Der weiße Elephant von Heinrich Heine
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Der König von Siam, Mahawasant |
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Beherrscht das halbe Indienland, |
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Zwölf Kön’ge, der große Mogul sogar, |
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Sind seinem Scepter tributar. |
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Alljährlich mit Trommeln, Posaunen und Fahnen |
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Ziehen nach Siam die Zinskarawanen; |
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Viel tausend Kameele, hochberuckte, |
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Schleppen die kostbarsten Landesprodukte. |
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Sieht er die schwerbepackten Kameele, |
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So schmunzelt heimlich des Königs Seele; |
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Oeffentlich freilich pflegt er zu jammern, |
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Es fehle an Raum in seinen Schatzkammern. |
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Doch diese Schatzkammern sind so weit, |
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So groß und voller Herrlichkeit; |
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Hier überflügelt der Wirklichkeit Pracht |
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Die Mährchen von Tausend und Eine Nacht. |
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„Die Burg des Indra“ heißt die Halle, |
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Wo aufgestellt die Götter alle, |
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Bildsäulen von Gold, fein ciseliret, |
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Mit Edelsteinen incrustiret. |
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Sind an der Zahl wohl dreißig Tausend, |
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Figuren abenteuerlich grausend, |
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Mischlinge von Menschen- und Thier-Geschöpfen, |
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Mit vielen Händen und vielen Köpfen. |
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Im „Purpursaale“ sieht man verwundert |
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Korallenbäume dreizehnhundert, |
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Wie Palmen groß, seltsamer Gestalt, |
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Geschnörkelt die Aeste, ein rother Wald. |
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Das Estrich ist vom reinsten Krystalle |
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Und wiederspiegelt die Bäume alle. |
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Fasanen vom buntesten Glanzgefieder |
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Gehn gravitätisch dort auf und nieder. |
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Der Lieblingsaffe des Mahawasant |
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Trägt an dem Hals ein seidenes Band, |
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Dran hängt der Schlüssel, welcher erschleußt |
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Die Halle, die man Schlafsaal heißt. |
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Die Edelsteine vom höchsten Werth, |
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Die liegen wie Erbsen hier auf der Erd’ |
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Hochaufgeschüttet; man findet dabei |
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Diamanten so groß wie ein Hühner-Ei. |
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Auf grauen mit Perlen gefüllten Säcken |
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Pflegt hier der König sich hinzustrecken; |
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Der Affe legt sich zum Monarchen |
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Und beide schlafen ein und schnarchen. |
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Das Kostbarste aber von allen Schätzen |
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Des Königs, sein Glück, sein Seelenergötzen, |
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Die Lust und der Stolz von Mahawasant, |
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Das ist sein weißer Elephant. |
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Als Wohnung für diesen erhabenen Gast |
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Ließ bauen der König den schönsten Palast; |
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Es wird das Dach, mit Goldblech beschlagen, |
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Von Lothos-knäufigen Säulen getragen. |
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Am Thore stehen dreihundert Trabanten |
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Als Ehrenwache des Elephanten, |
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Und knieend mit gekrümmtem Rucken, |
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Bedienen ihn hundert schwarze Eunucken. |
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Man bringt auf einer güldnen Schüssel |
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Die leckersten Bissen für seinen Rüssel; |
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Er schlürft aus silbernen Eimern den Wein, |
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Gewürzt mit süßesten Spezerei’n. |
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Man salbt ihn mit Ambra und Rosenessenzen, |
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Man schmückt sein Haupt mit Blumenkränzen; |
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Als Fußdecke dienen dem edlen Thier |
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Die kostbarsten Shawls aus Kaschimir. |
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Das glücklichste Leben ist ihm beschieden, |
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Doch Niemand auf Erden ist zufrieden. |
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Das edle Thier, man weiß nicht wie, |
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Versinkt in tiefe Melancholie. |
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Der weiße Melancholikus |
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Steht traurig mitten im Ueberfluß. |
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Man will ihn ermuntern, man will ihn erheitern, |
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Jedoch die klügsten Versuche scheitern. |
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Vergebens kommen mit Springen und Singen |
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Die Bajaderen; vergebens erklingen |
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Die Zinken und Pauken der Musikanten, |
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Doch nichts erlustigt den Elephanten. |
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Da täglich sich der Zustand verschlimmert, |
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Wird Mahawasantes Herz bekümmert; |
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Er läßt vor seines Thrones Stufen |
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Den klügsten Astrologen rufen. |
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„Sterngucker, ich laß dir das Haupt abschlagen,“ |
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Herrscht er ihn an, „kannst du mir nicht sagen, |
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Was meinem Elephanten fehle, |
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Warum so verdüstert seine Seele?“ |
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Doch jener wirft sich dreimal zur Erde, |
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Und endlich spricht er mit ernster Geberde: |
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„O König, ich will dir die Wahrheit verkünden, |
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Du kannst dann handeln nach Gutbefinden. |
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„Es lebt im Norden ein schönes Weib |
