Abschiedsaria von Johann Christian Günther

Schweig du doch nur, du Hälfte meiner Brust;
Denn was du weinst, ist Blut aus meinem Herzen.
Ich taumle so und hab an nichts mehr Lust
Als an der Angst und den getreuen Schmerzen,
Womit der Stern, der unsre Liebe trennt,
Die Augen brennt.
 
Die Zärtligkeit der innerlichen Qual
Erlaubt mir kaum, ein ganzes Wort zu machen.
Was dem geschieht, um welchen Keil und Strahl
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Bey heißer Luft in weitem Felde krachen,
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Geschieht auch mir durch dieses Donnerwort:
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Nun muß ich fort.
 
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Ach harter Schluß, der unsre Musen zwingt,
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Des Fleißes Ruhm in fremder Luft zu gründen
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Und der auch mich mit Furcht und Angst umringt!
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Welch Pflaster kan den tiefen Riß verbinden,
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Den tiefen Riß, der mich und dich zulezt
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In Kummer sezt?
 
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Der Abschiedskuß verschliest mein Paradies,
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Aus welchem mich Zeit und Verhängnüß treiben;
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So viel bisher dein Antliz Sonnen wies,
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So mancher Bliz wird jezt mein Schröcken bleiben.
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Der Zweifel wacht und spricht von deiner Treu:
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Sie ist vorbey.
 
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Verzeih mir doch den Argwohn gegen dich;
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Wer brünstig liebt, dem macht die Furcht stets bange.
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Der Menschen Herz verändert wunderlich;
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Wer weis, wie bald mein Geist die Post empfange,
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Daß die, so mich in Gegenwart geküst,
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Entfernt vergißt.
 
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Gedenck einmahl, wie schön wir vor gelebt
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Und wie geheim wir unsre Lust genoßen.
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Da hat kein Neid der Reizung widerstrebt,
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Womit du mich an Hals und Brust geschloßen,
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Da sah uns auch bey selbst erwüntschter Ruh
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Kein Wächter zu.
 
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Genung! Ich muß; die Marterglocke schlägt.
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Hier liegt mein Herz, da nimm es aus dem Munde
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Und heb es auf, die Früchte, so es trägt,
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Sind Ruh und Trost bey mancher bösen Stunde,
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Und lis, so oft dein Gram die Leute flieht,
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Mein Abschiedslied.
 
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Wohin ich geh, begleitet mich dein Bild,
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Kein fremder Zug wird mir den Schaz entreißen;
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Es macht mich treu und ist ein Hofnungsschild,
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Wenn Neid und Noth Verfolgungssteine schmeißen,
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Bis daß die Hand, die uns hier Dörner flicht,
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Die Myrthen bricht.
 
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Erinnre dich zum öftern meiner Huld
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Und nähre sie mit süßem Angedencken!
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Du wirst betrübt, dies ist des Abschieds Schuld,
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So muß ich dich zum ersten Mahle kräncken,
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Und fordert mich der erste Gang von hier,
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So sterb ich dir.
 
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Ich sterbe dir, und soll ein fremder Sand
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Den oft durch dich ergözten Leib bedecken,
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So gönne mir das lezte Liebespfand
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Und las ein Creuz mit dieser Grabschrift stecken:
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Wo ist ein Mensch, der treulich lieben kan?
60 
Hier liegt der Mann.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (29.4 KB)

Details zum Gedicht „Abschiedsaria“

Anzahl Strophen
10
Anzahl Verse
60
Anzahl Wörter
407
Entstehungsjahr
1695 - 1723
Epoche
Barock

Gedicht-Analyse

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Abschiedsaria“ des Autors Johann Christian Günther. Günther wurde im Jahr 1695 in Striegau geboren. Im Zeitraum zwischen 1711 und 1723 ist das Gedicht entstanden. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text der Epoche Barock zugeordnet werden. Günther ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche.

Die deutsche Epoche des Barock beginnt circa 1600 und endet im Jahr 1720. Die wörtliche Übersetzung des portugiesischen Begriffes „barocco“ lautet „schiefe Perle“. Mit dem Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) erlebte Deutschland einen wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Verfall. Etwa ein Drittel des deutschen Volkes kam in dieser Zeit ums Leben. Dafür waren nicht etwa hohe Kriegsverluste verantwortlich, sondern das Wüten der Pest in nahezu allen großen und kleinen Städten des Deutschen Reiches. Die Literatur des Barocks ist stark beeinflusst von der Antithetik. Das heißt, die Menschen nahmen ihre Welt als widersprüchlich und gegensätzlich war. Das Leben der einfachen Bevölkerung war von Armut, Krieg und Krankheit geprägt. Bei den Adeligen herrschten dennoch Luxus und Verschwendung. In Deutschland führte der Barock zu einer Ablösung des Lateinischen in der Literatur - einschließlich der wissenschaftlichen und philosophischen Literatur - durch das Deutsche. Da während der Literaturepoche des Barocks die äußere Ästhetik und der Wohlklang eines literarischen Werkes eine bedeutende Rolle spielten, war die bevorzugte Literaturform das Gedicht. In den Gedichten wurden sehr gerne Symbole, Metaphern und Hyperbolik verwendet.

Das vorliegende Gedicht umfasst 407 Wörter. Es baut sich aus 10 Strophen auf und besteht aus 60 Versen. Johann Christian Günther ist auch der Autor für Gedichte wie „Rosen“, „So aber sucht man ihm die Wege vorzuschreiben“ und „Der Unruh wird noch mehr, wenn Wieg- und Nahmenfest“. Zum Autor des Gedichtes „Abschiedsaria“ haben wir auf abi-pur.de weitere 264 Gedichte veröffentlicht.

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