Des Deutschen Lebenslauf von Rudolf Lavant

In Deutschland hat in stiller Nacht
Ihn die Mama zur Welt gebracht,
Denn das erlaubt – wir sind ja frei –
Die hohe deutsche Polizei.
Als er sodann ins dritte Jahr
Mit Ach und Krach gekommen war,
Beschenkte man den kleinen Schelm
Bereits mit Flinte, Schwert und Helm;
Und er erfuhr – zu rechter Zeit –
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Bei dieser Festgelegenheit
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Durch Vaterworte voll Gewicht,
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Was eines Deutschen erste Pflicht.
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Es ward geschickt zur Schule dann
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Der ahnungslose kleine Mann,
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Wo man ihn gründlich eingeweiht
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In Deutschlands Macht und Herrlichkeit
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Und wo das Nöt’ge er erfuhr
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Von unsrer sittlichen Natur
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Und von der Fülle von Gemüt
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Und Treue, die in Deutschland blüht,
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Indes die ganze andre Welt
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In Schmutz und Dummheit sich erhält.
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Was in der Lehre er gelernt,
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Hat zwar fürs Leben nicht entfernt
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Und für die Praxis ausgereicht;
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Doch nahm er solches Manko leicht,
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Denn bald darauf ward er Soldat,
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Den oft man auf die Beine trat
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Und den mit Umsicht und Bedacht
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Zu einem Menschen man gemacht.
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Nach ein’ger Zeit, wie man’s so treibt,
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Hat er sich regelrecht beweibt
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Und mit der Liebsten bis zuletzt
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Sechs Kinder in die Welt gesetzt,
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Auch unter manchem Schicksalsschlag
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Sich abgerackert Nacht und Tag.
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Es hungert sich zur Not ganz leicht,
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Wenn es nur für die Steuern reicht;
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Genügt’s doch, daß man mit Gewalt
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Den Schmachtriem’ etwas enger schnallt.
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Nun denkt er mit gerechtem Stolz
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Des Schlafrocks wohl aus Fichtenholz,
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Weil ehrlich sein Gewerb er trieb
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Und Steuern niemals schuldig blieb;
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Und weil in Frieden der verfault,
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Der nie gemurrt und nie gemault.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27 KB)

Details zum Gedicht „Des Deutschen Lebenslauf“

Anzahl Strophen
1
Anzahl Verse
46
Anzahl Wörter
260
Entstehungsjahr
nach 1860
Epoche
Realismus,
Naturalismus,
Moderne

Gedicht-Analyse

Der Autor des Gedichtes „Des Deutschen Lebenslauf“ ist Rudolf Lavant. Im Jahr 1844 wurde Lavant in Leipzig geboren. Zwischen den Jahren 1860 und 1915 ist das Gedicht entstanden. Erscheinungsort des Textes ist Berlin. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her den Epochen Realismus, Naturalismus, Moderne, Expressionismus oder Avantgarde / Dadaismus zuordnen. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Basis geschehen. Bitte überprüfe unbedingt die Richtigkeit der Angaben bei Verwendung. Das Gedicht besteht aus 46 Versen mit nur einer Strophe und umfasst dabei 260 Worte. Die Gedichte „Agrarisches Manifest“, „An Herrn Crispi“ und „An das Jahr“ sind weitere Werke des Autors Rudolf Lavant. Zum Autor des Gedichtes „Des Deutschen Lebenslauf“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 96 Gedichte vor.

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