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Von hohem Wuchs und weißem Leib, |
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Dein Elephant ist herrlich, unläugbar, |
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Doch ist er nicht mit ihr vergleichbar. |
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„Mit ihr verglichen, erscheint er nur |
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Ein weißes Mäuschen. Es mahnt die Statur |
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An Bimha, die Riesin, im Ramajana, |
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Und an der Epheser große Diana. |
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„Wie sich die Gliedermassen wölben |
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Zum schönsten Bau! Es tragen dieselben |
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Anmuthig und stolz zwei hohe Pilaster |
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Von blendend weißem Alabaster. |
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„Das ist Gott Amors kolossale |
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Domkirche, der Liebe Kathedrale; |
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Als Lampe brennt im Tabernakel |
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Ein Herz, das ohne Falsch und Makel. |
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„Die Dichter jagen vergebens nach Bildern, |
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Um ihre weiße Haut zu schildern; |
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Selbst Gautier ist dessen nicht capabel, – |
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O diese Weiße ist implacable! |
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„Des Himalaya Gipfelschnee |
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Erscheint aschgrau in ihrer Näh’; |
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Die Lilie, die ihre Hand erfaßt, |
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Vergilbt durch Eifersucht oder Contrast. |
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„Gräfin Bianka ist der Name |
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Von dieser großen weißen Dame; |
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Sie wohnt zu Paris im Frankenland, |
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Und diese liebt der Elephant. |
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„Durch wunderbare Wahlverwandtschaft, |
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Im Traume machte er ihre Bekanntschaft, |
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Und träumend in sein Herze stahl |
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Sich dieses hohe Ideal. |
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„Sehnsucht verzehrt ihn seit jener Stund’, |
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Und er, der vormals so froh und gesund, |
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Er ist ein vierfüßiger Werther geworden, |
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Und träumt von einer Lotte im Norden. |
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„Geheimnisvolle Sympathie! |
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Er sah sie nie und denkt an sie. |
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Er trampelt oft im Mondschein umher |
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Und seufzet: wenn ich ein Vöglein wär’! |
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„In Siam ist nur der Leib, die Gedanken |
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Sind bei Bianka im Lande der Franken; |
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Doch diese Trennung von Leib und Seele |
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Schwächt sehr den Magen, vertrocknet die Kehle. |
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„Die leckersten Braten widern ihn an, |
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Er liebt nur Dampfnudeln und Ossian; |
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Er hüstelt schon, er magert ab, |
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Die Sehnsucht schaufelt sein frühes Grab. |
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„Willst du ihn retten, erhalten sein Leben, |
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Der Säugethierwelt ihn wiedergeben, |
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O König, so schicke den hohen Kranken |
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Direkt nach Paris, der Hauptstadt der Franken. |
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„Wenn ihn alldort in der Wirklichkeit |
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Der Anblick der schönen Frau erfreut, |
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Die seiner Träume Urbild gewesen, |
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Dann wird er von seinem Trübsinn genesen. |
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„Wo seiner Schönen Augen strahlen, |
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Da schwinden seiner Seele Qualen; |
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Ihr Lächeln verscheucht die letzten Schatten, |
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Die hier sich eingenistet hatten; |
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„Und ihre Stimme, wie’n Zauberlied, |
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Lös’t sie den Zwiespalt in seinem Gemüth; |
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Froh hebt er wieder die Lappen der Ohren, |
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Er fühlt sich verjüngt, wie neugeboren. |
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„Es lebt sich so lieblich, es lebt sich so süß |
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Am Seinestrand, in der Stadt Paris! |
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Wie wird sich dorten zivilisiren |
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Dein Elephant und amüsiren! |
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„Vor allem aber, o König, lasse |
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Ihm reichlich füllen die Reisekasse, |
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Und gieb ihm einen Creditbrief mit |
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Auf Rothschild frères in der rue Lafitte. |
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„Ja, einen Creditbrief von einer Million |
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Dukaten etwa; – der Herr Baron |
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Von Rothschild sagt von ihm alsdann: |
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Der Elephant ist ein braver Mann!“ |
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So sprach der Astrolog, und wieder |
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Warf er sich dreimal zur Erde nieder. |
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Der König entließ ihn mit reichen Geschenken, |
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Und streckte sich aus, um nachzudenken. |
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Er dachte hin, er dachte her; |
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Das Denken wird den Königen schwer. |
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Sein Affe sich zu ihm niedersetzt, |
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Und beide schlafen ein zuletzt. |
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Was er beschlossen, das kann ich erzählen |
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Erst später; die indischen Mall’posten fehlen. |
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Die letzte, welche uns zugekommen, |
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Die hat den Weg über Suez genommen. |
Details zum Gedicht „Der weiße Elephant“
Heinrich Heine
44
176
1011
vor 1851
Junges Deutschland & Vormärz
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Der weiße Elefant“ stammt von Heinrich Heine, einem deutschen Dichter aus dem 19. Jahrhundert, der eine bedeutende Rolle in der lyrischen Romantik spielt und später als scharfer Kritiker und Satiriker bekannt wird.
