Die Frau spricht von Kurt Tucholsky
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Ja … da wär nun also wieder einer … |
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das ist komisch! |
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Vor fünf Jahren, da war meiner; |
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dann war eine ganze Weile keiner … |
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Und jetzt geht ein Mann in meiner Wohnung um, |
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findet manches, was ich sage, dumm; |
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lobt und tadelt, spricht vom Daseinszwecke |
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und macht auf das Tischtuch Kaffeeflecke – |
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Ist das alles nötig –? |
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Ja … er sorgt. Und liebt. Und ists ein trüber |
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Morgen, reich ich meine Hand hinüber … |
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Das ist komisch: |
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Männer … so in allen ihren Posen … |
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und frühmorgens, in den Unterhosen … |
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Plötzlich wohnt da einer auch in meiner Seele. |
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Quält mich; liebt mich; will, daß ich ihn quäle; |
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dreht mein Leben anders, lastet, läßt mich fliegen – |
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siegt, und weil ich klug bin, laß ich mich besiegen … |
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Habe ich das nötig –? |
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Ich war ausgeglichen. Bleiben wir allein, |
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… komisch … |
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sind wir stolz. So sollt es immer sein! |
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Flackerts aber, knistern kleine Flammen, |
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fällt das alles jäh in sich zusammen. |
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Er braucht uns. Und wir, wir brauchen ihn. |
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Liebe ist: Erfüllung, Last und Medizin. |
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Denn ein Mann ist Mann und Gott und Kind, |
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weil wir so sehr Hälfte sind. |
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Aber das ist schließlich überall: |
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der erste Mann ist stets ein Unglücksfall. |
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Die wahre Erkenntnis liegt unbestritten |
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etwa zwischen dem zweiten und dem dritten. |
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Dann weißt du. Vom Wissen wird man nicht satt, |
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aber notdürftig zufrieden, mit dem, was man hat, |
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Amen. |
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2. Eine Frau denkt |
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Mein Mann schläft immer gleich ein … oder er raucht seine Zeitung und liest seine Zigarre |
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… Ich bin so nervös … und während ich an die Decke starre, |
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denke ich mir mein Teil. |
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Man gibt ihnen so viel, wenigstens zu Beginn. Sie sind es |
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nicht wert. |
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Sie glauben immer, man müsse hochgeehrt |
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sein, weil man sie liebt. |
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Ob es das wohl gibt: |
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ein Mann, der so nett bleibt, so aufmerksam |
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wie am ersten Tag, wo er einen nahm …? |
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Einer, der Freund ist und Mann und Liebhaber; der uns |
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mal neckt, |
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mal bevatert, der immer neu ist, vor dem man Respekt |
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hat und der einen liebt … liebt … liebt |
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ob es das gibt? |
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Manchmal denke ich: ja. |
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Dann sehe ich: nein. |
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Man fällt immer wieder auf sie herein. |
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Und ich frage mich bloß, wo diese Kerle ihre Nerven haben. |
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Wahrscheinlich … na ja. Die diesbezüglichen Gaben |
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sind wohl ungleich verteilt. So richtig verstehen sie uns nie. |
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Weil sie faul sind, murmeln sie was von Hysterie. |
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Ist aber keine. Und wollen wir Zärtlichkeit, |
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dann haben die Herren meist keine Zeit. |
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Sie spielen: Symphonie mit dem Paukenschlag. |
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Unsere Liebe aber verzittert, das ist nicht ihr Geschmack. |
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Hop-hop-hop – wie an der Börse. Sie sind eigentlich nie |
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mehr ale erotische Statisterie. |
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Die Hauptrolle spielen wir. Wir singen allein Duett, |
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leer in der Seele, bei sonst gut besuchtem Bett. |
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Mein Mann schläft immer gleich ein, oder er dreht sich |
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um und raucht seine Zigarre. |
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Warum? Weil … |
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Und während ich an die Decke starre, |
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denke ich mir mein Teil. |
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3. Die Nachfolgerin |
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Ich hab meinen ersten Mann gesehn – |
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der ging mit einer! |
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Hütchen, Rock und Bluse (Indanthren) |
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und zwei Kopf kleiner! |
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Sie muß ihn wohl ins Bureau begleiten … |
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Über den Geschmack ist nicht zu streiten. |
