Die Musik kommt von Kurt Tucholsky

Nun zwängt, die sonst Musik die Töchter lehrte,
sich ins Schwarzseidene mit dem Krachkorsett;
und daß man Haydn, Bach und Koschat ehrte,
beweist man durch Gesang und am Spinett.
 
Nun schlagen wieder löwenmähnige Meister
mit ihren Pranken auf die Flügel ein,
und fiedelt jemand Violin, dann heißt er
Mischka und soll erst sieben Jahre sein.
 
Du siehst mich lächelnd an, Eleonore –
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auch du, Geliebte, seist ein Singtalent?
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Doch jach entfleucht durch meinem rechten Ohre,
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was dein Sopran mir in das linke flennt.
 
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Ach ja, der Herbst! Die Blätter werden gelber,
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und jedes Mädchen kriegt ein hohes C,
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und auch der Muhsikpädagoge selber
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stund auf und tremolieretee …
 
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Du Stadt der Lieder, bist du nicht verwundert?
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So jedes Jahr hast du um den Advent
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Musikkonzerte Stücker achtzehnhundert –
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doch mit Gewinn: nur sechseinhalb Prozent.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.6 KB)

Details zum Gedicht „Die Musik kommt“

Anzahl Strophen
5
Anzahl Verse
20
Anzahl Wörter
131
Entstehungsjahr
1919
Epoche
Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit,
Exilliteratur

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht stammt von Kurt Tucholsky, einem deutschen Schriftsteller und Journalist, der von 1890 bis 1935 lebte. Das Gedicht lässt sich zeitlich nicht eindeutig einordnen, da es keine konkreten historischen Bezüge aufweist.

Beim ersten Lesen fällt auf, dass das Gedicht mit einem ironischen Unterton geschrieben ist. Es beschreibt, wie die Musik auf eine oberflächliche und kommerzialisierte Weise wahrgenommen wird. Als Leser kann man den Eindruck bekommen, dass das lyrische Ich kritisch auf die Entwertung und Vereinnahmung der Musik durch die Gesellschaft blickt.

Der Inhalt des Gedichts besteht aus fünf Strophen mit jeweils vier Versen. In der ersten Strophe wird die Veränderung der Musik, die früher die Töchter lehrte, thematisiert. Sie wird nun von Frauen im engen Korsett und mit viel Krach gespielt. Die zweite Strophe spricht von löwenmähnigen Meistern, die wild auf die Tasten schlagen, und einem siebenjährigen Violinisten namens Mischka. In der dritten Strophe wird die Geliebte des lyrischen Ichs, Eleonore, angesprochen, doch das, was sie singt, geht dem lyrischen Ich am linken Ohr wieder heraus. In der vierten Strophe wird der Herbst mit gelben Blättern und Mädchen, die ein hohes C bekommen, beschrieben. Selbst der Musikpädagoge selbst tremoliert, also zittert unkontrolliert. In der fünften und letzten Strophe wird die Stadt der Lieder angesprochen, die jedes Jahr viele Musikveranstaltungen hat. Doch der Gewinn beträgt nur sechseinhalb Prozent, was auf den sarkastischen Blick des lyrischen Ichs auf die Profitgier hinweist.

Das Gedicht ist in einer gedrängten und einprägsamen Form verfasst. Jede Strophe besteht aus vier Jamben, wobei der Rhythmus durch den Wechsel von betonten und unbetonten Silben einen fließenden Klang erzeugt. Die Sprache des Gedichts ist klar und verständlich, mit zumeist einfacher Wortwahl. Der häufige Gebrauch von Enjambement (Überleitung eines Satzes über Versgrenzen hinweg) verleiht dem Gedicht einen schnellen und dynamischen Charakter. Tucholsky nutzt zudem verschiedene Stilmittel wie Ironie, Alliteration (Wiederholung von Anlauten) und Wortneuschöpfungen wie „tremolieretee“, um den Text stilistisch interessant zu gestalten. Insgesamt wirkt das Gedicht durch den ironischen Unterton und die kritische Haltung des lyrischen Ichs gegenüber dem Zustand der Musikszene und der Gesellschaft sehr pointiert.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Die Musik kommt“ ist Kurt Tucholsky. Geboren wurde Tucholsky im Jahr 1890 in Berlin. Im Jahr 1919 ist das Gedicht entstanden. Erschienen ist der Text in Charlottenburg. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text den Epochen Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit oder Exilliteratur zugeordnet werden. Bei dem Schriftsteller Tucholsky handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.

