Die Macht des Gesanges von Friedrich Schiller

Ein Regenstrom aus Felsenrissen,
Er kommt mit Donners Ungestüm,
Bergtrümmer folgen seinen Güssen,
Und Eichen stürzen unter ihm.
Erstaunt mit wollustvollem Grausen
Hört ihn der Wanderer und lauscht,
Er hört die Flut vom Felsen brausen,
Doch weiß er nicht, woher sie rauscht;
So strömen des Gesanges Wellen
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Hervor aus nie entdeckten Quellen.
 
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Verbündet mit den furchtbarn Wesen,
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Die still des Lebens Faden drehn,
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Wer kann des Sängers Zauber lösen,
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Wer seinen Tönen widerstehn?
 
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Wie mit dem Stab des Götterboten
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Beherrscht er das bewegte Herz,
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Er taucht es in das Reich der Todten,
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Er hebt es staunend himmelwärts,
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Und wiegt es zwischen Ernst und Spiele
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Auf schwanker Leiter der Gefühle.
 
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Wie wenn auf einmal in die Kreise
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Der Freude, mit Gigantenschritt,
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Geheimnißvoll nach Geisterweise
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Ein ungeheures Schicksal tritt.
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Da beugt sich jede Erdengröße
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Dem Fremdling aus der andern Welt,
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Des Jubels nichtiges Getöse
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Verstummt, und jede Larve fällt,
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Und vor der Wahrheit mächt’gem Siege
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Verschwindet jedes Werk der Lüge.
 
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So raft von jeder eiteln Bürde,
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Wenn des Gesanges Ruf erschallt,
 
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Der Mensch sich auf zur Geisterwürde,
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Und tritt in heilige Gewalt;
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Den hohen Göttern ist er eigen,
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Ihm darf nichts irrdisches sich nahn,
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Und jede andre Macht muß schweigen.
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Und kein Verhängniß fällt ihn an,
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Es schwinden jedes Kummers Falten,
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So lang des Liedes Zauber walten.
 
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Und wie nach hofnungslosem Sehnen,
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Nach langer Trennung bitterm Schmerz,
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Ein Kind mit heißen Reuethränen
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Sich stürzt an seiner Mutter Herz,
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So führt zu seiner Jugend Hütten,
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Zu seiner Unschuld reinem Glück,
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Vom fernen Ausland fremder Sitten
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Den Flüchtling der Gesang zurück,
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In der Natur getreuen Armen
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Von kalten Regeln zu erwarmen.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.4 KB)

Details zum Gedicht „Die Macht des Gesanges“

Anzahl Strophen
7
Anzahl Verse
50
Anzahl Wörter
268
Entstehungsjahr
1796
Epoche
Sturm & Drang,
Klassik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Die Macht des Gesanges“ wurde von Friedrich Schiller geschrieben. Es lässt sich zeitlich in die späte Aufklärung/ frühe Romantik einordnen, da Schiller bekannt für seine Werke aus dieser Zeit ist.

Der erste Eindruck des Gedichts ist sehr kraftvoll und beeindruckend. Die bildhaften Beschreibungen des Wassers, der Berge und der Natur vermitteln eine gewaltige Stimmung. Der Leser wird durch den Gesang in seinen Bann gezogen und in eine mystische Welt entführt.

Der Inhalt des Gedichts beschäftigt sich mit der Macht und Wirkung des Gesangs. Das lyrische Ich vergleicht den Gesang mit einem Regenstrom, der mit donnerndem Lärm daher kommt und alles mit sich reißt. Dieser Gesang hat eine unheimliche Anziehungskraft und lässt den Zuhörer fasziniert lauschen, ähnlich wie bei einem Wasserfall, dessen Ursprung nicht erkennbar ist. Der Gesang wird als magisch angesehen, verbündet mit mystischen Wesen, die das Schicksal lenken. Er beherrscht die Herzen der Zuhörer und führt sie bis zu den Toten und ins Himmelreich.