Bei ersten Lesen fällt auf, dass Heine in diesem Gedicht eine ausgedehnte orientalistische Erzählung kreiert hat. Man könnte mutmaßen, dass aufgrund seiner Bedeutung für Heines Werk und der Komplexität der Struktur und des Inhalts, „Der weiße Elefant“ eher ein episches Gedicht als ein einfaches Lyrik ist.
Zum Inhalt: Das Gedicht erzählt die Geschichte des Königs von Siam, Mahawasant, der ein enormes Reich und unermessliche Schätze besitzt. Trotz all seiner Macht und Pracht ist sein größter Schatz und seine wichtigste Quelle der Freude ein weißer Elefant. Als der Elefant in tiefe Melancholie stürzt, taucht ein Astrologe auf, um die Ursache zu ergründen. In einer erstaunlichen Wendung erklärt der Astrologe, dass der Elefant in einer unbekannten Liebe zu einer nordischen Frau namens Gräfin Bianka verfallen ist, eine Frau, die der Elefant im Traum getroffen und sich in sie verliebt hat. Der Astrologe schlägt vor, den Elefanten nach Paris zu schicken, um Gräfin Bianka zu treffen und seine Melancholie zu heilen. Das Gedicht endet, bevor der König eine Entscheidung trifft.
Form und Sprache: Heine meistert die formale Strophe und verwendet eine ausgefeilte Diktion, um eine unglaublich farbenfrohe und detaillierte Darstellung der fiktiven Welt des Königs von Siam zu erstellen. Das Gedicht hält sich überwiegend an einen vierversigen Strophenaufbau und eine einfache, verständliche Sprache. Die Ironie und Heines berühmter sarkastischer Ton tauchen jedoch zwischen den Zeilen auf.
In der Bedeutungsebene könnte man die Darstellung des Königs von Siam, der trotz seiner unermesslichen Reichtümer nicht in der Lage ist, seinen weißer Elefanten glücklich zu machen, als eine Kritik an der Nutzlosigkeit von Materialismus und Macht interpretieren. Mit Blick auf den biographischen Hintergrund des Dichters könnte das Gedicht auch eine Reflexion über Exil und die psychischen Belastungen der Entfremdung sein. Der weiße Elefant, obwohl König von Siam, wird als Fremder in einem fremden Land dargestellt, der sich nach Liebe und Verbindung sehnt.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass „Der weiße Elefant“ ein faszinierendes Werk ist, das die Kriterien von Kritik, Humor und tiefgreifender emotionale Nachforschung erfüllt, die in Heines Poesie zu finden sind. Es ist eine lebendige und anregende Lektüre, die den Leser dazu ermutigt, über Themen wie Macht, Einsamkeit und das Streben nach Zufriedenheit nachzudenken.
Weitere Informationen
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Der weiße Elephant“ des Autors Heinrich Heine. 1797 wurde Heine in Düsseldorf geboren. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1851. Der Erscheinungsort ist Hamburg. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text der Epoche Junges Deutschland & Vormärz zugeordnet werden. Heine ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 1011 Wörter. Es baut sich aus 44 Strophen auf und besteht aus 176 Versen. Weitere Werke des Dichters Heinrich Heine sind „Allnächtlich im Traume seh’ ich dich“, „Almansor“ und „Als ich, auf der Reise, zufällig“. Zum Autor des Gedichtes „Der weiße Elephant“ haben wir auf abi-pur.de weitere 535 Gedichte veröffentlicht.
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Zum Autor Heinrich Heine sind auf abi-pur.de 535 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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