Die Lehre der Bescheidenheit von Friedrich August Eschen
Idylle.
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Nie doch, ihr Männer, entsagt der Bescheidenheit, glaubet es nimmer, |
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Daß euch alles und jedes, sobald ihr hegehrt, zu Gebot sey, |
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Und leicht alles gelinge! So redete, warnend, Aline |
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Neulich zu mir, und ich stand und wagte nicht, wie sie es sagte, |
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Ihr in die Augen zu sehn und den Blick von der Erde zu heben. |
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Denn wohl hatte sie Recht, und sie freute sich meiner Beschämung, |
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Die ich verdient. Denn jüngft in traulicher Stille des Abends |
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Saßen wir, fröhlich im Herzen, und plauderten, manches bedenkend, |
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Wie es geschieht, wenn der Jüngling sitzt beym erkohrenen Mädchen: |
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Und, wie das Mädchen da saß und mit zarten Fingern die Arbeit |
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Fertigte, die sie begonnen am weichen seidenen Strumpfe, |
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Schnell mit den blinkenden Stäben die zierlichen Maschen vollendend |
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Sprach ich die rühmenden Worte mit unbedachtsamem Geiste; |
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Wahrlich ich schaue bewundernd, wie flüchtig, holde Geliebte, |
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Mit den gewechselten Fingern den seidenen Rand du umeilest! |
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Also geziemt es den Mädchen, die einst sorgfältig die Mutter |
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Lehrete, daß sie mit Kunst und Fertigkeit üben die Arbeit, |
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Bald mit der spitzigen Nadel das Halstuch zierlich zu säumen, |
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Bald auf dem Borde des weißen Gewands nachahmend zu bilden |
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Blumen des Feldes und Moos und, mit goldenen Beeren, des Epheua |
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Dunkelgrünende Ranken, daß jeglicher fröhlich es anstaunt, |
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Wenn er mit solchem Gewande geschmückt, am festlichen Tage, |
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Sieht hinwandeln ein Mädchen von schöngebildetem Ansehn. |
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Fertigkeit zwar erfordert und Sorgfalt solcherlei Arbeit, |
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Daß sie gelinge nach Wunsch, wie dir, holdblühendes Mädchen! |
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Doch, so denk’ ich, es möchte dem Manne wohl, wenn er begehrte |
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Mädchengeschäft mit den Händen zu fertigen, bald auch gelingen. |
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Spotte nicht, schelmisches Mädchen, mit spitzigem, lächelndem Munde |
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Ueber die Worte mir jetzt, die ich im Ernste gesprochen! |
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Denn was wäre dem Manne, der eignes Vertraun in der Brust hegt, |
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Wohl zu vollenden versagt mit des Geistes Kraft und Gewandheit! |
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Was euch schwieriger scheint, muthwillige, flatternde Mädchen, |
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Leichter gelinget es ihm mit festausharrendem Geiste. |
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Lächelnd erwiedert’ Aline darauf, die lockige Jungfrau: |
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Wahrlich ein kühnes Wort verkündest du, leicht zu verkünden. |
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Doch nicht leicht zu erfüllen: das Wort ist geflügelt und eilet |
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Schnell von den Lippen herab, wie des Felsens rieselnde Bäche, |
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Wo nach der Welle die Welle mit hüpfendem Spiele verschwindet. |
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Aber wohlan, ich hadere nicht; nur magst du versuchen, |
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Was du vermögend seyst mit des Geistes Kraft und Gewandheit. |
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Nimm dies seidene Tuch und löse mir, ohne Verletzung, |
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Rings von dem Rande die Spitzen, die künstlich gewebt, ihn umlaufen: |
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Wahrlich von allen Geschäften das leichteste, welches wir üben! |
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Welches das Kind schon versteht, wenn es kaum die Worte der Mutter |
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Still aufhorchend begreift und mit schwankenden Tritten noch wandelt! |
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Also sprach sie mit Lächeln und spottete, reichte das schwarze |
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Seidene Tuch mir dann mit künstlichgewebeten Spitzen, |
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Und ich verhieß ihr, beydes getrennt am morgenden Tage |
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Frühe zu bringen: denn leicht, so redet’ ich, wäre die Arbeit, |
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Daß auch ein Kind wohl verstände, mit achtsamem Sinn sie zu üben. |
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Freundlich boten wir dann uns des Abschieds Worte, denn spät schon |
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War es, und Hesperus winkte mit glänzendem Lichte vom Himmel |
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Lange bereits und, wiewohl noch fern’ uns beyden der Schlaf war, |
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Bat mich das Mädchen zu gehn und ermahnete, daß nicht die Nachbarn, |
