Die Liebhaber von Johann Wolfgang von Goethe
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Mein Mädgen im Schatten der Laube |
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Umhangen von purpurner Traube |
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Bekränzte mit Rebenlaub sich |
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Und wartete schmachtend auf mich. |
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Da wallte der Herrscher der Träume |
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Durch zitternde Wipfel der Bäume, |
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Erblikte das liebliche Kind, |
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Sank nieder, umarmt es geschwind. |
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Sie schlummert, er küsste die Wangen, |
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Sie glühten von heissem Verlangen, |
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Erhizzet, o Gottheit, von Dir, |
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Nach sterblichen Küssen von mir. |
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Da saugte mit athmenden Zügen |
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Annette das gröste Vergnügen |
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Der Träume, die Mädgen erfreun, |
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Vom Munde des Göttlichen ein. |
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Schnell war sie von Leuten umgeben, |
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Die schmachteten seufzend nach Leben, |
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Und harreten zitternd aufs Glück |
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Von einem beseelenden Blick, |
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Da lag nun auf Knien die Menge, |
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Mein Mädgen erblikt das Gedränge, |
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Und hörte der bittenden Schreyn, |
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Und dünkte sich Venus zu seyn. |
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Erst sah sie den schreklichen Sieger, |
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Da lag er gebükt, wie ein Krieger, |
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Den stärkerer Streitenden Macht |
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In schimpfliche Fesseln gebracht. |
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So sprach er: „Die mächtigen Waffen |
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Den Ruhm zu erobern geschaffen |
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Erheben, erwählest du mich, |
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Aus deine Befehle nur sich. |
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Da fürcht ich nicht Wäll' nicht Canonen, |
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Nicht Tonnen, die Minen bewohnen, |
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Nicht Feinde die schaarenweis ziehn, |
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Du sprichst nur: Entflieht; sie entfliehn. |
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Doch mußt du für Eisen nicht beben, |
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Mein Arm den jezt Waffen umgeben, |
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Schliest sich in entwafneter Ruh’ |
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Auch sanften Umarmungen zu.“ |
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Der Kaufmann mit Puzwerk und Stoffen, |
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Was eitele Mädgen nur hoffen, |
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Trat näher, und beugte sein Knie, |
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Verbreitet es hoffend vor sie; - |
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„Erhöre mich, werde die meine, |
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So sprach er, „dieß alles ist deine, |
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Dich kleid’ ich in herrlicher Pracht |
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Dann wenn du mich glüklich gemacht.“ |
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Der Stuzzer im schekkigen Kleide |
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Von Sammt und von Gold und von Seide |
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Kam summend, wie Käfer im Mäy, |
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Mit künstlichen Sprüngen herbey - |
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„Du glänzest bey Ball und Concerten, |
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Du herrschest beym Spiel und in Gärten, |
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Mein Dressenrock schimmert auf dich, |
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Geliebteste, wähle du mich.“ |
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Noch andere kamen. Geschwinde |
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Wieß da mich dem göttlichen Kinde |
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Der Traumgott. Sie schaute mich kaum, |
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Den lieb ich - so rief sie im Traum, |
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„Komm, eile! o komm mich zu küssen“ - |
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Ich eilte sie fest zu umschliesen; |
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Denn ich war ihr wachend schon nah, |
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Und küssend erwachte sie da. |
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Kein Pinsel mahlt unser Entzükken, |
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Da sank sie mit sterbenden Blikken, |
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O welche unsterbliche Lust! |
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An meine hochfliegende Brust. |
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So lag einst Bertumn und Pomone, |
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Als er auf dem grünenden Throne |
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Das sprödeste Mädgen bekehrt, |
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Zuerst sie die Liebe gelehrt. |
Details zum Gedicht „Die Liebhaber“
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392
1767
Sturm & Drang,
Klassik
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Die Liebhaber“ wurde von Johann Wolfgang von Goethe geschrieben. Goethe lebte von 1749 bis 1832, daher kann das Gedicht in diese Zeitspanne eingeordnet werden.
Beim ersten Lesen des Gedichts entsteht der Eindruck, dass es sich um eine romantische Liebesgeschichte handelt. Das lyrische Ich beschreibt ein Treffen mit seinem „Mädgen“ im Schatten einer Laube. Es wird erwähnt, dass das Mädchen sich mit Rebenlaub bekränzt hat und sehnsüchtig auf das lyrische Ich wartet. Dann erscheint der „Herrscher der Träume“ und umarmt das Mädchen. Sie schlummert und er küsst ihre Wangen, doch sehnt sich danach, nach sterblichen Küssen des lyrischen Ichs. Annette, das Mädchen, genießt die Träume und freut sich über „mündliche Küssen des Göttlichen“.
