Des Lebens Lied von Louise Otto-Peters

Als ich in zarter Kindheit Tagen
Versteckt mein erstes Lied gesungen,
Mit tiefem Augenniederschlagen
Das Wort vernahm: es sei gelungen!
Da weint ich, daß man es erlauscht,
Und war doch stolz und glückberauscht.
 
Nicht Lob noch Ruhm mocht’ ich begehren,
Vor niemand wollt ich eitel glänzen,
Ich dachte nie an äußre Ehren,
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Ich träumte nie von Lorberkränzen;
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Noch höher Ziel mein Herz mir riet:
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Mein ganzes Leben sei ein Lied.
 
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Ein Lied, vor Gottes Thron gesungen
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Im höh’ren Chor, in Himmelsnähe,
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So von Begeisterung durchdrungen,
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Daß nur Begeistertes geschähe,
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Daß alles Sein in Poesie
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Vor mir ersteh’ und anders nie!
 
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Und anders nie! – ein kühnes Sinnen;
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Doch was ich wollt’, hab ich gehalten –
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Die Prosa jagt ich stolz von hinnen,
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Vergönnt ihr nie ein stetig Walten;
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Hoch ging mein Flug, und Himmelsschein
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Verbannte alles, was gemein.
 
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Wird einst mein letztes Lied ertönen,
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Nach allen Kämpfen schwerer Zeiten:
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Mein Leben war ein Dienst des Schönen,
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Der Trost soll an mein Grab mich leiten;
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Ich danke Gott, der mir beschied:
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Mein ganzes Leben war ein Lied.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (25.9 KB)

Details zum Gedicht „Des Lebens Lied“

Anzahl Strophen
5
Anzahl Verse
30
Anzahl Wörter
175
Entstehungsjahr
1880-1893
Epoche
Naturalismus,
Moderne

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Des Lebens Lied“ wurde von Louise Otto-Peters verfasst, einer deutschen Dichterin und Schriftstellerin des 19. Jahrhunderts, die als eine der Begründerinnen der deutschen Frauenbewegung gilt. Ihr Leben und Schaffen fallen in die Epoche des Biedermeier und des Realismus.

Auf den ersten Eindruck hin erscheint das Gedicht als eine Selbstreflexion und Lebensbilanz der Autorin. Sie schildert darin ihre Anfänge als Dichterin, ihre Entschlossenheit, den künstlerischen Weg zu gehen sowie ihre Endvision davon, wie ihre künstlerische Arbeit und ihr Leben bewertet werden sollten.

Das lyrische Ich, das als Alter Ego der Autorin gedeutet werden kann, erinnert sich an die Kindheit und die Entstehung ihres ersten Lieds. Es zeigt ihre Stolz und Glück in Vers 6, betont aber gleichzeitig ihre Bescheidenheit und ihren Mangel an Bestreben nach Lob oder Ruhm in Strophe 2. Sie hat einen höheren Zweck: ihr ganzes Leben soll ein Lied sein und sie will „Hoch ging mein Flug“ (Vers 23), sie distanziert sich von allem Gemeinen und strebt nach dem Schönen und Transzendenten. Schlussendlich wird im letzten Vers der Kreis geschlossen und es wird gesagt, dass ihr ganzes Leben ein Lied war, ein Dienst des Schönen.

Formal besteht das Gedicht aus 5 Strophen mit je 6 Versen, wobei die Verslänge variiert. Die Sprache ist recht einfach und ohne viele Metaphern oder komplexe Bilder, dennoch ist sie sehr emotional und poetisch. Betont wird der Inhalt durch die Wiederholung bestimmter Phrasen wie „mein ganzes Leben sei/war ein Lied“. Es zeigt das starke Ideal der Dichterin, hohe Kunst zu schaffen und ihr Leben als Gesamtkunstwerk zu sehen.

Die poetischen Mittel umfassen Alliteration („Das Wort vernahm: es sei gelungen!“), Anapher („mein ganzes Leben sei ein Lied“), Metapher („mein ganzes Leben sei/war ein Lied“) und Personifikation („Die Prosa jagt ich stolz von hinnen“). Diese Mittel verstärken die emotionale Wirkung des Gedichts und spiegeln den Eifer und die Hingabe des lyrischen Ichs an die Kunst wieder.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Des Lebens Lied“ stammt aus der Feder der Autorin bzw. Lyrikerin Louise Otto-Peters. Die Autorin Louise Otto-Peters wurde 1819 in Meißen geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1893 zurück. Der Erscheinungsort ist Leipzig. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten der Autorin her kann der Text den Epochen Naturalismus oder Moderne zugeordnet werden. Bitte überprüfe unbedingt die Richtigkeit der Angaben zur Epoche bei Verwendung. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Das vorliegende Gedicht umfasst 175 Wörter. Es baut sich aus 5 Strophen auf und besteht aus 30 Versen. Weitere Werke der Dichterin Louise Otto-Peters sind „An Byron“, „An Georg Herwegh“ und „An Ludwig Börne“. Zur Autorin des Gedichtes „Des Lebens Lied“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 106 Gedichte vor.

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