Die Geschichte vom kleinen Ei von Theodor Fontane
Märkisches
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Die Gräfin und ihr fünfzehnjähriger Sohn, |
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Auch zwei Comtessen halb erwachsen schon, |
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Sie sollen fort, bis Capri, bis Sorrent, |
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Und wenn zu heiß es dann vom Himmel brennt, |
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Dann rasch zurück nach Schweiz und Interlaken, |
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Denn mit poor Alfred hat es einen Haken: |
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Er hustet, – und so viel hängt an dem Jungen, |
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Und wenn’s das Herz nicht ist, so sind’s die Lungen. |
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Anfährt die Kutsche. Vor dem Erdgeschoß |
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Stehn sieben Koffer, – einer ein Koloß, |
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Und was von Hausgesind’ das Schloß umfängt, |
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Es hat voll Eifer sich herangedrängt. |
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Ein alter Diener (Erbstück) in Gamaschen |
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Bringt immer neue Plaids und Reisetaschen; |
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Die Kammerjungfer schluchzt, der Kandidat |
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Gibt für Verona seinen Reiserath, |
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Und mahnt ein wenig schelmisch die Comtessen |
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Das „Grab der Julia“ ja nicht zu vergessen; |
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Ernst aber steht am Schlag der alte Graf, – |
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Ob ihn der Abschied allzu schmerzlich traf? |
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Er hält nicht viel von Bahn- und Gasthofstreiben, |
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Ich glaube fast, ihm paßt’s zu Haus zu bleiben; |
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Daneben aber thut er, was er muß: |
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Er spart nicht Händedruck, nicht Abschiedskuß, |
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Klappt in die Höh der Kutsche Lederdach, |
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„A rivederci!“ ruft er ihnen nach – |
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Er hatte sich sprachlustig mitbeschäftigt, |
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Als sich die Damen für Sorrent gekräftigt. |
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Nun sind sie fort. Im Vorflur ist es warm, |
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Der Graf ergreift des Kandidaten Arm |
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Und sagt, in heitrem Auf- und Niederschreiten: |
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„Ja, lieber Porst, nun kommen schlimme Zeiten, |
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Der Doktor hat von Ende Herbst gesprochen, |
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Das giebt für Sie sehr lange Ferienwochen, |
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Vielleicht zu lang; ich muß im Reichstag sein, |
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Dann sitzen Sie hier mutterwind allein; |
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Ich weiß nicht, ob Stillsitzen Ihnen paßt, |
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Dreivierteljahr, die Länge hat die Last; |
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Ich für mein Theil, ich hätte nichts dagegen, |
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Wenn Sie sich ausruhn woll’n und etwas pflegen, |
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Vielleicht zu Haus, in Vaters Försterei |
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Mit Stadt- und Kloster Lindow dicht dabei.“ |
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„Verzeihn, Herr Graf, indessen steht’s bei mir, |
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Trotz Elternhaus, ich bleib’ am liebsten hier; |
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Ich hab’ hier meine Bücher, meine Sachen, |
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Will, wenn es sein kann, meinen Doktor machen; |
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Hab’ auch Verkehr hier, alt’ und junge Leute, |
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Den Pastor morgen und den Lehrer heute, |
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Kann mit dem Gärtner pflanzen und begießen, |
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Kann mit dem Jäger einen Hasen schießen, |
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Und kommt’s zum Schlimmsten, geh’ ich in den Krug, |
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Bestell’ ein Seidel mir und rede klug, |
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Wie man’s so thut, von Rüben und von Raps, |
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– Der Krüger freilich ist halb Taps, halb Flaps, |