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Na, herzlichen Glückwunsch! |
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Sein Gehirn ist bei der Liebeswahl |
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ganz verkleistert; |
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wenn er siegt, dann ist er allemal |
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schwer begeistert. |
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Ob Languettenhemd, ob teure Seiden – |
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seinetwegen kann man sich in Säcke kleiden … |
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Na, herzlichen Glückwunsch! |
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Frau ist Frau. Wie glücklich ist der Mann, |
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dem das gleich ist! |
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Und für sowas zieht man sich nun an! |
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Als ob man reich ist! |
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Das heißt: für ihn …? |
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Wir ziehen unsre Augenbrauen |
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für und gegen alle andern Frauen. |
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Immerhin erwart ich, daß ers merken kann; |
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ich will fühlen, daß ich reizvoll bin. |
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Dreifach spiegeln will ich mich: im Glas, im Neid, im Mann. |
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Und der guckt gar nicht hin. |
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Liebe kostet manche Überwindung … |
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Männer sind eine komische Erfindung. |
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4. Lamento |
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Der deutsche Mann |
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Mann |
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Mann – |
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das ist der unverstandene Mann. |
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Er hat ein Geschäft, und er hat eine Pflicht. |
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Er hat einen Sitz im Oberamtsgericht. |
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Er hat auch eine Frau – das weiß er aber nicht. |
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Er sagt: „Mein liebes Kind …“ und ist sonst ganz vergnügt – |
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Er ist ein Mann. Und das |
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genügt. |
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Der deutsche Mann |
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Mann |
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Mann – |
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das ist der unverstandene Mann. |
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Die Frau versteht ja doch nichts, von dem, was ihn quält. |
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Die Frau ist dazu da, daß sie die Kragen zählt. |
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Die Frau ist daran schuld, wenn ihm ein Hemdknopf fehlt. |
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Und kommt es einmal vor, daß er die Frau betrügt: |
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Er ist ein Mann. Und das |
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genügt. |
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Der deutsche Mann |
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Mann |
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Mann – |
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das ist der unverstandene Mann. |
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Er gibt sich nicht viel Mühe, wenn er die Frau umgirrt. |
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Und kriegt er nicht die eine, kommt die andere angeschwirrt. |
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Daher der deutsche Mann denn stets befriedigt wird. |
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Hauptsache ist, daß sie bequem und sich gehorsam fügt. |
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Denn er ist Mann. Und das |
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genügt. |
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Der deutsche Mann |
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Mann |
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Mann – |
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das ist der unverstandene Mann. |
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Er flirtet nicht mit seiner Frau. Er kauft ihr doch den Hut! |
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Sie sieht ihn von der Seite an, wenn er so schnarchend ruht. |
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Ein kleines bißchen Zärtlichkeit – und alles wäre gut. |
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Er ist ein Beamter der Liebe. Er läßt sich gehn. |
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Er hat sie doch geheiratet – was soll jetzt noch geschehn? |
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Der Mensch, der soll nicht scheiden, was Gott zusammenfügt. |
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Er ist ein Mann. Und das |
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genügt. |
Details zum Gedicht „Die Frau spricht“
Kurt Tucholsky
18
142
863
1932
Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit,
Exilliteratur
Gedicht-Analyse
Das vorliegende Gedicht namens „Die Frau spricht“ wurde von Kurt Tucholsky verfasst, der von 1890 bis 1935 lebte, was das Werk dem 20. Jahrhundert und der Epoche der Neuen Sachlichkeit zuordnet.
Im Gedicht spricht das lyrische Ich, eine Frau, über ihre Erfahrungen und Gefühle bezüglich ihrer Beziehungen zu Männern. Sie reflektiert ihre eigenen Gefühle und Bedürfnisse und wie diese oft mit den Erwartungen und dem Verhalten der Männer kollidieren.
Der grundlegende Inhalt dieses Gedichts beleuchtet verschiedene Aspekte von Beziehungen aus der Perspektive einer Frau. Sie spricht über die Freuden, Schwierigkeiten und Irritationen, die das Zusammenleben mit Männern mit sich bringt, und reflektiert über die Unzulänglichkeiten und Erwartungen in Beziehungen. Sie hinterfragt ihre eigene Notwendigkeit von Männern in ihrem Leben und ihre Abhängigkeit von ihrer Zuneigung, während sie gleichzeitig ihre Unabhängigkeit und Stärke betont. Der Text enthält eine deutliche Kritik an dem Verhalten und den Haltungen von Männern gegenüber Frauen, die als enttäuschend und respektlos dargestellt werden.
Das Gedicht folgt keiner festen Form oder einem Reimschema, was es als freies Versgedicht charakterisiert. Die Sprache ist einfach und direkt, mit vielen Fragen und Aussagen, die die Unsicherheit und Frustration des lyrischen Ichs hervorrufen. Es verwendet Alltagssprache und humorvolle Bilder, die das Thema der alltäglichen Beziehungsschwierigkeiten unterstreichen.
