Der Abendstern von Johann Peter Hebel

De bisch au wieder zitli do
und laufsch der Sunne weidli no,
du liebe, schönen Obestern!
Was gilt's, de hättsch di Schmützli gern!
Er trippelt ihre Spure no,
und cha si doch nit übercho.
Von alle Sterne groß und chlei
isch er der liebst, und er ellei;
si Brüderli der Morgestern,
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si het en nit ums halb so gern;
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und wo sie wandlet us und i,
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se meint sie, müeß er um sie si.
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Früeih, wenn sie hinterm Morgerot
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wohl ob em Schwarzwald ufe goht,
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sie führt ihr Bübli an der Hand,
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sie zeigt em Berg und Strom und Land,
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sie seit: »Tue gmach, 's pressiert nit so!
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Di Gumpe wird der bald vergoh.«
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Er schwezt und frogt sie das und deis,
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sie git em Bricht, so guet sie 's weiß.
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Er seit: »O Mutter, lueg doch au,
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do unte glänzt's im Morgetau
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so schön wie in dim Himmelssaal!«
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»He«, seit sie, »drum isch's 's Wiesetal.«
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Sie frogt en: »Hesch bald alles gseh?
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Jez gangi, und wart nümme meh.«
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Druf springt er ihrer Hand dervo,
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und mengem wiiße Wülkli no;
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do, wenn er meint, jez han i di,
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verschwunden isch's, weiß Gott, wohi.
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Druf, wie si Mutter höcher stoht,
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und alsgmach gegenem Rhistrom goht,
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se rüeft sie 'm: »Chumm und fall nit do!«
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Sie führt en fest am Händli no:
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»De chönntsch verlösche, handumcher.
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Nimm, was mer's für e Chummer wär!«
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Doch, wo sie überm Elsis stoht,
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und alsgmach ehnen abe goht,
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wird nootno 's Büebli müed und still,
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's weiß nümme, was es mache will;
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's will nümme goh, und will nit goh,
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's frogt hundertmol: »Wie wit isch's no?«
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Druf, wie sie ob de Berge stoht,
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und tiefer sinkt ins Oberot,
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und er afange matt und müed
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im rote Schimmer d'Heimet sieht,
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se loßt er sie am Fürtuch goh,
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und zottlet alsgmach hinte no.
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In d'Heimet wandle Herd und Hirt,
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der Vogel sizt, der Chäfer schwirt;
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und 's Heimli betet dört und do
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si luten Obesege scho.
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Jez, denkt er, hani hochi Zit;
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Gott Lob und Dank, 's isch nümme wit.
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Und sichtber, wiener nöcher chunnt,
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umstrahlt si au si Gsichtli rund.
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Drum stoht si Mutter vorem Hus:
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»Chumm, weidli chumm, du chleini Muus!«
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Jez sinkt er freudig niederwärts
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jez isch's em wohl am Muetterherz.
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Schlof wohl, du schönen Obestern!
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's isch wohr, mer hen di alli gern.
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Er luegt in d'Welt so lieb und gut,
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und bschaut en eis mit schwerem Mut,
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und isch me müed, und het e Schmerz,
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mit stillem Friede füllt er's Herz.
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Die anderen im Strahlegwand,
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he frili jo, sin au scharmant.
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O lueg, wie 's flimmert wit und breit
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in Lieb und Freud und Einigkeit!
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's macht kein em andere 's Lebe schwer,
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wenn's doch do nieden au so wär!
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Es chunnt e chüeli Obeluft,
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und an de Halme hangt der Duft.
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Denkwohl, mer göhn jez au alsgmach
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im stille Frieden unters Dach!
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Gang, Liseli, zünd 's Ämpli a!
78 
Mach kei so große Dochte dra!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (29.7 KB)

Details zum Gedicht „Der Abendstern“

Anzahl Strophen
1
Anzahl Verse
78
Anzahl Wörter
493
Entstehungsjahr
1760 - 1826
Epoche
Aufklärung,
Empfindsamkeit,
Sturm & Drang

Gedicht-Analyse

Der Autor des Gedichts ist Johann Peter Hebel, ein deutscher Dichter, der in der Zeit der klassischen und romantischen Literatur in Deutschland lebte. Das Gedicht wurde also wahrscheinlich im späten 18. oder frühen 19. Jahrhundert verfasst.

Gleich beim ersten Lesen fällt auf, dass der Text in einem deutschen Dialekt, genauer gesagt in Alemannisch, geschrieben ist, was typisch für Hebels Werke ist. Das Gedicht thematisiert den Abendstern und die Beziehung zwischen diesem und der Sonne, Personifikationen für Mutter und Kind.

Das lyrische Ich betrachtet den Abendstern und beschreibt dessen Bemühungen, der Sonne zu folgen. Es wird dargestellt, wie der Abendstern der Sonne trotz all seiner Bemühungen niemals zu nahe kommen kann, was auf die Beziehung zwischen einer Mutter und ihrem Kind anspielt. Die Mutter leitet und lehrt das Kind und schließlich geht jedes Kind seinen eigenen Weg und folgt seiner eigenen Richtung, wie der Abendstern, der der Sonne folgt, aber nie ganz erreicht.

Das Gedicht besteht aus 78 Versen, die in einzeln stehenden Strophen angeordnet sind - das heißt, es gibt keine reguläre Strophenstruktur. Hebel nutzt eine einfache, direkte Sprache und viele bildliche Ausdrücke. Die ist typisch für seine Texte, da er oft Dialekte und volksnahe Sprache benutzte, um seine Botschaften zu vermitteln.

Die emotionale Botschaft des Gedichts ist tiefgehend und bewegend. Es geht darum, dass Kinder heranwachsen und ihren eigenen Weg finden müssen, aber auch um die Liebe und den Schutz, den eine Mutter ihrem Kind gibt. Es erinnert uns auch daran, dass wir, obwohl wir unseren eigenen Weg gehen, immer die Liebe und Führung unserer Mütter in uns tragen.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Der Abendstern“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Johann Peter Hebel. Geboren wurde Hebel im Jahr 1760 in Basel. Zwischen den Jahren 1776 und 1826 ist das Gedicht entstanden. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Aufklärung, Empfindsamkeit, Sturm & Drang, Klassik, Romantik, Biedermeier oder Junges Deutschland & Vormärz kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Bitte überprüfe unbedingt die Richtigkeit der Angaben zur Epoche bei Verwendung. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Das 493 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 78 Versen mit nur einer Strophe. Johann Peter Hebel ist auch der Autor für Gedichte wie „Der Bettler“, „Der Karfunkel“ und „Der Knabe im Erdbeerschlag“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Der Abendstern“ weitere 60 Gedichte vor.

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