Der Geist in der Neujahrsnacht von Johann Peter Hebel

Tochter, such e Strumpf, und stopfen do hinten ins Fenster,
wo hüt 's Büebli mittem Stecke d'Schibe verheit het.
Gschicht ich im neue Johr kei größer Unglück, as das isch,
chönneter z'friede si. Doch weiht's mer so frostig im Äcke,
und i bi die letzti Nacht e wengeli z'jung gsi
für mi Alter, doch mit Zucht, und eimol isch keimol.
Will me Geister erblicken und heimligi Sachen erfahre,
mueß me, wenn's Zwölfi schlacht, nit in de Federe liege.
Nu mer hen is verspötet mit allerhand fründlige Gspröche
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z'Heiterschen an der Stroß, und Uhr und Zeiger isch gstande;
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d'Uhr het im alte Johr no welle ne wengeli Frist lo,
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oder hani's verhört. - »Guet Nacht, ihr Nochbere«, sagi,
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»mi Weg wird am witschte si go Chrotzige«, sagi,
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»gebis Gott e glücklich Johr und freudigi Sinne!«
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»Das geb Gott der Her«, so sage die andre, »und schick di,
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sust trappiert di der Geist no näumen, eb de deheim bisch,
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wo mit sim Chind im Arm am lezte Dezember an d'Stroß stoht.
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d'Postknecht wisse's alli, und rite lieber im Feldweg.«
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's isch so cho, und zmitts im Dorf, und woni ums Eck gang,
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nebe 's Xaveris Huus, bim Bluest! do stoht er am Brunne,
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groß bis fast ans Dach und inneme duftige Mantel,
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gwoben us Wulken und Liecht, und mitteme Bendel im Chnopfloch,
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und het in den Armen und halber im Mantel verborge
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wunderschön e Büebli gha mit fründligen Auge,
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chüßt's und lächlet's a us sinen ernstlige Miene,
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wie us nächtligem Gwülch der Vollmond lieblig in d'Welt luegt.
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»Siehsch mi nit, so tuesch mer nüt«, - so denki und weih mi
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mit em heilige Chrütz, und stell mi hinter de Brunnstock,
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und will lose, was er seit, und wienerem zuspricht.
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Wenig hani z'erst verstande; 's Wasser het bruuschet
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us de Röhren in Trog und us em Brunntrog ins Gräbli.
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»Chilchhof« - hani verstande, und - »Nüt darf ewige Bstand ha.«
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Und - »Jez gohsch in d'Welt mit dine Schmerzen und Freude.
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Teil sie verständig us, und was ich nümme cha schlichte,
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bring zum gueten End. Sie hen e freudige Herbst gha.
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Trinkt ein z'viel, und sizt er lang im nächtlige Wirtshuus,
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gang, und bietem heim und führ en, aß er kei Bei bricht!
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Nimm di der Armet a, und sorg mer für Witwen und Waise,
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mach mer die Chranke gsund. - Die brave Saldate han ich no
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mit Trumpeten und Pauken und Ehrechränzen ins Land gfüehrt.
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Loß du Freuden und Tanz und Öpfelchüchli nit fehle,
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wenn sie im Urlaub sin deheim bi Vater und Muetter.
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Seig kei Fabelhans, und denk nit, wil e Kosmetstern
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duftig am Himmel hangt, se müeßisch Feldzug und Schlachte,
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Hungersnot und Sterbet bringe, Zetter und Elend.
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Siehsch mi Ehrestern? Siehsch nit mi Bändel im Chnopfloch?
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Roserot isch Freud, und Grüen isch liebligi Hoffnig.
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Gang, verdien der au so ein mit dine Merite,
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und schmück Jung und Alt mit frumme Sitten und Tate!«
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Drüber schnurrt's im Turn in alle Räder am Schlagwerk,
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und wie's Zwölfi schlacht, so stellt er's Büebli an Bode,
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wie der Engel so schön, und wie der Morge so lieblig,
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und seit: »Das walt Gott! Jez gang uf eigene Füeße!
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Gib mer frei wohl Acht zum güetige Fürste in Karlsrueh,
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zu de Friburger Here, und zu de Landen im Brisgau,
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aß sie kei Leid erfahren, und bringene Freuden und Gsundheit!«
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Süeß, wie Sunneblick, het's Büebli glächelt und Jo! gseit.
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Aber mittem lezte Schlag im luftige Chilchturn
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goht er in große Schritte 's Dorf us, und gegenem Rhi zue,
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alliwil gschwinder und größer, und alliwil bleicher und dünner,
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wie ne Nebelduft am Feldberg oder am Belche.
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Und wie nootno in der Mitternacht d'Glocke verbrummt het,
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het si der Duft verzogen, und isch vergangen und weg gsi.
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Chunnsch bald mittem Strumpf? 's zieht alliwil schärfer und chüeler.
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Wenni lang verzehl, stohsch lang do ummen und gohsch nit.

