Abend von Otto Stoessl
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»Nieder tauchte die Sonn’ und schattiger wurden die Pfade«, |
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Dies las ich heut, am Abend eines Sommertags |
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Und ließ das alte Buch Homer auf meine Kniee |
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Hinsinken, also sinnend: Allen Erdenkindern |
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Mißt diese heitre Sonn’ ihr holdes Maß von Licht, |
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Ein Schicksal reifend nach verschwiegenem Gesetze |
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Vom Aufgang bis zum Schatten eines Menschenpfads. |
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Ich wuchs in Zeiten, trüber als die Nacht, |
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Ein Jüngling, feind mir selbst und im Gemüt bedrängt, |
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Nun endlich ruft auch mir die liebe Sonne: |
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Gibst du, erhellt, dein eignes Licht dem Lichte wieder? — |
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Doch hinter jedem Strauch im Garten wachsen Schatten, |
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Was war mein Maß an Tag gering! Ihr Götter wägts |
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Den Menschen, wollt mir diesen späten Strahl nicht neiden, |
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Laßt mir den Abend, dem der Morgen war geweigert, |
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Gönnt mir den Blick der herbstlich tiefen, klaren Stunden, |
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Den letzten Glanz, den ich mit fleh’nden Augen halte, |
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Laßt mir den Abend, seht, die Pfade dunkeln schon. |
Details zum Gedicht „Abend“
Otto Stoessl
1
18
151
1909
Moderne
Gedicht-Analyse
Die Gedicht „Abend“ des Autors Otto Stoessl ist eine bewegende Erzählung über den Tagesablauf. Stoessl beschreibt eine Szene, in der er an einem Sommertag abends auf seinen Knien liegt und ein altes Buch Homer liest. Er erkennt, dass alle Erdenkinder das gleiche Schicksal teilen: Sie haben ein gewisses Maß an Licht, den Tag, der vom Morgen bis zur Abenddämmerung reicht. Im Gedicht wird deutlich, dass er als Jüngling in einer Zeit gelebt hat, die trüber war als die Nacht, und er sich selbst feindlich gegenüberstand. Doch nun, in diesem Moment, ruft die Sonne ihn zu sich: Ob er bereit ist, sein eigenes Licht dem Lichte wiederzugeben? Trotz aller Schatten im Garten des Lebens, soll er das Maß an Tag, das er hat, vorbehaltlos nehmen und sich den herbstlich tiefen und klaren Stunden des Abends hingeben, und den letzten Glanz, den er mit flehenden Augen hält, voller Demut annehmen. Zuletzt sieht er, dass die Pfade schon zu dunkeln beginnen und der Tag zu Ende geht.
Stoessl zieht eine Parallele zwischen dem Verlauf eines Tages und dem eigenen Leben und stellt somit die Frage, wie der Mensch mit der ihm gegebenen Zeit im Leben umgeht. Er wirft die Frage auf, ob man bereit ist sich selbst und auch die Zeit, die einem geschenkt wird, anzunehmen, was in dieser Situation sehr wichtig ist. Durch die dichterische Beschreibung der Situation wird deutlich, dass dies für Stoessl ein besonderer Moment ist. Er erkannte, dass er diesen Moment zu schätzen hat und dass er das, was ihm geschenkt wird, zu nehmen und sein eigenes Licht dem Lichte wiederzugeben bereit ist.
Insgesamt gibt Stoessl somit die Mahnung, dass man die Zeit, die man im Leben hat, voll auskosten soll und nicht versäumen sollte, sich selbst und anderen zu vergeben, sein eigenes Licht zu geben und die schönen Momente zu genießen, bevor sie vorbei sind.
Weitere Informationen
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Abend“ des Autors Otto Stoessl. Stoessl wurde im Jahr 1875 in Wien geboren. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1909. Wien ist der Erscheinungsort des Textes. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht der Epoche Moderne zuordnen. Bei Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit der Zuordnung. Die Auswahl der Epoche ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und muss daher nicht unbedingt richtig sein. Das 151 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 18 Versen mit nur einer Strophe. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Abend“ keine weiteren Gedichte vor.
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