„Die Frau spricht“ ist eine ergreifende und zum Nachdenken anregende Reflexion über die Beziehungen zwischen Männern und Frauen. Es zeigt die Wünsche, Bedürfnisse und Frustrationen von Frauen in Beziehungen und bietet einen kritischen Blick auf die gegenseitigen Erwartungen und Missverständnisse zwischen den Geschlechtern.
Weitere Informationen
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Die Frau spricht“ des Autors Kurt Tucholsky. 1890 wurde Tucholsky in Berlin geboren. Im Jahr 1932 ist das Gedicht entstanden. Der Erscheinungsort ist Berlin. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht den Epochen Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit oder Exilliteratur zuordnen. Tucholsky ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.
Der Erste Weltkrieg und die daraufhin folgende Entstehung und der Fall der Weimarer Republik hatten großen Einfluss auf die Literatur der Weimarer Republik. Die Neue Sachlichkeit in der Literatur der Weimarer Republik ist von distanzierter Betrachtung der Welt und Nüchternheit gekennzeichnet und politisch geprägt. Es wurde eine alltägliche Sprache verwendet um mit den Texten so viele Menschen wie möglich anzusprechen. Viele Schriftsteller litten unter der Zensur in der Weimarer Republik. Im Jahr 1922 wurde nach einem Attentat auf den Reichsaußenminister das Republikschutzgesetz erlassen, das die zunächst verfassungsmäßig garantierte Freiheit von Wort und Schrift in der Weimarer Republik deutlich einschränkte. Dieses Gesetz wurde in der Praxis nur gegen linke Autoren angewandt, nicht aber gegen rechte, die zum Beispiel in ihren Werken offen Gewalt verherrlichten. Das 1926 erlassene Schund- und Schmutzgesetz setze den Schriftstellern dieser Zeit noch mal verstärkt Grenzen. 1931 trat die Pressenotverordnung in Kraft, dadurch waren die Beschlagnahmung von Schriften und das Verbot von Zeitungen über mehrere Monate hinweg möglich geworden.
Im Laufe der Geschichte gab es immer wieder Autoren, die ins Exil gehen, also ihr Heimatland verlassen mussten. Dies geschah insbesondere zu Zeiten des Nationalsozialismus. Die Exilliteratur geht aus diesem Umstand hervor. Der Ausgangspunkt der Exilbewegung Deutschlands war der Tag der Bücherverbrennung am 30. Mai 1933. Die deutsche Exilliteratur schließt an die Neue Sachlichkeit der Weimarer Republik an und bildet damit eine eigene Literaturepoche in der deutschen Literaturgeschichte. Die Themen der Exilliteratur Deutschlands lassen sich zunächst in zwei Gruppen einteilen. Einige Schriftsteller fühlten sich in ihrer neuen Heimat nicht zu Hause, hatten Heimweh und wollten einfach in ihr altes Leben vor dem Nationalsozialismus zurückkehren. Oft konnten sie im Ausland nicht mehr ihrer Tätigkeit als Schriftsteller nachgehen, da sie nur in Deutsch schreiben konnten, was im Ausland niemand verstand. Heimweh und ihre Liebe zum Mutterland sind die thematischen Schwerpunkte in ihren Werken. Die anderen Schriftsteller wollten sich gegen Nazideutschland wehren. Man wollte zum einen die Welt über die Grausamkeiten in Deutschland aufklären. Zum anderen aber auch den Widerstand unterstützen. Anders als andere Literaturepochen, die zum Beispiel bei der formalen Gestaltung (also in Sachen Metrum, Reimschema oder dem Gebrauch bestimmter rhetorischer Mittel) ganz charakteristische Merkmale aufweisen, ist die Exilliteratur nicht durch bestimmte formale Merkmale gekennzeichnet. Allerdings gab es einige neue Gattungen, die in dieser Literaturepoche geboren wurden. Das epische Theater von Brecht oder auch die historischen Romane waren neue literarische Textsorten. Aber auch Flugblätter und Radioreden der Widerstandsbewegung sind hierbei als neue Textsorten erwähnenswert. Oftmals wurden die Texte auch getarnt, so dass sie trotz Zensur nach Deutschland gebracht werden konnten. Dies waren dann die sogenannten Tarnschriften.
Das vorliegende Gedicht umfasst 863 Wörter. Es baut sich aus 18 Strophen auf und besteht aus 142 Versen. Kurt Tucholsky ist auch der Autor für Gedichte wie „An Lukianos“, „An Peter Panter“ und „An das Publikum“. Zum Autor des Gedichtes „Die Frau spricht“ haben wir auf abi-pur.de weitere 136 Gedichte veröffentlicht.
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Zum Autor Kurt Tucholsky sind auf abi-pur.de 136 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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