Details zum Gedicht „Der Geist in der Neujahrsnacht“

Anzahl Strophen
1
Anzahl Verse
65
Anzahl Wörter
638
Entstehungsjahr
1760 - 1826
Epoche
Aufklärung,
Empfindsamkeit,
Sturm & Drang

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Der Geist in der Neujahrsnacht“ wurde von Johann Peter Hebel verfasst, einem deutschen Schriftsteller, der von 1760 bis 1826 lebte. Dieses Gedicht gehört zur Epoche der Empfindsamkeit des 19. Jahrhunderts.

Auf den ersten Eindruck ist das Gedicht voller symbolischer und metaphysischer Darstellungen. Es scheint, eine Begegnung in einer Neujahrsnacht zu erzählen, in der ein Geist oder eine übernatürliche Erscheinung auftaucht. Diese Erscheinung scheint eine Art Botschafter der Vergangenheit zu sein und bringt eine Botschaft für das kommende Jahr mit sich.

In einfachen Worten anspricht das lyrische Ich eine Tochter, die sich auf den Weg machen soll, um einen Strumpf zu stopfen, während das lyrische Ich von einer Begegnung mit einem Geist erzählt, der sie in der Silvesternacht besucht hat. Die Figur des Geistes scheint symbolisch die Vergangenheit und das zu Ende gehende Jahr darzustellen. Der Geist hält ein kleines Kind im Arm, das wiederum die Zukunft und das kommende Jahr repräsentiert.

Bei der Analyse von Form und Sprache des Gedichts fällt auf, dass es sich in einem Dialekt verfasst ist, was die sprachliche Vielfalt und die regionale Atmosphäre, in der das Gedicht verfasst wurde, verdeutlicht. Die Sprache ist lebendig und bildhaft, mit vielen bildlichen Beschreibungen und Metaphern. Auch die Form des Gedichts, das in versfreier Form und in langen, komplexen Gedankensträngen verfasst ist, spiegelt die tiefgründige, metaphorische und weit gespannte Thematik des Gedichts wider. Zusammengefasst ist „Der Geist in der Neujahrsnacht“ eine lyrische Reflexion über das Vergehen der Zeit, auf den Wandel der Jahreszeiten und auf die Hoffnungen und Ängste, die mit dem Übergang von der Vergangenheit in die Zukunft verbunden sind.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Der Geist in der Neujahrsnacht“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Johann Peter Hebel. 1760 wurde Hebel in Basel geboren. In der Zeit von 1776 bis 1826 ist das Gedicht entstanden. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her den Epochen Aufklärung, Empfindsamkeit, Sturm & Drang, Klassik, Romantik, Biedermeier oder Junges Deutschland & Vormärz zuordnen. Die Angaben zur Epoche prüfe bitte vor Verwendung auf Richtigkeit. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Da sich die Literaturepochen zeitlich teilweise überschneiden, ist eine reine zeitliche Zuordnung fehleranfällig. Das vorliegende Gedicht umfasst 638 Wörter. Es baut sich aus nur einer Strophe auf und besteht aus 65 Versen. Johann Peter Hebel ist auch der Autor für Gedichte wie „Auf den Tod eines Zechers“, „Auf einem Grabe“ und „Das Habermuß“. Zum Autor des Gedichtes „Der Geist in der Neujahrsnacht“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 60 Gedichte vor.

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