Die Kunst von Karl Ludwig von Woltmann

Der Abend strahlt auf Pindus Höhn,
Die Glut der Phantasie umglänzt die Gipfel,
Ihr Athem weht durch diese Lorbeerwipfel,
In deren Hain die Musen gehn.
 
Von jedem Baum schwebt Melodie!
Bald wird Gesang aus ferner Grotte hallen,
Und durch die Nacht auf jener Quelle wallen,
Der Phöbus Wunderkraft verlieh.
 
Hier ist der Menscheit Heiligthum!
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O! wäre nie im Schatten dieser grünen
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Geweihten Gäng’ Apollons Chor erschienen,
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Uns bliebe kaum des Thieres Ruhm.
 
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Vom Bildner, der sein Ideal
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Bei diesen Lorbeern fand in Rosendüften,
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Erhob der Mensch sich zu den Aetherlüften
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Der Wahrheit, in der Sonne Strahl.
 
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Vom Dichterhauch aus Pindus Hain
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Ward unser Geist auf des Gesanges Wogen
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Zum Reiche der Begriffe fortgezogen,
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Und maß der Sterne fernen Schein.
 
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Die Schönheit goß voll Heiterkeit
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Ihr Licht von diesen Höhn auf unsre Erde;
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Da rief die Pflicht ihr schöpferisches Werde!
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Und vor uns war Unendlichkeit.
 
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Wer nicht der Schönheit Morgenroth
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Als Greis noch liebt mit Feuerkraft der Jugend,
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Der ist kein Mensch, ein Joch ist seine Tugend,
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Und er ein Sklav’ und ein Despot.
 
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O! rausche stärker, Lorbeerhain!
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In deinem Sturm will ich den Menschen singen,
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Wie mit Vernunft die Sinne ewig ringen,
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Wenn beide sich der Kunst nicht weihn.
 
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Und strafen will ich jeden Staat,
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Der sie verschmäht! er stellt dem Laster Netze,
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Zertheilt des Menschen Geist, und giebt Gesetze,
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Ein Greuel für den Götter-Rath.
 
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Wie seine Bürger irre gehn!
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Er treibt sie zu der Wissenschaften Gipfeln,
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Entfernet von der Künste Blüthenwipfeln,
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Die auf dem rechten Pfade wehn.
 
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Doch horch, es schweigt der Lorbeerhain!
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Ich seh den Mond durch alle Zweige wallen,
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Ich höre Lieder aus der Grotte hallen,
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Der Musen Lieblingsaufenthalt.
 
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O! schonet mein, zu mächtig weiht
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Mich der Gesang! der Hain, die Wiese wanket
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Im Mondenlicht, der Sternenhimmel schwanket,
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Mein Busen faßt die Ewigkeit.
 
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»Hinan, so rauscht das Lied daher,
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Hinan den höchsten Berg! der Erde Kinder,
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Hinauf! dort weht der Menscheit Athem linder,
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Dort strömt der Wahrheit Strahlenmeer!
 
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Wallt sicher an der Künste Hand;
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Sie schenken euch dereinst des Adlers Flügel
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Zu immer kühnerm Flug auf ferne Hügel,
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Die kaum des Sehers Auge fand.
 
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Hinauf zu ihren Blumenhöhn,
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Wo himmelan Apollons Tempel ragen,
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Durch deren Hallen in den bessern Tagen,
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Die Sinne mit der Freiheit gehn.
 
61 
Hinauf zum schönsten Morgenroth!
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Da sind die Sterblichen der Götter Brüder,
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Und wir, wir leiten sichrer sie durch Lieder,
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Als sonst der Staaten Machtgebot.«
Arbeitsblatt zum Gedicht
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Details zum Gedicht „Die Kunst“

Anzahl Strophen
16
Anzahl Verse
64
Anzahl Wörter
393
Entstehungsjahr
1796
Epoche
Klassik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht wurde von Karl Ludwig von Woltmann geschrieben, der am 9. Februar 1770 geboren wurde und am 19. Juni 1817 starb. Es kann zeitlich in die Epoche der Romantik eingeordnet werden, die von etwa 1795 bis 1848 dauerte.

Der erste Eindruck des Gedichts ist von einer starken Naturverbundenheit geprägt. Die Natur und ihre Schönheit werden als Quelle der Inspiration und Heiligtum der Menschheit dargestellt.

Der Inhalt des Gedichts besteht aus einer Lobeshymne auf die Kunst und ihre verschiedenen Ausdrucksformen. Der Autor betont, dass die Kunst den Menschen mit der Göttlichkeit verbindet, seinen Geist in die Höhen des Wissens und der Ästhetik erhebt und ein Tor zur Unendlichkeit öffnet. Es wird auch kritisiert, dass Staaten und Gesellschaften oft die Kunst und Kultur vernachlässigen und stattdessen dem Laster und der Unterdrückung Raum geben. Der Autor ruft dazu auf, die Kunst zu schätzen und zu fördern, da sie den Menschen zu höheren Zielen führt.

Das Gedicht hat eine regelmäßige Struktur mit 16 Strophen zu je 4 Versen. Diese symmetrische Struktur verstärkt den Eindruck von Harmonie und Klarheit. Die Sprache ist poetisch und bildreich, was typisch für die Romantik ist. Es werden metaphorische Vergleiche verwendet, um die Bedeutung und Wirkung der Kunst zu verdeutlichen. Die Natur wird als Quelle der Inspiration dargestellt, während die Kunst als Mittel dient, um die Sinne und den Geist zu erheben. Die Sprache ist leidenschaftlich und ideenreich, um die Bedeutung der Kunst für das menschliche Leben zu unterstreichen.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Die Kunst“ ist Karl Ludwig von Woltmann. Woltmann wurde im Jahr 1770 in Oldenburg geboren. Im Jahr 1796 ist das Gedicht entstanden. Erschienen ist der Text in Neustrelitz. Eine Zuordnung des Gedichtes zur Epoche Klassik kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Prüfe bitte vor Verwendung die Angaben zur Epoche auf Richtigkeit. Die Zuordnung der Epoche ist auf zeitlicher Ebene geschehen. Da sich Literaturepochen zeitlich überschneiden, ist eine reine zeitliche Zuordnung häufig mit Fehlern behaftet. Das 393 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 64 Versen mit insgesamt 16 Strophen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Karl Ludwig von Woltmann sind „Die Rache der Elfen“, „Die Treue“ und „Die Verheissung“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Die Kunst“ keine weiteren Gedichte vor.

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