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Wie es in Städtchen geschieht, von dem spätbesuchenden sprächen. |
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Doch als entschwunden die Nacht und des Morgens goldene Röthe |
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Strahlete, die uns im Osten die leuchtende Sonne verkündet, |
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Gieng ich muthig zum Werk, und es glückte mir, bis ich dem Ende |
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Nahe schon war. Da dacht’ ich des holden Mädchens Beschämung, |
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Wenn ich ihr brächte das Tuch und die künstlichgewebeten Spitzen: |
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Siehe nun fehlte die Hand, es trennte sich plötzlich der Maschen |
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Jegliche, bis an das End’, und ein Schrecken ergriff mir die Seele, |
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Wie ich das sichre Vertrauen so ungehoft mir getäuscht sah. |
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Manches ersann ich im Geist zu entschuldigen, was ich gefehlet, |
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Als ich Alinen mich nahte, der Fertigkeit Zeugnis zu bringen, |
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Doch nichts schien mir bewährt zur Vertheidigung; voll der Beschämung |
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Stand ich und hörte die Worte des ernstlich-warnenden Mädchens, |
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Welche sie sprach von dem Ruhm der Bescheidenheit, und von dem Stolze, |
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Den in der Brust stets trüge der Mann, daß jegliches Werk ihm, |
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Das er ergreift, leicht scheine mit klugem Geist zu fördern, |
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Bis er es einstens versucht und des Stolzes selber gewahr wird. |
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Aber sie redete dann von dem stillen bescheidenen Sinne, |
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Welchen das Weib sich erwählt, und der dem rauheren Mann selbst |
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Bringe das zarte Gefühl der nie verblühenden Liebe, |
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Die er dem Mädchen gesteht. Dann lobte sie, freudiges Herzens, |
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Jede der weiblichen Künste, die einst, wie die Weisen der Vorzeit |
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Dichteten, jeglicher Ding’ Ursprung und Würde beachtend, |
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Selber der Weisheit Göttin gebracht von den Höhen des Himmels, |
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Und die sie selber geübt, die unsterbliche, heilige, Göttin. |
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Solches und anderes sprach sie mit sanfterhobener Stimme, |
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Blickte sodann mich an und lächelte, daß sie im Herzen |
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Fröhlichen Muth mir erneut’, und ich redete, also erwiedernd: |
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Zürne nicht, holde Geliebte, denn wohl erkenn’ ich den Irrthum, |
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Dem ich gefolgt, und ich achte der Warnung, welche du redest |
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Lobend des Weibes Sinn und die Gaben der himmlischen Göttin. |
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Aber o höre mich jetzt, blauäugige! gerne vielleicht dann |
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Möchtest du, wenn ich gefehlt, mich entschuldigen, wie ich begehre: |
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Achte der Worte genau, denn wahr ist, was sie verkünden. |
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Als noch heute der Stern des ergrauenden Morgens am Himmel |
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Leuchtete, und noch der Mond aus dem schwebenden Silbergewölke |
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Blickte zur Erde hinab, mit stillem Glanz sie erhellend ; |
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Siehe, da nahte mir Amor und weckte mich, solches mir redend: |
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Schlummre nicht mehr, bald nahet der Tag mit der Röthe des Morgens. |
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Ueber die ruhende Flur! drum hebe dich, daß du vollendest, |
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Was dir am gestrigen Abend das holde Mädchen geboten: |
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Säume nicht! säumenden stets entfliehn die geflügelten Götter! |
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Gerne gehorcht’ ich dem Knaben, der stets mich am Tage begleitet, |
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Stets mich beschützt in der Stille der Nacht; denn er folget der Liebe. |
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Schleunig umhüllt’ ich die Schultern und winkte dem lockigen Knaben, |
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Welcher, dem Winke bereit, hineilete, daß er mir brächte |
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Rasch das gebotene Werk, und ich setzte mich, wie er es brachte, |
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Auf den gepolsterten Sitz, und es hielt mit der Linken die Fackel |
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Amor, daß lieblich strahlte das schwarze Tuch in dem Glanze; |
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Aber er half mit der andern Hand das Werk mir befördern, |
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Und mit gewechselten Händen beschleunigend, zogen wir achtsam |
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Fädchen nach Fädchen heraus, und wir lachten des schleunigen Wechselns. |
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Leicht nur erschien uns das Werk und es nahete, fröhlich begonnen, |
