Abschiedsgedancken bey Gelegenheit einiger schweren Leibeszufälle von Johann Christian Günther

Bey so nahen Todeszeichen
Zittert meine Schwachheit nicht;
An der Seite kalter Leichen
Weis ich, daß mein Joch zerbricht.
Andre mögen schwizen liegen
Und vor Zagheit kläglich schreyn,
Ich erblicke mit Vergnügen
Den erwüntschten Abendschein.
 
Müder Geist, hör auf zu klagen,
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Kampf und Lauf sind bald vollbracht;
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Die Empfindung aller Plagen
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Schwindet in der lezten Nacht,
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Wo mich kein Verfolger dränget,
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Wo mich keine Furcht mehr schröckt,
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Die sich hier in alles menget
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Was noch etwan Lust erweckt.
 
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Strebe nun nicht mehr nach Dingen,
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Die ein eitler Wuntsch begehrt;
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Was wir außer uns erschwingen,
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Ist vorwahr der Müh nicht werth.
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Las die Sehnsucht, viel zu wißen,
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Nebst der Ruhmbegierde fliehn;
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Die Gewalt von höhern Schlüßen
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Läst dadurch dein Glück nicht blühn.
 
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Glaube nur, auf deine Bitte
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Wird kein Zeiger rückwärts gehn,
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Und des morschen Leibes Hütte
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Kan so lange nicht mehr stehn.
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Feuer, Muth und Kraft verrauchen,
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Und indem ich klüger bin,
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Zeit und Jugend erst zu brauchen,
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Sind sie wie ein Schatten hin.
 
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Was verzögerstu so lange?
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Reiß dich doch mit Großmuth los!
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Macht dir so ein Wechsel bange?
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Die Verändrung ist zwar groß;
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Doch beherzt! aus diesem Leben
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Ist in jenes nur ein Schritt,
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Und du kanst dich froh erheben,
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Weil die Weißheit mit dir tritt.
 
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Diese lies dich oftmahls hören,
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Wie man ruhig sterben kan;
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Dir gefielen ihre Lehren,
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Wende sie zum Vortheil an!
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Zeige, wie vorher im Leide,
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Daß dein unerschrockner Muth
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Dich vom Pöbel unterscheide,
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Der am Ende kläglich thut.
 
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Wohl, mein Geist, ich seh und mercke
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Deines Glaubens Zuversicht
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Nebst der ungemeinen Stärcke,
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Die schon aus dem Kercker bricht.
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O welch innerlich Ergözen
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Macht mich erst im Tode reich!
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Der Genuß von allen Schäzen
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Kommt der Wollust wohl nicht gleich.
 
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Fleuch, mein Geist! Nein, bleib und säume,
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Bis noch eine Lebenspflicht
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Durch den Abschied kurzer Reime
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Von dem lezten Willen spricht.
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Ihr Verleumder dürft nicht lachen,
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Daß mein Hausrath Armuth ist;
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Günther kan noch was vermachen,
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Warum wär er sonst ein Christ?
 
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Schöpfer, nimm mein Blut und Leben,
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Nimm das anvertraute Pfund,
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So du mir an Wiz gegeben,
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Und gedenck an deinen Bund.
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Wuchert gleich mein Fleiß im Kleinen,
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Ist er dennoch hoch gebracht,
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Wenn sein Beyspiel auch nur einen
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In der Warheit fest gemacht.
 
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Held, auf den ich mich verlaße,
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Richter, Schaz und Seelenfreund,
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Den ich brünstiger umfaße,
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Als wohl niemand denckt und meint,
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Nimm, was du dir selbst erlesen,
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Nimm und heb mein Schuldbuch auf!
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Will es ja die Rache lesen,
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O so blute vor darauf!
 
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Geist des Trostes und der Gnade,
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Die mir liebreich nachgeeilt
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Und im ersten Sündenbade
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Schon die Seeligkeit ertheilt,
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Lege meines Glaubens Siegel,
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Leg es zur Verwahrung bey,
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Bis es dort auf Salems Hügel
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Meiner Stirne Brautschmuck sey.
 
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Buße, fang mit milden Thränen,
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So mir jezt in Augen stehn
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Und mit wehmuthsvollem Sehnen
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Zur Erbarmung opfern gehn.
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Kan sie deine Hand nicht faßen,
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Suche des Erlösers Grab,
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Der sein Schweißtuch hinterlaßen;
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Dieses trocknet alles ab.
 
