Die Flinte schießt, der Säbel haut von Rudolf Lavant

Es sprach das große Wort gelassen
Und kühl der Herr Minister aus,
Und dennoch fand es auf die Gassen
Der Kaiserstadt den Weg hinaus.
Es schwieg das Lärmen und das Summen
Für Augenblicke; klar und laut
Klangs durch das plötzliche Verstummen:
„Die Flinte schießt, der Säbel haut!“
 
Und weiter wehten es die Lüfte,
10 
Das treffliche Ministerwort,
11 
Und trugen’s über Berg und Klüfte
12 
In alle deutschen Gaue fort.
13 
Es summt, die Arme rührend, leise
14 
Der Arbeit Volk, vor dem dir graut,
15 
Nach einer selbstgeschaffnen Weise:
16 
„Die Flinte schießt, der Säbel haut!“
 
17 
Das war ein Wort, so ernst und ehrlich,
18 
Ein Wort aus tiefstem Herzensgrund,
19 
Wie wir’s bis diese Stunde schwerlich
20 
Vernommen aus Ministermund.
21 
Nimm unsern Dank! Ja, du bist offen!
22 
Nun weiß man doch, worauf ihr baut,
23 
Nun weiß man doch, was euer Hoffen! –
24 
„Die Flinte schießt, der Säbel haut!“
 
25 
Es scheint, daß von Gesetzestiteln
26 
Und von dem vielerprobten „Recht“,
27 
Daß ihr von euren innern Mitteln
28 
Euch herzlich wenig nur versprecht.
29 
Es scheint, daß man im Rat der Weisen
30 
Nur äußern Mitteln noch vertraut,
31 
Der Pferdekur mit Blut und Eisen:
32 
„Die Flinte schießt, der Säbel haut!“
 
33 
Ich geb es zu, es ist verdrießlich,
34 
Wenn man sich plagt ein volles Jahr
35 
Und wenn der Liebe Mühen schließlich
36 
So ganz und gar verloren war.
37 
Und schießt die Saat, die man zerschlagen,
38 
Nur immer üppiger ins Kraut,
39 
So mag man wohl sich knirschend sagen:
40 
„Die Flinte schießt, der Säbel haut!“
 
41 
Ihr seht in Schwaben wie in Sachsen
42 
Und in der zähen Holsten Land
43 
Die Schar der kecken Dränger wachsen,
44 
Ja selbst im Brandenburger Sand;
45 
Und wenn ihr so, verzagt, beklommen
46 
Und ratlos an den Federn kaut,
47 
Mag wohl euch der Gedanke kommen:
48 
„Die Flinte schießt, der Säbel haut.“
 
49 
Ihr kerkert ein, ihr laßt bestrafen,
50 
Ihr übertrefft euch selber fast,
51 
Ihr dreht und biegt die Paragraphen –
52 
Und dennoch keine Ruh und Rast.
53 
Die Massen aufgewühlt im Grunde
54 
Soweit der liebe Himmel blaut –
55 
Da zischt’s denn aus gekniff’nem Munde:
56 
„Die Flinte schießt, der Säbel haut.“
 
57 
Es ist im weiten deutschen Reiche
58 
Vielleicht so manchem viel zu still –
59 
Warum das Volk, das hungerbleiche,
60 
Nur gar nicht revoltieren will?
61 
Der Kessel hat in frühern Tagen
62 
Ja auch gebrodelt und gebraut,
63 
Und wir, wir würden gerne sagen:
64 
„Die Flinte schießt, der Säbel haut.“
 
65 
Wie schade doch, daß die Patronen
66 
Im Magazin so müßig ruhn!
67 
Die hübschen schlanken blauen Bohnen,
68 
Sie würden sicher Wunder tun;
69 
Das ist die grundsolide Speise
70 
Die jeder Magen schwer verdaut –
71 
Dann würde wahr das Wort, das weise:
72 
„Die Flinte schießt, der Säbel haut!“
 
73 
Man übte so in wenig Tagen
74 
Die jungen Krieger praktisch ein,
75 
Und die sich früher schon geschlagen,
76 
Sie blieben in der Übung fein.
77 
Das Volk wird ewig radotieren,
78 
Bis Blut das Pflaster rot betaut;
79 
Und muß es nicht die Schlacht verlieren?
80 
„Die Flinte schießt, der Säbel haut!“
 
81 
Gemach, ihr Herrn! So mag’s euch scheinen,
82 
Doch wer gibt Siegel euch und Brief?
83 
Man hat Exempel, sollt ich meinen,
84 
Zuweilen geht die Sache schief.
85 
Habt ihr denn ganz und gar vergessen,
86 
Was eure Kaiserstadt geschaut,
87 
Daß ihr nun ruft so stolz-vermessen:
88 
„Die Flinte schießt, der Säbel haut!“?
 