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Allein die Frau, die geht, die kann ich leiden, |
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Ist jedenfalls die Klügre von den Beiden, |
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Ein bischen nach sich, sparsam und genau, |
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Doch immerhin ’ne nette märksche Frau.“ |
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„Nun, lieber Porst, mir recht. Und ’s wird schon gehn – |
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Nur immer ’n bischen nach dem Rechten sehn; |
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Und wenn im Reichstag mal ein Ruhtag ist, |
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So komm’ ich, und wir haben unsern Whist; |
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Man muß sich schließlich auch einmal was gönnen, |
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Und unser Dritter, – nu, der wird schon können.“ |
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Und so kam Mai. Der Fink im Walde schlug, |
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Porst ging spazieren oder saß im Krug, |
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Meist plaudernd mit des Krügers muntrer Frau |
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Von Margarine, Butter, Mastviehschau, |
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Von Wollmarkt und wie gut der Roggen stünde, – |
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Das ew’ge Klagen sei doch fast ’ne Sünde. |
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„‚Das find’ ich auch und sag’ es jeden Morgen; |
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Die Wirthschaft, ach, ich hab’ ganz andre Sorgen, |
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Die Jungen wachsen ’ran, die richt’gen Rangen, |
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Mit unserm Willem is’ nichts anzufangen: |
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Der Jung’ is faul, für gar nichts hat er Sinn, – |
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Ganz wie sein Vater dröhmt er bloß so hin, – |
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Und’s Rechnen wird ihm alle Tage schwerer, – |
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Ich habe schon gedacht … vielleicht der Lehrer?‘“ |
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„Wohl möglich, Frau; doch wie’s damit auch sei, |
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Da hilft sich’s schon ohn’ große Hexerei, |
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Latein, Geschichte werd’ ich mit ihm treiben, |
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– Kann er denn schon ’nen deutschen Aufsatz schreiben? |
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Und wenn auch nicht, so viel versprech ich Ihnen, |
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Er soll, zum mind’sten, nicht drei Jahre dienen.“ |
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Und wie versprochen, gleich am andern Tag |
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Tritt Porst ins Zimmer, mit dem Glockenschlag; |
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Und weiter so, – nie läßt er lange warten, – |
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Er kommt mit Zumpt, mit Lexikon und Karten, |
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Und was das Best’ (im Busen wird es helle), |
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Der Junge kommt auch wirklich von der Stelle! |
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Lernt „Tabakspfeife“, „Bürgschaft“, Gellerts Fabeln, |
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Unregelmäß’ge Verben und Vokabeln, |
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Lernt piper und papaver und auf is, |
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Was masculini generis. |
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Und eines Tages, nicht mehr allzu früh, |
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(… „‚er bleibt zu lange, gibt sich zu viel Müh‘“) |
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Erscheint beim Unterricht die Krügerin |
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Und stellt vor Porst ’nen Eierbecher hin, |
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’nen Eierbecher, drin ein kleines Ei, |
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Ganz klein, die dünne Schale schon entzwei. |
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Porst lächelt, nimmt’s und ißt’s in guter Ruh; |
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Die Krüg’rin lächelt auch, und sieht ihm zu. |
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* * * |
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Vergangen sind an zweiundzwanzig Jahr |
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Der Kandidat Konsistorialrath war, |
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Hofprediger, Generalsup’rintendent, |
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Ein großer Stern am preuß’schen Firmament. |
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Und heut’ vom Königsschloß her, klar und munter |
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Kommt er den breiten Opernplatz herunter |