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Euch, ihr Sünden meiner Jugend,
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Ohne die so leicht kein Mann
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Weder zu Verstand noch Tugend
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Auf der Welt gelangen kan,
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Euch Gefehrten grüner Jahre
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Schenck ich der Vergeßenheit,
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Die mit euch in Abgrund fahre.
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Ach, wie dauret mich die Zeit!
 
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Feinden, welche meinem Schmerze
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Mit Gespötte zugesehn,
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Las ich mein versöhnlich Herze
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Statt der Rache vor ihr Schmähn;
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Freunden, die sich nur so schreiben
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Und von Joabsbrüdern sind,
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Soll mein Creuz und Kummer bleiben,
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Bis die Beßrung Kraft gewinnt.
 
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Herz und Adern wollen springen,
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Da ich halb verzweiflungsvoll
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Durch kein Flehn noch Händeringen
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Dich, mein Vater, rühren soll,
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Dich, mein Vater, deßen Güte
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Durch des Aberglaubens List
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An dem redlichsten Gemüthe
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Zur Tyrannin worden ist.
 
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Unterdeßen will ich schweigen
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Und nach meinen Pflichten thun.
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Läst mich dein erhizt Bezeigen
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Auch nicht in der Grube ruhn,
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So erwarth ich deine Liebe
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In der Ewigkeit aufs neu
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Mit dem Wuntsche reiner Triebe,
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Daß dein Tod ohn Unruh sey.
 
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Breßler, Kluge, Scharf und Mencke,
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Haben mehr an mir gethan,
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Als ich kaum, wie weit ich dencke,
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Ihnen Lob erfinden kan.
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Väter armer Pierinnen,
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Seyd zufrieden, wenn mein Geist,
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Euer Mitleid zu gewinnen,
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Einen Blick voll Ehrfurcht weist.
 
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Du mein Unglück auf der Erden,
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Allerliebste Redligkeit,
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Die du mich bey viel Beschwerden
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Gleichwohl als mein Schaz erfreut,
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Geh nun aus der Marterkammer,
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Aus der Höhle meiner Brust,
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Da du dir zum grösten Jammer
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Allzeit selber schaden must.
 
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Geh und suche beßer Glücke
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Und ein würdig Haus vor dich!
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Sieh nur, was ich schon erblicke:
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Beuchelts Herz eröfnet sich.
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Zeuch allhier mit meinem Seegen
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Und mit der Versichrung ein,
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Günther hofe deinetwegen,
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Seiner Freundschaft werth zu seyn.
 
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Treuer Candor in der Ferne,
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Der du mich zuerst gelehrt,
155 
Was zur Wißenschaft der Sterne
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Und zur Seelenruh gehört,
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Dir bescheidet meine Baare,
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Die kaum sechsundzwanzig zehlt,
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Jenen Rest der Lebensjahre,
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Der mir noch zum Alter fehlt.
 
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Was ich etwan noch vor Gaben
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In der Armuth übrig weis,
163 
Sollt ihr drey Vertrauten haben:
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Hofnung und Gedult und Fleiß.
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Brüder, last euch diese führen
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Und erhebt euch in die Welt,
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Bis dadurch auch mein Studiren
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Erst in euch den Lohn erhält.
 
169 
Aber, ach, welch zärtlich Weinen
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Zieht mir jezt das Herz empor?
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Kommen Seufzer aus den Steinen?
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Oder teuscht ein Traum mein Ohr?
173 
Phillis schwebt mir in Gedancken,
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Phillis, das getreue Kind.
175 
Jezo will die Großmuth wancken,
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O was Hofnung geht in Wind!
 
177 
Phillis, die mich lieben würde,
178 
Wenn mein Elend noch so schwer
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Und die ärmste Schäferhürde
180 
Ihre Morgengabe wär,
181 
Phillis, die an Geist und Gliedern
182 
Gleiche Kraft und Schönheit trägt
183 
Und, die Treue zu erwidern,
184 
Sich schon kranck darnieder legt.
 
185 
Holde Liebe, sey geseegnet!
186 
Geh zur Phillis, sprich ihr zu,
187 
Daß sie, wenn ihr Antliz regnet,
188 
Nur nicht gar zu heftig thu.
189 
Sprich, ihr Herz und Angedencken
190 
Hab ein großes Theil von mir;
191 
Wird man denn auch sie versencken,
192 
Sterb ich noch einmahl in ihr.
 