Die Form des Gedichts besteht aus 18 Strophen, die jeweils aus 4 Versen bestehen. Es handelt sich um einen regelmäßigen und gereimten Aufbau mit einem Paarreim (aab bcc ddd...). Die Sprache des Gedichts ist recht einfach gehalten und verwendet teilweise altmodische Ausdrücke wie „Mädgen“ und „erhizzet“.
Das lyrische Ich möchte in diesem Gedicht seine Liebe und Zuneigung zum Mädchen, Annette, ausdrücken. Es beschreibt das Treffen der beiden und die romantischen Momente, die sie gemeinsam erleben. Es wird deutlich, dass das lyrische Ich Annettes Aufmerksamkeit und Zuneigung ersehnt, während andere Verehrer ebenfalls um Annettes Gunst wetteifern. Das lyrische Ich fühlt sich beschenkt und privilegiert, wenn es sich als die „Venus“ des Gedränges empfindet. Am Ende des Gedichts steht der Moment des Erwachens und des Küssens, der als höchste Freude und Ekstase beschrieben wird.
Insgesamt ist das Gedicht „Die Liebhaber“ eine romantische Liebeserklärung mit einem leidenschaftlichen lyrischen Ich, das seine Liebe zu Annette ausdrücken möchte. Die Form des Gedichts und die einfache Sprache verstärken den romantischen Charakter der Geschichte.
Weitere Informationen
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Die Liebhaber“ des Autors Johann Wolfgang von Goethe. Im Jahr 1749 wurde Goethe in Frankfurt am Main geboren. Das Gedicht ist im Jahr 1767 entstanden. Leipzig ist der Erscheinungsort des Textes. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zu den Epochen Sturm & Drang oder Klassik zu. Bei dem Schriftsteller Goethe handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.
Der Sturm und Drang (häufig auch Geniezeit oder Genieperiode genannt) ist eine literarische Epoche, welche zwischen 1765 und 1790 existierte und an die Empfindsamkeit anknüpfte. Später ging sie in die Klassik über. Die wesentlichen Merkmale des Sturm und Drang lassen sich als ein Auflehnen oder Rebellieren gegen die Epoche der Aufklärung zusammenfassen. Das philosophische und literarische Leben in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und die Literatur sollten dadurch maßgeblich beeinflusst werden. Die Vertreter waren zumeist Schriftsteller jüngeren Alters, meistens nicht älter als 30 Jahre. Die Autoren versuchten in den Dichtungen eine geeignete Sprache zu finden, um die persönlichen Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen. Die Nachahmung und Idealisierung von Autoren aus vergangenen Epochen wie dem Barock wurde abgelehnt. Die alten Werke wurden dennoch geschätzt und dienten als Inspiration. Es wurde eine eigene Jugendkultur und Jugendsprache mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Wiederholungen und Halbsätzen geschaffen. Mit dem Hinwenden Goethes und Schillers zur Weimarer Klassik endete der Sturm und Drang.
Die Literaturepoche der Klassik beginnt nach herrschender Auffassung mit der Italienreise Goethes, die er 1786 im Alter von 36 Jahren machte. Das Ende der Epoche wird auf 1832 datiert. In der Klassik wurde die Literatur durch Auswirkungen der Französischen Revolution, die ziemlich zu Beginn der Epoche stattfand, entscheidend geprägt. In der Französischen Revolution setzten sich die Menschen dafür ein, dass für alle die gleichen Rechte gelten sollten. Das Zentrum dieser Literaturepoche lag in Weimar. Es sind sowohl die Bezeichnungen Klassik als auch Weimarer Klassik gebräuchlich. Die Klassik orientiert sich an traditionellen Vorbildern aus der Antike. Sie strebt nach Harmonie ganz im Gegensatz zur Epoche der Aufklärung und des Sturm und Drangs. In der Gestaltung wurde das Gültige, Gesetzmäßige, Wesentliche sowie die Harmonie und der Ausgleich gesucht. Im Gegensatz zum Sturm und Drang, wo die Sprache oft derb und roh ist, bleibt die Sprache in der Klassik den sich selbst gesetzten Regeln treu. Die wichtigsten Schriftsteller der Weimarer Klassik sind Friedrich Schiller und Johann Wolfgang von Goethe. Andere bekannte Schriftsteller der Weimarer Klassik sind Johann Gottfried Herder und Christoph Martin Wieland. Die beiden letztgenannten arbeiteten aber jeweils für sich. Einen konstruktiven Austausch im Sinne eines gemeinsamen Arbeitsverhältnisses gab es nur zwischen Goethe und Schiller.
Das 392 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 72 Versen mit insgesamt 18 Strophen. Johann Wolfgang von Goethe ist auch der Autor für Gedichte wie „An den Schlaf“, „An den Selbstherscher“ und „An die Entfernte“. Zum Autor des Gedichtes „Die Liebhaber“ haben wir auf abi-pur.de weitere 1618 Gedichte veröffentlicht.
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