89 
Habt ihr vergessen, wie die Masse
90 
Vors Schloßportal die Toten trug,
91 
Und wie das arme Volk der Gasse
92 
Des Königs schmucke Garden schlug?
93 
Wie es verstand, die Faust zu ballen,
94 
Und wie den Prinzen es vertrieb
95 
In seines Zornes Überwallen?
96 
Die Flinte schoß, der Säbel hieb.
 
97 
Und weil, wie groß auch ihre Leiden,
98 
Nicht an Gewalt die Masse denkt,
99 
Und weil, wenn Waffen erst entscheiden,
100 
Vielleicht sich ihre Schale senkt,
101 
Drum streutest du des Hasses Samen
102 
Mit jenem Worte herzlos-laut,
103 
Das fürder klebt an deinem Namen:
104 
„Die Flinte schießt, der Säbel haut!“

Details zum Gedicht „Die Flinte schießt, der Säbel haut“

Anzahl Strophen
13
Anzahl Verse
104
Anzahl Wörter
610
Entstehungsjahr
nach 1860
Epoche
Realismus,
Naturalismus,
Moderne

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Die Flinte schießt, der Säbel haut“ wurde von Rudolf Lavant verfasst, der von 1844 bis 1915 lebte. Damit lässt sich das Werk in die Zeit des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts einordnen, einer Epoche, die geprägt war von politischen Umwälzungen und gesellschaftlichen Veränderungen.

Auf den ersten Blick präsentiert sich das Gedicht als komplexe Auseinandersetzung mit Autorität, Macht und Gewalt. Der wiederholte Leitsatz „Die Flinte schießt, der Säbel haut!“ scheint das harte und unbarmherzige Vorgehen der herrschenden Klasse zu konstatieren.

Inhaltlich beschäftigt sich das Gedicht mit einem Minister, der ein gleichgültiges und kühles „großes Wort“ ausspricht, das den Weg durch die Hauptstadt und darüber hinaus findet. Dieses Wort wird als Befürwortung militärischer Gewalt gedeutet, da es den Leitsatz im Gedicht beinhaltet: „Die Flinte schießt, der Säbel haut!“ Daraus entsteht das Bild einer Regierung, die eher auf Gewalt als auf Gesetz und Recht vertraut.

Formal fällt auf, dass das Gedicht aus 13 Strophen besteht, die jeweils aus je 8 Versen bestehen. Diese strukturierte Form wirkt konträr zur Inhaltlichen Botschaft des Gedichts, die regulatorische Instanzen infrage stellt und kritisiert. Die Sprache des Gedichts ist klar und direkt, was die scharfe Kritik des lyrischen Ichs an der Regierung unterstreicht.

Insgesamt ist „Die Flinte schießt, der Säbel haut“ von Rudolf Lavant ein politisches und gegen Autorität gerichtetes Gedicht, das die Machtverhältnisse und das Regieren mit Gewalt stark kritisiert. Es hinterfragt die Legitimität eines Systems, in dem nicht Gesetze und das Recht, sondern Gewaltmaßnahmen als letztes Mittel der Kontrolle dienen.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Die Flinte schießt, der Säbel haut“ ist Rudolf Lavant. Lavant wurde im Jahr 1844 in Leipzig geboren. Im Zeitraum zwischen 1860 und 1915 ist das Gedicht entstanden. In Berlin ist der Text erschienen. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zu den Epochen Realismus, Naturalismus, Moderne, Expressionismus oder Avantgarde / Dadaismus zu. Vor Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und daher anfällig für Fehler. Das Gedicht besteht aus 104 Versen mit insgesamt 13 Strophen und umfasst dabei 610 Worte. Weitere bekannte Gedichte des Autors Rudolf Lavant sind „An den Kladderadatsch“, „An die Frauen“ und „An die alte Raketenkiste“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Die Flinte schießt, der Säbel haut“ weitere 96 Gedichte vor.

+ Wie analysiere ich ein Gedicht?

Daten werden aufbereitet

Weitere Gedichte des Autors Rudolf Lavant (Infos zum Autor)

Zum Autor Rudolf Lavant sind auf abi-pur.de 96 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.