In der Literatur der Weimarer Republik wurden inhaltlich häufig die Ereignisse des Ersten Weltkrieges verarbeitet. Sowohl der Erste Weltkrieg als auch die späteren politischen Gegebenheiten der Weimarer Republik sind prägende Faktoren für diese Epoche. Die Neue Sachlichkeit in der Literatur der Weimarer Republik ist von Nüchternheit und distanzierter Betrachtung der Welt gekennzeichnet und politisch geprägt. Es wurde eine alltägliche Sprache verwendet um mit den Texten so viele Menschen wie möglich anzusprechen. Die Freiheit von Wort und Schrift war zwar verfassungsmäßig garantiert, doch bereits 1922 wurde nach der Ermordung eines Politikers das Republikschutzgesetz erlassen, das diese Freiheit wieder einschränkte. Viele Schriftsteller litten unter dieser Zensur. Dieses Gesetz wurde in der Praxis nur gegen linke Autoren angewandt, nicht aber gegen rechte, die teils in ihren Werken offen Gewalt verherrlichten. Das im Jahr 1926 erlassene Schund- und Schmutzgesetz verstärkte die Grenzen der Zensur nochmals. Später als die Pressenotverordnung im Jahr 1931 in Kraft trat, war sogar die Beschlagnahmung von Schriften und das Verbot von Zeitungen über mehrere Monate möglich.

Als Exilliteratur wird die Literatur von Schriftstellern bezeichnet, die unfreiwillig Zuflucht im Ausland suchen müssen, weil ihre Person oder ihr Werk in ihrer Heimat bedroht sind. Für die Flucht ins Exil geben meist politische oder religiöse Gründe den Ausschlag. Die Exilliteratur in Deutschland entstand in den Jahren von 1933 bis 1945 als Literatur der Gegner des Nationalsozialismus. Dabei spielten zum Beispiel die Bücherverbrennungen am 10. Mai 1933 und der deutsche Überfall auf die Nachbarstaaten Deutschlands 1938/39 eine ausschlaggebende Rolle. Die deutsche Exilliteratur schließt an die Neue Sachlichkeit der Weimarer Republik an und bildet damit eine eigene Literaturepoche in der deutschen Literaturgeschichte. Die Themen der Exilliteratur Deutschlands lassen sich zunächst in zwei Gruppen einteilen. Einige Schriftsteller fühlten sich in ihrer neuen Heimat nicht zu Hause, hatten Heimweh und wollten einfach in ihr altes Leben vor dem Nationalsozialismus zurückkehren. Oftmals konnten sie im Ausland nicht mehr ihrer Tätigkeit als Schriftsteller nachgehen, da sie nur in deutscher Sprache schreiben konnten, was im Ausland niemand verstand. Heimweh und ihre Liebe zum Mutterland sind die Themen in ihren Werken. Die anderen Schriftsteller wollten sich gegen Nazideutschland wehren. Man wollte zum einen die Welt über die Grausamkeiten in Deutschland aufklären. Zum anderen aber auch den Widerstand unterstützen. Anders als andere Epochen der Literatur, die zum Beispiel bei der formalen Gestaltung (also in Sachen Metrum, Reimschema oder dem Gebrauch bestimmter rhetorischer Mittel) ganz charakteristische Merkmale aufweisen, ist die Exilliteratur nicht durch bestimmte formale Merkmale gekennzeichnet. Die Exilliteratur weist häufig einen Pluralismus der Stile (Realismus und Expressionismus), eine kritische Betrachtung der Wirklichkeit und eine Distanz zwischen Werk und Leser oder Publikum auf. Sie hat häufig die Absicht zur Aufklärung und möchte gesellschaftliche Entwicklungen aufzeigen (wandelnder Mensch, Abhängigkeit von der Gesellschaft).

Das vorliegende Gedicht umfasst 131 Wörter. Es baut sich aus 5 Strophen auf und besteht aus 20 Versen. Die Gedichte „An Lukianos“, „An Peter Panter“ und „An das Publikum“ sind weitere Werke des Autors Kurt Tucholsky. Zum Autor des Gedichtes „Die Musik kommt“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 136 Gedichte vor.

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