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Bald sich dem Ende: da lachte mit schalkhaft-blickenden Augen |
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Amor (denn nimmer entflieht aus dem feurigen Busen der Schalk ihm) |
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Und er begann: So half ich dem tapferen Herkules ehmals, |
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Als mit bezaubernden Reizen die blühende lydische Jungfrau, |
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Omphale, raubte sein Herz. Denn nie sonst hätte die Hand ihm, |
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Nur an die Keule gewohnt, dem Gespinnst sich gefügt und die Spindel |
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Rollend gedreht: doch ich half und da rollt’ er sie, fertiges Schwunges, |
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So wie mit zauberndem Spruch die Thessalerin, welche der Jüngling |
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Flatterndes Sinnes verließ, schnell dreht des umsponnenen Rades |
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Wirbelnden Kreis, um zu bannen den nie vergeßnen Geliebten. |
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Aber, ein anderer Herkules nun, so scheinst du mir, übet |
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Seiner erkohrenen Omphale hier die Geschäfte des Mädchens: |
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Und wohl hätt’ es auch dir nicht geglückt, wenn nicht mit der Fackel |
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Ich dir geleuchtet und dann hülfreich die Rechte geboten. |
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Also sprach er und rühmte sich laut; da vergaß ich der Regeln, |
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Dachte, Geliebte, nur dein, des stillen bescheidenen Mädchens. |
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Dachte der dunkelen Bläue, die dir aus den Augen hervorblickt, |
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Und des geringelten Haars von bescheidenen Blumen durchflochten. |
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Ach! nun irrte die Hand, und es trennte sich Masche von Masche, |
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Und mir entsank, wie erschrocken ich war, die blinkende Nadel. |
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Strafen wollt’ ich den Amor sofort, denn, wie er gewohnt ist, |
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Hatt’ er mit schlauem Bedachte mir wissentlich solches ersonnen: |
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Doch er entschlüpfte mir stets und lachte nur, wie ich ihm zürnte, |
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Redete dann liebkosend: O zürne nicht! denn zu dem Mädchen |
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Eil’ ich sofort und erfülle mit liebender Milde das Herz ihr, |
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Daß sie dir leicht und gerne verzeiht und des Fehlers nicht denket: |
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Traue mir, wie du es pflegft, und achte du meiner Verheißung! |
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Sprachs, und enteilte sodann, und der That froh, die er verübte, |
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Schwang er die Fackel, daß rings wie im goldenen Glänze sein Haupthaar |
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Leuchtete: und ich erkannte des Gottes herrliche Größe. |
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Volles Vertraun nun fühlt’ ich, und freute mich, weil er verheißen, |
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Daß du mit liebender Milde mir leicht und gerne verziehest. |
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Also sprach ich: da gab Aline mir, wie ich begehrte, |
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Gern die Verzeihung und sprach mit freudig-blickenden Augen: |
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Traue dem Gotte der Liebe nur stets, wie ich ihm vertraue! |
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Denn nie täuschet er den, der mit reinem Herzen ihm dienet: |
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Und so hat er auch deiner gedacht und leicht mich beredet, |
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Wie mich mein eigenes Herz beredete, daß ich es thäte. |
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Also sprach sie und reichte die Hand mir, und wir gelobten |
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Immer dem Gott zu vertraun, und der Gott vernahm das Gelübde: |
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Und nun denken wir immer mit fröhlichem Herzen des Tages, |
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Wo sie mir reichte das weibliche Werk, das ich fehlend verlezte. |
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Auch der Ermahnungen denk’ ich, die mir die Geliebte gegeben, |
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Und nie glaub’ ich es mehr, daß jedes dem Mann zu Gebot sey |
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Und ihm alles gelinge, wenn nicht das sanftere Weib ihn |
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Gerne begleitet und hilft. So lehrete stets mich Aline. |
Details zum Gedicht „Die Lehre der Bescheidenheit“
Friedrich August Eschen
13
153
1533
1799
Klassik,
Romantik
Gedicht-Analyse
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Die Lehre der Bescheidenheit“ des Autors Friedrich August Eschen. Im Jahr 1776 wurde Eschen in Eutin geboren. 1799 ist das Gedicht entstanden. Erschienen ist der Text in Tübingen. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht den Epochen Klassik oder Romantik zuordnen. Bei Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit der Zuordnung. Die Auswahl der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und muss daher nicht unbedingt richtig sein. Das Gedicht besteht aus 153 Versen mit insgesamt 13 Strophen und umfasst dabei 1533 Worte. Der Dichter Friedrich August Eschen ist auch der Autor für das Gedicht „An Louise“. Zum Autor des Gedichtes „Die Lehre der Bescheidenheit“ haben wir auf abi-pur.de keine weiteren Gedichte veröffentlicht.
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