Die Farbengebung von Johann Gottfried Herder

Ein Gemählde der Angelika Kaufmann.

Nicht vom Chamäleon, so oftermalen
Er auch sein Kleid verändert, wunderschnell;
Nein! um der Gottheit Abglanz uns zu mahlen,
Nahmst du die Farben aus der Farben Quell;
Tauchst in Aurorens, tauchst in Iris Strahlen
Den Pinsel, und dein Blick wird himmlisch hell,
Zu sehn, wie aus dem Lichtstrom Bäche fließen,
Und Strahlen sich in Farben leise gießen.
 
Wer hob die Hand dir? wer erhob zum Himmel
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Den Blick dir, himmlische Begeisterung?
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Daß über Nebel, über Erdgetümmel,
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Im sanften Fluge, mit der Taube Schwung
 
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Du aufsteigst, fühlst in dir und trägst den Himmel
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In uns mit täuschender Beseligung;
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Und lässest, was du dort in lichten Höhen
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Der Gottheit sahst, uns hier in Schatten sehen?
 
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Ein Gott wars. Und die Blume dir zu Füßen
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Weiht ihren Brautschmuck deiner Schwester-Hand.
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Ein Lüftchen weilt, die Körper zu umfließen,
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Die du erschafst, und wird ein Brautgewand
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Der Seele, die, sich sichtbar zu genießen,
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In deiner Seele Äther-Hüllen fand.
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Du mahlest, was du bist. Auf Edens Auen
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Giebst du, in Menschen, Engel uns zu schauen.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (25.9 KB)

Details zum Gedicht „Die Farbengebung“

Anzahl Strophen
4
Anzahl Verse
24
Anzahl Wörter
169
Entstehungsjahr
1796
Epoche
Sturm & Drang,
Klassik

Gedicht-Analyse

Das Sonett wurde von Johann Gottfried Herder verfasst und fällt damit in die Zeit der Aufklärung und Strömungen des Sturm und Drang sowie der Weimarer Klassik. Herder war ein deutscher Dichter, Übersetzer, Theologe und Geschichts- und Kultur-Philosoph der europäischen Aufklärung.

Beim ersten Lesen fällt auf, dass das Gedicht einen Hochgeistigen, fast schon spirituellen Ton anschlägt. Es handelt um die schöpferische, ja göttliche Kraft der Farben und Malerei.

Das lyrische Ich spricht zu einem nicht näher bestimmten Adressaten und preist dessen Fähigkeiten an, Farben in einer Weisheit und Vielfalt zu nutzen, die weit über die eines einfachen Chamäleons hinausgeht. Sie stammen aus der „Farben Quelle“ und dienen dazu, den „Abglanz der Gottheit“ darzustellen. Wer aber hat dem Adressaten diese Fähigkeit gegeben? Die Antwort lautet: Gott. Er ließ ihn die Schönheit und Vielfalt der Farben erkennen und ermöglichte es ihm, sie in ihrer ganzen Pracht darzustellen.

Die Form des Gedichts entspricht nicht dem traditionellen Sonett. Eine mögliche Interpretation ist, dass Herder mit dieser Abweichung die individuelle, kreative Freiheit des Künstlers betonen wollte, die sich nicht in vorgefertigte Formen pressen lässt. Die Sprache des Gedichts ist blumig und metaphorisch, voller Anspielungen auf die göttliche Inspiration des Künstlers und den kreativen Prozess selbst. Besonders betont wird die Wirkung der Farben, die als leuchtende Strahlen und Lichtströme dargestellt werden und die das lyrische Ich „himmlich hell“ erscheinen lassen.

Diese Verehrung des Künstlertums und der kreativen Schaffenskraft, die als göttlich inspiriert dargestellt wird, ist typisch für die Epoche des Sturm und Drang, in der das Gefühl und die individuelle Ausdruckskraft im Vordergrund stand. Dabei wird das Schöpferische nicht nur in religiösen, sondern auch in naturhaft-mythologischen Kontext gesetzt (Aurorens, Iris Strahlen).

