Des neuen Jahres Morgengruß von Johann Peter Hebel

Der Morge will und will nit cho,
und woni los, schloft alles no;
i weck si nit, so lang i cha,
i lueg e wengeli d'Gegnig a.
Zeig Wülkli, mach jez keini Streich!
Der Mond schint ohni das so bleich.
Kei Blümli rot, kei Blümli wiiß!
An alle Bäume nüt as Ris!
Um alli Brunntrög Strau und Strau,
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vor Chellertür und Stalltür au.
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Mi Vetter het's drum sölli gmacht,
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und lauft jez furt in dunkler Nacht.
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Das Ding, das muß mer anderst cho!
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Ich bi der Ma, und's blibt nit so.
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Die Gärte müen mer gsüfert si,
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Aurikeli und Zinkli dri,
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und neui Blüten alli Tag,
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was Hurst und Nast vertrage mag.
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Es rüehrt si nüt. Sie schlofe no.
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Nei lueg, es sizt e Späzli do!
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Du arme Tropf bisch übel dra.
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Was gilt's, er het e Wibli gha,
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und druf isch Not und Mangel cho,
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sie hen si müße scheide lo.
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Jez het er e bitrübti Sach,
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kei Frau, kei Brot, kei Dach und Fach,
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und stoht er uf, so spot er mag,
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se seit em niemes 'Gute Tag';
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und niemes schnidt em d'Suppen i.
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Wart Bürstli, dir muß ghulfe si.
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Es rührt si nüt. Sie schlofe no.
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Ne gattig Chilchli hen si do,
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so sufer wie in menger Stadt,
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's isch Sechsi uffem Zifferblatt.
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Der Morge chunnt. Bi miner Treu,
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es friert ein bis in Mark und Bei.
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Die Tote gspüre nüt dervo;
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ne rüeihig Lebe hen si do.
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Si schlofe wohl, und's friert si nit;
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der Chilchhof macht vo allem quitt.
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Sin echt no leeri Plätzli do?
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's cha si, me bruucht e paar dervo.
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Ne Chindli, wo ke Mutter het,
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denk wohl, i mach em do si Bett.
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En alte Ma, en armi Frau,
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denk wohl, i bring di Stündli au.
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Hesch mengi Stund im Schmerz verwacht,
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do schlof, und hesch e stilli Nacht.
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Jez brennt emol e Liechtli a,
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und dört en anders nebe dra,
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und d'Läde schettere druf und druf,
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do goht, bim Blust, e Hustür uf!
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»Grüß Gott, ihr Lüt, und ich bi do,
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i bi scho z'nacht um Zwölfi cho.
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Mi Vetter het si Bündel gmacht,
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und furt, bi Nebel und bi Nacht.
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Wär ich nit uf d'Minute cho,
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's hätt weger chönne gföhrli go.
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Wie gfall ich in mim Sunntiggwand?
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's chunnt fadeneu us Schniders Hand.
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E Rübelirock, er stoht mer wohl
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zum rote Scharlachkamisol,
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und plüschi Hose han i a,
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e Zitli drin, e Bendeli dra,
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ne gchrüslet Hoor, e neue Huet,
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e heiter Aug, e frohe Muet.
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Es luegt do ein mi Schnappsack a,
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und 's nimmt en Wunder, was i ha.
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Ihr liebe Lüt, das sagi nit,
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wenn's chunnt, so nimm verlieb dermit!
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's sin Rösli drinn und Dorne dra,
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me cha nit jedes bsunder ha.
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Und Wagleschnür, und Wickelband.
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e Fingerring ans Brütlis Hand,
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en Ehrechranz ins lockig Hoor,
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e Schlüssel au zum Chilchhoftor.
77 
Gent Achtig, was i bitt und sag,
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's cha jede treffen alle Tag.
79 
E stille Sinn in Freud und Not,
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e rueihig Gwisse gebich Gott!
81 
Und wer's nit redli meint und gut
82 
und wer si Sach nit ordli tut,
83 
dem bring i au kei Sege mit,
84 
und wenni wott, se chönnti nit.
85 
Jez göhnt und leget d'Chinder a,
86 
und was i gseit ha, denket dra,
87 
und wenn der au in d'Chilche went,
88 
se schaffet, was der z'schaffe hent.
89 
Der Tag isch do, der Mond vergoht,
90 
und d'Sunne luegt ins Morgerot.«
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (30.6 KB)