Form und Sprache des Gedichts sind geprägt von einer regelmäßigen Struktur. Es besteht aus sieben Strophen, von denen jede eine bestimmte Anzahl an Versen hat. Die Sprache ist bildhaft und metaphorisch. Es werden Vergleiche, wie der Regenstrom oder der Stab des Götterboten, benutzt, um die Macht des Gesangs zu verdeutlichen. Dadurch entsteht eine gewisse Magie und Symbolik im Gedicht. Die Verse sind meist jambisch und haben einen regelmäßigen Rhythmus. Die Sprache wirkt sehr pathetisch und beeindruckend, was die Wirkung des Gesangs verstärkt.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Friedrich Schillers Gedicht „Die Macht des Gesanges“ die faszinierende Anziehungskraft des Gesangs thematisiert. Es wird die Macht des Gesangs betont und die transformative Wirkung des Gesangs auf das menschliche Herz beschrieben. Die Form und Sprache des Gedichts unterstreichen die intensiven Gefühle und die kraftvolle Wirkung des Gesangs.

Weitere Informationen

Friedrich Schiller ist der Autor des Gedichtes „Die Macht des Gesanges“. Im Jahr 1759 wurde Schiller in Marbach am Neckar, Württemberg geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1796 zurück. Der Erscheinungsort ist Neustrelitz. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Sturm & Drang oder Klassik kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Bei dem Schriftsteller Schiller handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.

Der Sturm und Drang (häufig auch Geniezeit oder Genieperiode genannt) ist eine literarische Epoche, welche zwischen 1765 und 1790 existierte und an die Empfindsamkeit anknüpfte. Später ging sie in die Klassik über. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts dominierte der Geist der Aufklärung das literarische und philosophische Denken im deutschen Sprachraum. Der Sturm und Drang „stürmte“ und „drängte“ als Jugend- und Protestbewegung gegen diese aufklärerischen Ideale. Ein wesentliches Merkmal des Sturm und Drang ist somit ein Auflehnen gegen die Epoche der Aufklärung. Die Vertreter der Epoche des Sturm und Drang waren häufig Schriftsteller im jungen Alter, die sich gegen die vorherrschende Strömung der Aufklärung wandten. Um die persönlichen Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen, wurde im Besonderen darauf geachtet eine geeignete Sprache zu finden und in den Gedichten einzusetzen. Es wurde eine eigene Jugendsprache und Jugendkultur mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Halbsätzen und Wiederholungen geschaffen. Die traditionellen Werke vorangegangener Epochen wurden geschätzt und dienten als Inspiration. Die Epoche des Sturm und Drang endete mit der Hinwendung Schillers und Goethes zur Weimarer Klassik.

Auf zeitlicher Ebene lässt sich die Weimarer Klassik mit Goethes Italienreise 1786 und mit Goethes Tod im Jahr 1832 eingrenzen. Zwei gegensätzliche Anschauungen hatten das 18. Jahrhundert beeinflusst. Die Aufklärung und die gefühlsbetonte Strömung Sturm und Drang. Die Weimarer Klassik ist eine Verschmelzung dieser beiden Elemente. Literarisches Zentrum und Ausgangspunkt der Weimarer Klassik (kurz auch oftmals einfach nur Klassik genannt) war Weimar. Die Klassik orientiert sich an traditionellen Vorbildern aus der Antike. Sie strebt nach Harmonie ganz im Gegensatz zur Epoche der Aufklärung und des Sturm und Drangs. In der Lyrik haben die Dichter auf Stil- und Gestaltungsmittel aus der Antike zurückgegriffen. So war beispielsweise die streng an formale Kriterien gebundene Ode besonders beliebt. Darüber hinaus verwendeten die Autoren jener Zeit eine gehobene, pathetische Sprache. Goethe, Schiller, Herder und Wieland bildeten das „Viergestirn“ der Weimarer Klassik. Es gab natürlich auch noch andere Autoren, die typische Werke veröffentlichten, doch niemand übertraf die Fülle und die Popularität dieser vier Autoren.

Das Gedicht besteht aus 50 Versen mit insgesamt 7 Strophen und umfasst dabei 268 Worte. Der Dichter Friedrich Schiller ist auch der Autor für Gedichte wie „Bacchus im Triller“, „Baurenständchen“ und „Breite und Tiefe“. Zum Autor des Gedichtes „Die Macht des Gesanges“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 220 Gedichte vor.

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