Die Judenverfolgung in Rußland von Rudolf Lavant

Wenn sie in Leipzig sich versammeln
Und dort, nachdem sie pokulirt,
Ihr altes, blödes Credo stammeln
Von Juda, das die Welt regiert;
Wenn sie in jeder Tonart hassen,
Wenn Stöcker zu den Treuen spricht,
So kann man sie gewähren lassen –
Sie bellen, doch sie beißen nicht.
 
Doch wenn im weiten Reich des Zaren,
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In dem die Sonne nicht versinkt,
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Gelassen den Kosackenschaaren
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Der unumschränkte Herrscher winkt,
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Wenn er den ewig Heimathlosen
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Die letzte Zufluchtsstätte raubt,
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Dann reißt den Kranz aus weißen Rosen
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der Menschheit Engel sich vom Haupt.
 
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Du stolzes, prahlendes Jahrhundert,
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Das rastlos neue Pfade bahnt
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Und sich so oft und gern bewundert –
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Wann hast du solche Schmach geahnt?
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Und hallt ein Schrei durch alle Lande
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Von Kontinent zu Kontinent,
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Verkündend laut, daß Rußlands Schande
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Verzehrend dir im Herzen brennt?
 
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Du solltest flammen, solltest trauern,
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Und findest in der Seele kaum
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Zu einem frostigen Bedauern,
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Zu einem Achselzucken Raum!
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Wer hätte das zu Lessing’s Zeiten
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In trüben Stunden nur gedacht?
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Fürwahr, bei allem Vorwärtsschreiten
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Hat man es herrlich weit gebracht!
 
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Und wären’s wenigstens die Echten,
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Die da Millionen eingesackt,
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Die man, den Kantschu in der Rechten,
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In die Kibitke höhnend packt!
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So aber werden sie entschlüpfen,
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Sei’s so, sei’s anders, der Gefahr,
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Denn die Kosackenherzen hüpfen
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Und fühlen menschlich – gegen baar.
 
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Sie bleiben fühllos wie die Wände
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Wenn dir vom Aug’ die Thräne tropft,
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Allein sie haben hohle Hände,
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Die man mit Rubelscheinen stopft.
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Man bringt, daferne man beschnitten,
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Tribut zur rechten Stunde dar
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Und wird auch fernerhin gelitten –
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Das Gold ist mächt’ger als der Zar.
 
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Die sie vor ihre Hütten setzen
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Mit Weib und Kind mit roher Hand,
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Die sie aus ihren Städten hetzen
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Ins öde, graue Steppenland,
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Die wehrlos und verzweifelt weinen
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In fremder Welt in Angst und Noth,
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Das sind die Armen, Schwachen, Kleinen,
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Die sich gemüht ums schwarze Brot.
 
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Dem Volke gilt’s – doch nicht die Reichen,
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Die Herren über’s Gegengift –
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Die Armen sind’s, die Hungerbleichen,
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Die des Ukases Härte trifft.
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Und weil es so, weil alles Klagen
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Umsonst zu tauben Ohren sprach,
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Sei dieser Schand-Ukas geschlagen
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Für ewig an den Pfahl der Schmach!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (28.3 KB)

Details zum Gedicht „Die Judenverfolgung in Rußland“

Anzahl Strophen
8
Anzahl Verse
64
Anzahl Wörter
356
Entstehungsjahr
1893
Epoche
Naturalismus,
Moderne

Gedicht-Analyse

Rudolf Lavant ist der Autor des Gedichtes „Die Judenverfolgung in Rußland“. Geboren wurde Lavant im Jahr 1844 in Leipzig. 1893 ist das Gedicht entstanden. In Stuttgart ist der Text erschienen. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text den Epochen Naturalismus oder Moderne zugeordnet werden. Vor Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und daher anfällig für Fehler. Das 356 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 64 Versen mit insgesamt 8 Strophen. Der Dichter Rudolf Lavant ist auch der Autor für Gedichte wie „An Herrn Crispi“, „An das Jahr“ und „An den Herrn Minister Herrfurth Exzellenz“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Die Judenverfolgung in Rußland“ weitere 96 Gedichte vor.

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