Alters. Meist waren die Vertreter unter 30 Jahre alt. In den Gedichten wurde darauf geachtet eine geeignete Sprache zu finden, um die subjektiven Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen. Die Nachahmung und Idealisierung von Autoren aus vergangenen Epochen wie dem Barock wurde abgelehnt. Die traditionellen Werke wurden dennoch geschätzt und dienten als Inspiration. Es wurde eine eigene Jugendkultur und Jugendsprache mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Wiederholungen und Halbsätzen geschaffen. Goethe, Schiller und die anderen Autoren jener Zeit suchten nach etwas Universalem, was in allen Belangen und für jede Zeit gut sei und entwickelten sich stetig weiter. So ging der Sturm und Drang über in die Weimarer Klassik.

Einer der bedeutendsten Vertreter der deutschen Klassik ist Johann Wolfgang von Goethe (* 28. August 1749 in Frankfurt am Main; † 22. März 1832 in Weimar). Seine Italienreise im Jahr 1786 wird als Beginn der Weimarer Klassik angesehen. Johann Wolfgang von Goethe prägte die Klassik ganz wesentlich. Sein Todesjahr (1832) ist gleichzeitig das Ende dieser Epoche. Sowohl Klassik als auch Weimarer Klassik sind häufig verwendete Bezeichnungen für die Literaturepoche. Prägend für die Zeit der Klassik ist der Begriff Humanität. Toleranz, Menschlichkeit, Schönheit, Selbstbestimmung und Harmonie sind wichtige inhaltliche Merkmale der Klassik. Die Klassik orientierte sich an klassischen Vorbildern aus der Antike. Ein hohes Sprachniveau ist für die Werke der Klassik charakteristisch. Während man im Sturm und Drang die natürliche Sprache wiedergeben wollte, stößt man in der Klassik auf eine reglementierte Sprache. Goethe, Schiller, Herder und Wieland bildeten das „Viergestirn“ der Weimarer Klassik. Es gab natürlich auch noch andere Autoren, die typische Werke veröffentlichten, doch niemand übertraf die Fülle und die Popularität dieser vier Autoren.

Das vorliegende Gedicht umfasst 139 Wörter. Es baut sich aus 7 Strophen auf und besteht aus 28 Versen. Die Gedichte „Das Kind der Sorge“, „Das Orakel“ und „Das Ross aus dem Berge“ sind weitere Werke des Autors Johann Gottfried Herder. Zum Autor des Gedichtes „Die Perle“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 413 Gedichte vor.

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