Der alte Birnbaum von Gerhart Hauptmann

Einen tiefen Trunk aus voller Schale
vom Smaragd des Frühlings will ich trinken:
aus der blauen sonnenseligen Höhlung
morgendlichen Feuers mich berauschen.
O wie tirilierst du tausendstimmig
im Gemäße, du betörte Woge!
Schweige nicht, als Wein in mich gedrungen,
schwimmen laß in solcher Flut mein Herze!
 
Weich in Düfte dehnen sich die Höhen,
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schwimmend in dem Silberdunst des Himmels.
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Heute schweigt ihr, schweigen selige Dinge,
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die der fernen Glorie angehören.
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Junger Tannen gelbe Zünglein sprühen,
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was vom Logos sie beglückt erfuhren.
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Innig kocht es in dem Glanz der Blumen
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von dem heißen Wollustquell des Daseins.
 
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Bist du da, mein tausendjähriger Birnbaum,
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weiß und schwer, beglückt von Blütenlasten?
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Wieviel Winter hast du überdauert,
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kahl und hart! Nun quillst du süßen Frühling.
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Und von einem kaum gebornen Bäumchen,
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das du sätest, pflück’ ich eine Blüte,
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deren Übermaß dein Haupt hervordrängt:
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und sie ist nicht jünger, süßer, holder,
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als von deinem greisen Haupt gebrochen.
 
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Laßt mich trinkend in den Becher sinken,
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untertauchen tief und immer tiefer
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wie der Täufling in geweihter Kufe!
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Himmel, schlaget über mir zusammen,
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der ich blühe wie der alte Birnbaum.

Rechtschreibung der Erstausgabe angepasst; Aufbau-Verlag, Berlin 1946, Seiten 23/24;“Neue Gedichte“

Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.5 KB)

Details zum Gedicht „Der alte Birnbaum“

Anzahl Strophen
4
Anzahl Verse
30
Anzahl Wörter
181
Entstehungsjahr
1928
Epoche
Naturalismus,
Moderne

Gedicht-Analyse

In dem Gedicht „Der alte Birnbaum“ von Gerhart Hauptmann beschreibt das lyrische Ich die einzigartige Kraft und die Schönheit des Frühlings. Dabei macht sich das lyrische Ich seine eigene Vergänglichkeit bewusst, indem es den alten Birnbaum als Symbol für die Ewigkeit und Unvergänglichkeit des Lebens sieht.

Das lyrische Ich beginnt, indem es sehnsuchtsvoll den Frühling beschreibt. Es möchte den „Smaragd des Frühlings“ trinken, sich in der „blauen sonnenseligen Höhlung“ berauschen und das „morgendliche Feuer“ genießen. Dabei stellt das lyrische Ich fest, dass die Natur „tausendstimmig“ „betörte Woge“ ist und sich in den „Düften“ des Himmels dehnt. Die Vernunft der Pflanzen und Bäume ermöglicht es dem lyrischen Ich, die „Glut des Daseins“ zu spüren und sich im „Glanz der Blumen“ zu sonnen.

Die letzten Zeilen des Gedichts beschreiben das lyrische Ich, wie es sich schützend unter den riesigen alten Birnbaum stellt und seine aromatischen Blüten bewundert. Der alte Baum ist ein Symbol für die Ewigkeit des Lebens und das lyrische Ich erkennt, dass es bei all seiner Vergänglichkeit gleichzeitig Teil eines ewigen, unbesiegbaren Kreislaufs ist. Der alte Birnbaum hat viele Winter überstanden und ist nun „glücklich von Blütenlasten“.

Das lyrische Ich schließt das Gedicht, indem es sich selbst als Teil des Zyklus des Lebens begreift. Es wünscht sich, dass die „Kufe“ des Frühlingsstraußes es umgibt und es „blüht wie der alte Birnbaum“. Mit den letzten Worten des Gedichts macht sich das lyrische Ich seine eigene Hoffnung und Sehnsucht bewusst, dass es an der Ewigkeit des Lebens teilhaben kann und an der unerschöpflichen Fülle des Frühlings.

Weitere Informationen

Gerhart Hauptmann ist der Autor des Gedichtes „Der alte Birnbaum“. Im Jahr 1862 wurde Hauptmann in Ober Salzbrunn (Szczawno-Zdrój)/Schlesien geboren. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1928. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Naturalismus oder Moderne kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Hauptmann ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen. Das Gedicht besteht aus 30 Versen mit insgesamt 4 Strophen und umfasst dabei 181 Worte. Der Dichter Gerhart Hauptmann ist auch der Autor für das Gedicht „Mondscheinlerchen“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Der alte Birnbaum“ keine weiteren Gedichte vor.

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