193 
Sage, du begrifne Leyer,
194 
Wem ich dich vermachen darf.
195 
Tausend wüntschen dich ins Feuer,
196 
Denn du raßelst gar zu scharf.
197 
Soll ich dich nun lodern laßen?
198 
Nein; dein niemahls fauler Klang
199 
Lies mich oft ein Herze faßen,
200 
Und verdienet beßern Danck.
 
201 
Soll ich dich dem Phoebus schencken?
202 
Nein; du bist ein schlechter Schmuck,
203 
Und an Helicon zu hencken,
204 
Noch nicht ausgespielt genug.
205 
Opiz würde dich beschämen,
206 
Flemming möchte widerstehn;
207 
Mag dich doch die Warheit nehmen
208 
Und mit dir hausieren gehn.
 
209 
Auf, mein Geist! Nun fällt der Kummer
210 
Eher, als du selbst geglaubt.
211 
O was vor ein sanfter Schlummer
212 
Warthet auf mein müdes Haupt.
213 
Stolzer Neid, hör auf zu pochen,
214 
Oder, bistu noch nicht satt,
215 
O so friß an meinen Knochen
216 
Und verschone dieses Blat!

Details zum Gedicht „Abschiedsgedancken bey Gelegenheit einiger schweren Leibeszufälle“

Anzahl Strophen
27
Anzahl Verse
216
Anzahl Wörter
1091
Entstehungsjahr
1695 - 1723
Epoche
Barock

Gedicht-Analyse

Der Autor des Gedichtes „Abschiedsgedancken bey Gelegenheit einiger schweren Leibeszufälle“ ist Johann Christian Günther. Günther wurde im Jahr 1695 in Striegau geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1711 und 1723. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text der Epoche Barock zugeordnet werden. Günther ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche.

Der Barock umfasst etwa den Zeitraum von 1600 bis 1720. Die Übersetzung des portugiesischen Wortes „barocco“ lautet „unregelmäßig geformte Perle“. Die Literaturepoche des Barocks ist durch ein bedeutendes Ereignis geprägt, dem Dreißigjährigen Krieg von 1618 bis 1648. Durch die schlechten sanitären Bedingungen konnten sich Seuchen rasend ausbreiten. Rund dreißig Prozent der Bevölkerung kamen durch den Krieg und sich ausbreitenden Seuchen, wie etwa der Pest, ums Leben. Durch die massive Verminderung der Bevölkerung erlahmte das wirtschaftliche Leben zunehmend. Elend und Krieg lösten in der ärmeren Bevölkerung ein Bewusstsein der eigenen Vergänglichkeit aus. Im Gegensatz dazu lebten die alleinigen, absolutistischen Herrscher in verschwenderischem Luxus und ließen sich Prunkschlösser bauen. Diese Gegensätze von Todesangst und Lebenslust bzw. Armut und Luxus ließen sich ebenso in der Literatur ausmachen. In der Lyrik wird der Einsatz solcher inhaltlichen Gegensätze als Antithetik bezeichnet. Die am meisten eingesetzten Formen in der Lyrik waren das Sonett, die Elegie, das Epigramm und die Ode. Im Zeitalter des Barocks begannen die Dichter ihre Werke in deutscher Sprache zu verfassen. Die Dichter der Renaissance schrieben noch in lateinischer Sprache. Im Barock war der größte Teil der Literatur Gelegenheitsdichtung. Man dichtete bei Hofe als Fürstenhuldigung oder zur gehobenen Unterhaltung. Für wohlhabende Bevölkerungsschichten schrieben Dichter für Taufen, Beerdigungen oder Hochzeiten. Die Dichtung im Barock wird daher auch als Gesellschaftsdichtung bezeichnet.

Das vorliegende Gedicht umfasst 1091 Wörter. Es baut sich aus 27 Strophen auf und besteht aus 216 Versen. Der Dichter Johann Christian Günther ist auch der Autor für Gedichte wie „Seele, wirf den Kummer hin“, „Am Abend“ und „Abendlied“. Zum Autor des Gedichtes „Abschiedsgedancken bey Gelegenheit einiger schweren Leibeszufälle“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 264 Gedichte vor.

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