Details zum Gedicht „Des neuen Jahres Morgengruß“

Anzahl Strophen
1
Anzahl Verse
90
Anzahl Wörter
567
Entstehungsjahr
1760 - 1826
Epoche
Aufklärung,
Empfindsamkeit,
Sturm & Drang

Gedicht-Analyse

Das hier präsentierte Gedicht trägt den Titel „Des neuen Jahres Morgengruß“ und wurde von dem Dichter Johann Peter Hebel verfasst, der von 1760 bis 1826 lebte. Damit liegt die zeitliche Einordnung in der Epoche der Klassik und Romantik.

Zunächst wirkt das Gedicht aufgrund seiner sprachlichen Besonderheiten wie eine Aufforderung, sich intensiver mit seinem Inhalt auseinanderzusetzen. Es handelt sich um eine Art Monolog oder erzählendes Gedicht, in dem das lyrische Ich den Beginn eines neuen Jahres und die Beobachtungen und Ereignisse, die es während eines Morgens macht, reflektiert und kommentiert.

Das lyrische Ich übt sich zu Beginn des Gedichts in Geduld und wartet auf den Morgen. Gleichzeitig spielt es mit der Natur und satirisiert, wie die Welt noch schläft. Es zeigt sich jedoch unzufrieden mit der vorherrschenden Kälte sowie der Lebenssituation einiger Menschen und Tiere und ruft insbesondere dazu auf, ein mitfühlendes und hilfsbereites Leben zu führen. Es scheint ein gewisses Maß an sozialer Verantwortung zu übernehmen, drückt jedoch auch Dankbarkeit und Zufriedenheit mit dem eigenen Leben aus.

Das Gedicht ist in Mundart verfasst, was ein Arbeitersprache suggeriert. Denn das Hochdeutsche wurde damals vor allem von der gebildeten Oberschicht gesprochen. Das Gedicht ist weitgehend in freien Versen verfasst und zeichnet sich durch einen lockeren und volksnahen Ton aus.

Die Sprache ist einfach und unkompliziert, die Sätze sind eher kurz und umgangssprachlich formuliert. Dadurch wirkt das Gedicht lebendig und authentisch, man könnte fast meinen, man säße selbst mit dem lyrischen Ich zusammen und lausche seinen Gedanken und Geschichten. Auch hier zeigt sich wieder, dass Johann Peter Hebel einer der ersten Dichter war, der die Umgangssprache in der Dichtung genutzt hat. Mit dieser sprachlichen Gestaltung könnte er versuchen, eine größere Nähe zu seiner potentiellen Leserschaft herzustellen und sein Gedicht für ein breiteres Publikum zugänglich zu machen.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Des neuen Jahres Morgengruß“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Johann Peter Hebel. 1760 wurde Hebel in Basel geboren. Im Zeitraum zwischen 1776 und 1826 ist das Gedicht entstanden. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text den Epochen Aufklärung, Empfindsamkeit, Sturm & Drang, Klassik, Romantik, Biedermeier oder Junges Deutschland & Vormärz zugeordnet werden. Die Richtigkeit der Epochen sollte vor Verwendung geprüft werden. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Da es keine starren zeitlichen Grenzen bei der Epochenbestimmung gibt, können hierbei Fehler entstehen. Das vorliegende Gedicht umfasst 567 Wörter. Es baut sich aus nur einer Strophe auf und besteht aus 90 Versen. Die Gedichte „Der Knabe im Erdbeerschlag“, „Der Käfer“ und „Der Mann im Mond“ sind weitere Werke des Autors Johann Peter Hebel. Zum Autor des Gedichtes „Des neuen Jahres Morgengruß“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 60 Gedichte vor.

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