Der neue Kurs von Rudolf Lavant

Was auch der Mann im Sachsenwald mag sagen –
Es geht doch vorwärts in der neuen Zeit.
Die jetzt regieren – nennt ihr sie geschlagen
Etwa mit Trägheit, mit Unfruchtbarkeit?
Ist nicht der größte Theil von ihren Tagen
Gesetzentwürfen jeder Art geweiht?
Und eine Lüge ist’s, – bei meiner Seele! –
Daß der „verbindende Gedanke“ fehle.
 
Ob sie nun ein Patentgesetz verlangen
10 
Zu Schutz und Schirm für jegliches Genie,
11 
Ob sie auf andre Branntweinsteuer drangen,
12 
Im Hinblick auf die Schnaps-Epidemie,
13 
Ob man durch Paragraphen sucht zu fangen
14 
Die Kellerkünstler in der Wein-Chemie –
15 
Das Handwerk sucht auf allen diesen Wegen
16 
Doch nur den – Volksverführern man zu legen.
 
17 
Ob man die Zuckersteuer reformire,
18 
Wenn schon die Meute der Agrarier bellt,
19 
Ob jedem der Herrn Unteroffiziere
20 
Man mild in Aussicht eine Prämie stellt –
21 
Zweck ist, daß sich das Volk emanzipire
22 
Und sich zu den Verführten nicht gesellt.
23 
Es schirmt sogar die Schlacht- und Ausfallsflotte
24 
In letzter Linie uns – vor Bebel’s Rotte.
 
25 
Ob jeden Zwist mit England klug man schlichtet
26 
Durch den Erwerb der Insel Helgoland,
27 
Ob eine deutsche Truppe man errichtet
28 
Aus schwarzem Volk am afrikan’schen Strand,
29 
Ob man durch Pump sich finanziell verpflichtet
30 
Für Kamerun und ob als Unterpfand
31 
Man den Ertrag der Zölle angeboten –
32 
Der Abwehr gilt es wider unsre Rothen.
 
33 
Daß international fortan geregelt
34 
Der Frachtverkehr auf allen Bahnen sei;
35 
Daß ungestört der biedre Deutsche segelt
36 
Und dampft in jeden Hafen der Türkei,
37 
Und daß der Türke mit dem Deutschen kegelt
38 
Und einen Anlauf nimmt zur Kneiperei –
39 
Man spielt, wenn die Verträge abgeschlossen,
40 
Dem Wilhelm Liebknecht einen bösen Possen.
 
41 
Gewiß, die Herren sind profunde Denker
42 
Von freiem, klarem, unbeirrtem Geist.
43 
Das ist es ja, wofür den Staatenlenker
44 
Am höchsten man in unsern Tagen preist,
45 
Wenn er des Volksgemüths frivolem Henker
46 
Das Handwerk legt und ihm die Zähne weist.
47 
Hier macht der Staatsmann seine großen Treffer,
48 
Hier liegt der Hase eigentlich im Pfeffer.
 
49 
Der Staatsmann braucht des weiten Blickes Gabe,
50 
Wenn nieder er Gesetzentwürfe schreibt,
51 
Damit er ab den Volksbethörern grabe
52 
Das Wasser all, das ihre Mühlen treibt;
53 
Damit man einst an seinem stillen Grabe
54 
Mit Fug und Recht bei diesem Lobe bleibt:
55 
„Bei seinem Tod war Jedermann zufrieden
56 
Und froh des Looses, das ihm Gott beschieden.“
 
57 
Ist es erlaubt vielleicht, daß man bescheiden
58 
In dieser Hinsicht einen Vorschlag macht?
59 
Man weiß, es wird nur an des Volkes Leiden
60 
Und ihre Lindrung in Berlin gedacht –
61 
Hier könnte man den Lebensnerv durchschneiden
62 
Der Hetzerei, die so viel Haß entfacht.
63 
In dem Gesetz – der Kornzoll ist sein Titel –
64 
Liegt das patenteste der Abwehrmittel!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (29.6 KB)

Details zum Gedicht „Der neue Kurs“

Anzahl Strophen
8
Anzahl Verse
64
Anzahl Wörter
419
Entstehungsjahr
1893
Epoche
Naturalismus,
Moderne

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Der neue Kurs“ wurde von Rudolf Lavant geschrieben, einem deutschen Dichter, der von 1844 bis 1915 lebte. Damit lässt es sich in die Epoche des deutschen Kaiserreichs einordnen, einer Zeit politischer und gesellschaftlicher Umbrüche.

Auf den ersten Eindruck wirkt das Gedicht wie eine scharfe Kritik an der damaligen Politik und den politischen Entscheidungen, die getroffen wurden. Lavant stellt die Tätigkeiten und Entscheidungen der Regierenden infrage und verwendet dabei eine satirische und teils spöttische Sprache.

Inhaltlich befasst sich das lyrische Ich in dem Gedicht mit den politischen Entscheidungen und Gesetzentwürfen seiner Zeit. Dabei wird deutlich, dass es eher skeptisch gegenüber der politischen Führung und ihrer Handlungen eingestellt ist. Den Regierenden wird vorgeworfen, dass sie zwar zahlreiche Gesetze erlassen, es jedoch an einem verbindenden Gedanken fehlt. Zudem wird bemängelt, dass die politischen Kräfte versuchen, das Volk mit verschiedenen Maßnahmen zu manipulieren und kontrollieren. Gleichzeitig scheint das lyrische Ich auch die Hoffnung zu haben, dass die herrschende Politik das Volk emanzipiert und vor Verführern schützt.

Das Gedicht weist eine strenge Form auf. Jede der acht Strophen besteht aus acht Versen, was für eine sorgfältige und präzise Konstruktion des Gedichtes spricht. Der Reim folgt hierbei dem Muster ABAB CDCD.

Die Sprache des Gedichtes ist klar und deutlich, mit einer starken Betonung politischer Begriffe und Konzepte. Dabei wird eine Mischung aus formeller und umgangssprachlicher Sprache verwendet. Lavant benutzt verschiedene rhetorische Mittel, wie Ironie und Sarkasmus, um seine Kritik zum Ausdruck zu bringen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Rudolf Lavant mit seinem Gedicht „Der neue Kurs“ eine kritische Auseinandersetzung mit der Politik seiner Zeit führt. Damit liefert er einen interessanten Blickwinkel auf die politischen Entwicklungen im Kaiserreich und die Wahrnehmung dieser durch die Bevölkerung.

Weitere Informationen

Rudolf Lavant ist der Autor des Gedichtes „Der neue Kurs“. Lavant wurde im Jahr 1844 in Leipzig geboren. 1893 ist das Gedicht entstanden. Erschienen ist der Text in Stuttgart. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zu den Epochen Naturalismus oder Moderne zu. Bei Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit der Zuordnung. Die Auswahl der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und muss daher nicht unbedingt richtig sein. Das 419 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 64 Versen mit insgesamt 8 Strophen. Die Gedichte „An la belle France.“, „Bekenntnis“ und „Das Jahr“ sind weitere Werke des Autors Rudolf Lavant. Zum Autor des Gedichtes „Der neue Kurs“ haben wir auf abi-pur.de weitere 96 Gedichte veröffentlicht.

+ Wie analysiere ich ein Gedicht?

Daten werden aufbereitet

Weitere Gedichte des Autors Rudolf Lavant (Infos zum Autor)

Zum Autor Rudolf Lavant sind auf abi-pur.de 96 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.