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Herder in diesem Gedicht die Bedeutung der Farben und der künstlerischen Gestaltung als Ausdruck der göttlichen Schöpfungskraft hervorhebt. Er feiert den Künstler als Mittler zwischen der jenseitigen Welt der Götter und der sinnlich wahrnehmbaren Welt der Menschen. Eindrucksvoll stellt er die Erschaffung von Kunst als Prozess der persönlichen Transformation und Erhebung dar.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Die Farbengebung“ ist Johann Gottfried Herder. Im Jahr 1744 wurde Herder in Mohrungen (Ostpreußen) geboren. 1796 ist das Gedicht entstanden. Erschienen ist der Text in Neustrelitz. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht den Epochen Sturm & Drang oder Klassik zuordnen. Der Schriftsteller Herder ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.

Als Sturm und Drang (auch Genieperiode oder Geniezeit) bezeichnet man eine Epoche der Literatur, die auf die Jahre 1765 bis 1790 datiert werden kann. Sie knüpfte an die Empfindsamkeit an und ging später in die Klassik über. Die Epoche des Sturm und Drang war die Phase der Rebellion junger deutscher Autoren, die sich gegen die Prinzipien der Aufklärung und das gesellschaftliche System wendeten. Bei den Vertretern der Epoche des Sturm und Drang handelte es sich vorwiegend um junge Autoren. Die Schriftsteller versuchten in den Dichtungen eine geeignete Sprache zu finden, um die persönlichen Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen. Es wurde eine eigene Jugendsprache und Jugendkultur mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Halbsätzen und Wiederholungen geschaffen. Die alten Werke vorangegangener Epochen wurden dennoch geschätzt und dienten weiterhin als Inspiration. Mit seinen beiden bedeutenden Vertretern Goethe und Schiller entwickelte sich der Sturm und Drang weiter und ging in die Weimarer Klassik über.

Die Literaturepoche der Klassik beginnt nach herrschender Auffassung mit der Italienreise Goethes, die er im Jahr 1786 im Alter von 36 Jahren machte. Das Ende der Epoche wird auf 1832 datiert. In der Klassik wurde die Literatur durch Auswirkungen der Französischen Revolution, die ziemlich zu Beginn der Epoche stattfand, entscheidend geprägt. In der Französischen Revolution setzten sich die Menschen dafür ein, dass für alle die gleichen Rechte gelten sollten. Die Weimarer Klassik wird häufig nur als Klassik bezeichnet. Beide Bezeichnungen werden in der Literatur genutzt. Humanität, Güte, Gerechtigkeit, Toleranz, Gewaltlosigkeit und Harmonie sind die wichtigsten Themen. Die Weimarer Klassik orientiert sich am antiken Kunstideal. In der Weimarer Klassik wird eine geordnete, einheitliche Sprache verwendet. Kurze, allgemeingültige Aussagen (Sentenzen) sind häufig in Werken der Weimarer Klassik zu finden. Da man die Menschen früher mit der Kunst und somit auch mit der Literatur erziehen wollte, legte man großen Wert auf Stabilität und formale Ordnung. Metrische Ausnahmen befinden sich häufig an Stellen, die hervorgehoben werden sollen. Schiller, Goethe, Wieland und Herder können als die Hauptvertreter der Weimarer Klassik bezeichnet werden. Aber nur Goethe und Schiller inspirierten und motivierten einander durch enge Zusammenarbeit und gegenseitige Kritik.

Das 169 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 24 Versen mit insgesamt 4 Strophen. Die Gedichte „Das Glück“, „Das Kind der Sorge“ und „Das Orakel“ sind weitere Werke des Autors Johann Gottfried Herder. Zum Autor des Gedichtes „Die Farbengebung“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 413 Gedichte vor.

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