Die Demokraten von Erich Mühsam

Genosse Seidelheber sprach:
„Wir sind die Demokraten!
Wir woll’n nicht mehr im Schlamm der Schmach,
Im Sumpf des Zwanges waten.
Wir wissen selbst, was not uns tut
Und brauchen keine Fürsten, –
Wir alle, die voll Kraft und Mut
Nach Recht und Freiheit dürsten.
Das Volk ist stark, – das Volk sei frei!
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Es folge eignen Räten!
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Des Volkes Losungswort, es sei:
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Tod den Autoritäten!“
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– Und Beifallsmurmeln rings erscholl,
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Begeist’rung packte jeden.
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– Doch mächt’gen Freiheitdranges voll,
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Fuhr jener fort zu reden:
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„Das Volk will selber Führer sein,
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Denn eig’nen Willen hat es.
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Der Arbeitmann will sich befrei’n,
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Der Mann des Zukunftstaates.
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Schon stürmt der Freiheit Siegeslauf
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– Ich rede nicht zum Spaße! –
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Der Sturm geht los, das Volk steht auf!
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Der Freiheit eine Gasse!!“
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– Hei! wie da alles Freiheit schrie,
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Die Alten und die Jungen!
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Wie sind von Tisch und Stühlen sie
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Begeistrungvoll gesprungen!
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Doch als nun einer rief gar noch,
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Eh’ sich der Saal wollt’ leeren:
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„Genosse Seidelheber hoch!“ –
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Da konnt’ man nur noch hören
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Aus allem Jubeln, Lärmen, Schrei’n:
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„Genosse Seidelheber
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Soll fortan unser Führer sein!
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Ihm folgen wir! Hoch leb’ er!“
Arbeitsblatt zum Gedicht
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Details zum Gedicht „Die Demokraten“

Anzahl Strophen
1
Anzahl Verse
36
Anzahl Wörter
187
Entstehungsjahr
1904
Epoche
Expressionismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Die Demokraten“ wurde von dem deutschen Schriftsteller, Anarchisten und Widerstandskämpfer Erich Mühsam verfasst. Mühsam lebte von 1878 bis 1934. Sein Werk ist hauptsächlich durch sein politisches Engagement und die damit verbundenen Themen und Motive geprägt.

Auf den ersten Blick könnte man meinen, das Gedicht handle von der Sehnsucht des Volkes nach Demokratie und Freiheit, die mit großer Begeisterung und Euphorie zum Ausdruck gebracht wird. Es stellt die Reden von Genosse Seidelheber in den Mittelpunkt, der offenbar als Sprachrohr des Volkes agiert und die Forderungen und Hoffnungen des Volkes verbalisiert.

Genauer betrachtet zeigt das Gedicht jedoch eine unterschwellige Kritik an der leicht manipulierbaren Masse und der Neigung zum Führerkult. Während die Reden von Seidelheber zunächst die Freiheit des Volkes und dessen Selbstermächtigung feiern, endet das Gedicht mit der Proklamation von Seidelheber als dem neuen Führer, dem das Volk folgen soll. Damit wird die in der Demokratie grundlegende Gleichheit und Unabhängigkeit der Bürger ad absurdum geführt.

Formal handelt es sich um ein langes Gedicht von 24 Versen. Die Sprache ist durchwegs einfach und direkt, was einen starken Kontrast zum komplexen politischen Inhalt darstellt. Die Verwendung von kollektiven Pronomen wie „wir“ und „uns“ dient dazu, eine Gemeinschaftlichkeit und Solidarität zwischen dem Redner und dem Volk herzustellen. Gleichzeitig trägt die einfache Sprache zur Ironie bei, indem sie die Naivität und Manipulierbarkeit des Volkes hervorhebt.

Zusammenfassend deutet das Gedicht „Die Demokraten“ von Erich Mühsam auf die problematische Neigung hin, in der Masse schnell einen neuen Führer zu suchen und sich dadurch potenziell wieder in Abhängigkeit zu begeben, anstatt die wahre Freiheit und Unabhängigkeit, die eine wirkliche Demokratie bieten kann, zu nutzen und zu wahren. Es ist damit ein weitsichtiger und kritischer Kommentar zur politischen Kultur und Soziologie seiner Zeit.

Weitere Informationen

Erich Mühsam ist der Autor des Gedichtes „Die Demokraten“. Im Jahr 1878 wurde Mühsam in Berlin geboren. 1904 ist das Gedicht entstanden. Der Erscheinungsort ist Berlin. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her der Epoche Expressionismus zuordnen. Bei Mühsam handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 36 Versen mit nur einer Strophe und umfasst dabei 187 Worte. Weitere bekannte Gedichte des Autors Erich Mühsam sind „1919“, „An die Dichter“ und „An die Soldaten“. Zum Autor des Gedichtes „Die Demokraten“ haben wir auf abi-pur.de weitere 57 Gedichte veröffentlicht.

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