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Und an der neuen Wache, glau und schlau, |
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Wer will an ihm vorbei? – die Krügersfrau. |
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Die Schritte hemmt er. „Ei, Frau Krüg’rin, ei, |
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Hübsch stillgestanden, nicht so stolz vorbei! |
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Was macht der Mann? Was ist im Schlosse los? |
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Der Graf, ich weiß, war letzthin in Davos; |
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Und Willem; wenn nicht avanciert er ist, |
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Der ist nun wohl schon lange Reservist?“ |
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„Gott, Gott! mir zittern ordentlich die Knie, |
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Herr Kandidat, jetzt erst erkenn’ ich Sie, |
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Sonst war Ihr Rock so weit und so bequem, |
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Sie sind nicht mehr so spillrig wie vordem. |
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Und was mein Mann, mit dem wird’s immer schlimmer, |
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Er sitzt so rum und raucht und schläft noch immer; |
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Uns’ Willem aber, dem geht’s gut genug, |
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Wir sind im Altentheil, er hat den Krug; |
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Vor’m Haus die Linde hat er eingeschient, |
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Und hat auch wirklich nur ein Jahr gedient. |
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Gott, manchmal denk ich noch an all’ die Sachen, |
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’s mußt’ Ihnen doch ’ne rechte Freude machen; |
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Die Gräfin kam ja Neujahr erst zurück, |
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Da war das mit dem Willem doch ein Glück, |
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Und gab ein bißchen doch für Sie zu thun, |
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Statt so den ganzen Tag sich auszuruhn. |
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Und einmal als die Stunde schon vorbei … |
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Sie nicken … ach, Sie wissen schon … das Ei.‘“ |
Details zum Gedicht „Die Geschichte vom kleinen Ei“
Theodor Fontane
13
135
997
1895
Realismus
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Die Geschichte vom kleinen Ei“ wurde von Theodor Fontane geschrieben. Es lässt sich zeitlich in die Zeit des 19. Jahrhunderts einordnen, da Fontane von 1819 bis 1898 lebte.
Der erste Eindruck des Gedichts ist eine Beschreibung einer Reise, bei der eine Gräfin und ihr fünfzehnjähriger Sohn, begleitet von zwei jungen Comtessen, nach Capri und Sorrent reisen sollen. Jedoch gibt es ein Problem, da der Sohn krank ist und hustet. Das lyrische Ich versucht, die Reise so zu gestalten, dass sie für den kranken Jungen gut verläuft.
Der Inhalt des Gedichts besteht aus verschiedenen Strophen, die die Vorbereitungen der Reise, die Abreise selbst und die Zeit danach beschreiben. Das lyrische Ich, das als Erzähler fungiert, zeigt dabei sein Mitgefühl für den kranken Jungen und seine Sorge um ihn. Es stellt dar, wie die Reise vorbereitet wird und wie der Abschied von der Familie ausfällt. Später wird beschrieben, wie der Kandidat Porst, der sich um den Jungen kümmern soll, anfängt, mit ihm zu lernen und ihn zu unterstützen. Am Ende des Gedichts wird erwähnt, dass Porst nach vielen Jahren als Konsistorialrat und Hofprediger erfolgreich geworden ist und auf dem Opernplatz empfangen wird. Dort trifft er auf die Krügersfrau, welche ihm von ihrem Ehemann und ihrem Sohn Willem erzählt.
Das Gedicht besteht aus Strophen unterschiedlicher Länge mit insgesamt 134 Versen. Es wird in reimloser Prosa dargestellt, was den Eindruck eines erzählenden Textes verstärkt. Die Sprache ist klar und einfach, was dazu beiträgt, dass der Inhalt leicht verständlich ist. Es werden viele Dialoge verwendet, um die Handlung und die Gefühle der Charaktere zu vermitteln. Insgesamt wirkt das Gedicht wie eine kurzweilige Geschichte, die den Leser in die Welt der Protagonisten entführt.
Weitere Informationen
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Die Geschichte vom kleinen Ei“ des Autors Theodor Fontane. Der Autor Theodor Fontane wurde 1819 in Neuruppin geboren. 1895 ist das Gedicht entstanden. Der Erscheinungsort ist Stuttgart und Berlin. Eine Zuordnung des Gedichtes zur Epoche Realismus kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Bei Fontane handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das 997 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 135 Versen mit insgesamt 13 Strophen. Theodor Fontane ist auch der Autor für Gedichte wie „Am Jahrestag“, „An Bettina“ und „An Emilie“. Zum Autor des Gedichtes „Die Geschichte vom kleinen Ei“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 214 Gedichte vor.
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Zum Autor Theodor Fontane sind auf abi-pur.de 214 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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