Der verlorene Ring von Albert Knapp

Die Herzogin Agnes mit ihrem Gemahl
Ritt jagend im tiefen, umwaldeten Thal;
Auf sprangen die Hirsche, die Rehe, die Hasen
Bei schmetternder Hörner vergnüglichem Blasen.
 
Kurz waren die Beiden vom Kaiser vermählt,
Schon vorhin gar innig von Liebe beseelt;
Und wenn sie nun sprengten voran und zurücke,
So suchten einander die traulichen Blicke.
 
Spät ritten sie heim auf das thürmende Schloß,
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Das Abendroth herrlich den Himmel umgoß;
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Sie hatten genossen das liebliche Leben,
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Von Jugend erfüllet, von Hoheit umgeben. –
 
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Da blickte die Fürstin ihr Fingerlein an –
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O wehe, was hat ihr der Unstern gethan! – –
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Sie weinet, sie schreit zu des Ehgemals Ohren:
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„O Friedrich, mein Ehring! – ich hab’ ihn verloren!“ –
 
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„Verlier’ ich dich auch, o Geliebter, wie mir
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„Das Kleinod entfallen im Waldesrevier?
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„Wie schauerlich ist mir solch dunkeles Zeichen, –
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„Das deutet auf Scheiden, auf Gräber und Leichen!“ –
 
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„O weh mir, dem armen verbanneten Kind,
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„Wenn ich nicht hinwieder mein Ringelein find’!
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„Ach dürft’ ich’s, ach dürft’ ich’s zum Wunder erschauen,
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„Wie wollt’ ich dem Höchsten ein Dankmal erbauen!“ –
 
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Der Herzog, er tröstet und herzt sein Gemahl,
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Doch lös’t er nicht ihre Befürchtung und Qual;
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Sie trauret gleich einem verbanneten Kinde,
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Bis daß sie den Trauring, den heiligen, finde! –
 
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Zwölf Monate schwanden; geduldig und still
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Zieht Friedrich umher, wo Frau Agnes nur will;
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Durchs dichteste Dickicht er reitet und spähet,
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Und immer die Gattin noch klaget und flehet. –
 
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Da hat doch zuletzt noch die Liebe gesiegt! –
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„O Friederich, siehe, was schimmernd dort liegt! –
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„O Friedrich, mein Ring! – nun bist wieder du meine,
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„Nun bin ich ohn’ Aengsten auch wieder die Deine!“ –
 
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„Und wie mich der Höchste getröstet jetzund,
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„So bau’ ich auf diesem bewaldeten Grund
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„Ein Gotteshaus für die Gemeinde mit Freuden,
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„Da soll man Ihm danken für Freuden und Leiden!“ –
 
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Sie baute die Kirche; die steht noch zur Zeit,
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Dem heil’gen Apostel Johannes geweiht;
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Und Gmünd ist erblüht, wo der Ring war verloren,
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Die Staufenstadt, lieblich mit Thürmen und Thoren.
 
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Der goldene Ring, der verloren im Wald,
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Zog freudige Männer zur Arbeit so bald;
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Die Kaiser bestelleten hier ihre Prachten,
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Weil immer des Walds und des Ringes sie dachten
 
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Noch blühet die Stadt nach der staufischen Wahl;
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Noch wirkt sie in Gold und in Perlen zumal;
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Doch seit die gewaltigen Herrscher gestorben,
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Ist drunten in Gmünd auch manch Goldschmied verdorben. –
 
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So haltet Euch fröhlich zu Dem, der da spricht:
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„Ich biet’ Euch ein Gold, das entschwindet Euch nicht!“ –
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Erfleht Euch, wenn Kaiser-Bestellung verstoben,
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Sein Gold, das im Feuer durchläutert, von oben! –
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (29.5 KB)

Details zum Gedicht „Der verlorene Ring“

Autor
Albert Knapp
Anzahl Strophen
14
Anzahl Verse
56
Anzahl Wörter
416
Entstehungsjahr
1839
Epoche
Biedermeier,
Junges Deutschland & Vormärz

Gedicht-Analyse

Der Autor dieses Gedichts ist Albert Knapp, ein deutscher evangelischer Theologe und Dichter, der von 1798 bis 1864 lebte. Das Gedicht entführt uns in das mittelalterliche Deutschland, in eine Zeit der Herrscher und Höfe, Jagden und Burgen, Ehe und Liebe, Verlust und Wiedergewinnung, Glauben und Dankbarkeit.

Auf den ersten Blick liest sich das Gedicht wie eine romanisierte Ballade oder eine volkstümliche Erzählung, die reich an visualisierenden Elementen und malerischen Bildern ist. Es handelt von der Herzogin Agnes und ihrem Gemahl Friedrich, die kürzlich verheiratet und tief verliebt sind. Bei einer Jagd im Wald verliert die Herzogin unglücklicherweise ihren Ehering, was sie zutiefst betrübt. Sie deutet dieses Ereignis als ein schlechtes Omen, ein Zeichen für Scheiden, Tod und Verlust. Tatsächlich ist der Ring im mittelalterlichen Kontext ein Symbol für Ehe und Treue, und sein Verlust kann leicht als Vorbote von Unglück interpretiert werden.

Die Herzogin und ihr Ehemann verbringen das nächste Jahr damit, den verlorenen Ring zu suchen. Nach langem Suchen finden sie ihn schließlich und sind überglücklich. Aus Dankbarkeit gegenüber Gott für die Wiederauffindung des Rings und die überstandene Prüfung, entscheidet die Herzogin, eine Kirche zu errichten. Ironischerweise führt der verlorene Ring dazu, dass die Stadt um die Kirche herum blüht und wächst, insbesondere durch die Anziehungskraft, die sie auf Handwerker und Goldschmiede ausübt. Das Gedicht endet mit einer moralischen Botschaft des Autors, die den zeitlichen und unbeständigen Wert des irdischen Goldes mit dem ewigen und unveränderlichen Wert des göttlichen Goldes vergleicht.

In Bezug auf die Form besteht das Gedicht aus vierzeiligen Strophen, einer gängigen Strophenform für Balladen und viele andere Arten von Gedichten, die eine Erzählung enthalten. Die Sprache ist bildlich und malerisch, voll von Naturbeschreibungen und theatralischen Szenen, die eine farbenfrohe Kulisse für die dramatische Geschichte erzeugen. Die Wortwahl ist archaisch und literarisch, was die Stimmung und Atmosphäre des mittelalterlichen Settings hervorruft.

Zusammenfassend ist „Der verlorene Ring“ von Albert Knapp ein emotionales und lebendiges Gedicht, das eine mittelalterliche Liebesgeschichte erzählt. Es lädt uns ein, tief in die menschliche Angst vor Verlust und Unglück einzutauchen, und erinnert uns an die Macht des Glaubens und der Dankbarkeit, die in der Lage sind, Bedauern in Freude umzuwandeln.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Der verlorene Ring“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Albert Knapp. Im Jahr 1798 wurde Knapp in Tübingen geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1839 zurück. Erscheinungsort des Textes ist Stuttgart und Tübingen. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her den Epochen Biedermeier oder Junges Deutschland & Vormärz zuordnen. Bei Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit der Zuordnung. Die Auswahl der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und muss daher nicht unbedingt richtig sein. Das 416 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 56 Versen mit insgesamt 14 Strophen. Albert Knapp ist auch der Autor für Gedichte wie „Die Einladung“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Der verlorene Ring“ keine weiteren Gedichte vor.

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