Andenken an meinen ersten Todten von Johann Gottfried Herder
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Andenken an meinen ersten Todten, |
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das Liebste, was ich auf dieser Welt verloren |
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Früh ich einst den Bruder sah |
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Mit dem Tod umfangen! |
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Augen brechend lag er da, |
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Seine Rosenwangen |
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Schon Ebenbild des Todes! |
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Im kalten Schweiß, mit kalter Hand, |
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Da schon alle Welt ihm schwand, |
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Da sucht', da nannt' er mich! |
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Hob Aengste lächelnd sich: |
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»Du auch, Bruder, Du willst mich verlassen?« |
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Ach, starrte mich an, |
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Sank mir in die Arme. |
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Bruderarmen kam der Tod, |
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Ihn wegzuholen. |
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Wo, o süßer Knabe, wo |
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Bist Du hingeschieden? |
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Blühtest, Rosenknospe, mir |
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Nun verwelkt hienieden. |
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Hienieden nur erschienen |
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Wie Sonnenblick, wie Morgenstrahl |
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In des Wandrers dunkelm Thal. |
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Dein Geist, das Morgenroth! |
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Dein schönes Herz! - der Tod |
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Hat den Rosenknaben mir zerstöret! |
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Bist kalt wie das Grab, |
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Todebleicher Erdkloß. |
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Ach, des Lebens sanfter Strom |
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Ist starr erloschen. |
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Kalter Knabe! Bruder, nicht |
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Ewig mir verloren! |
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Holdes Wahnbild! ach, wozu, |
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Wozu schmerzgeboren |
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Hier auf die Schattenerde? |
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Auf meinen Knieen flossen Dir |
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Frühe zarte Thränen hier! |
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Wozu sind sie verweint? |
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Du Traumbild! Schattenfreund! |
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Schattenrose, mir nur vorgespiegelt! |
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Wirst Erde bald sein |
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Handvoll stumme Erde! |
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Gott, o Gott, wie trügst Du uns |
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Mit Wonn' im Leben. |
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Lebenswonn' und alle Lust, |
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Nichts ist selbst das Leben! |
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Schatten auf den Wogen her |
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Kommen wir und schweben |
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Wohin? - Ach, holder Knabe! |
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Sie sangen Dir in Todespein, |
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Sangen Labungston Dir ein: |
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»Zu Christ, dem Bruder mein, |
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Zum Himmel schlaf' ich ein!« |
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Da riß sich sein letzter Blick gen Himmel. |
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Wo wandelst Du nun? |
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Selige Erscheinung, |
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Kommst Du, wenn mein Blick einst bricht, |
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Mich heimzuholen? |
Details zum Gedicht „Andenken an meinen ersten Todten“
Johann Gottfried Herder
2
58
254
1744 - 1803
Sturm & Drang,
Klassik
Gedicht-Analyse
Das vorliegende Gedicht ist von Johann Gottfried Herder, einem deutschen Dichter, Theologen und Übersetzer, der von 1744 bis 1803 lebte. Er ist einer der wichtigsten Vertreter der Epoche der Aufklärung und Sturm und Drang. Das Gedicht „Andenken an meinen ersten Toten“ ist demnach zeitlich in das 18. Jahrhundert einzuordnen.
Auf den ersten Blick fallen zahlreiche traurige und düstere Begriffe und Wendungen auf, die den Ton des Gedichts bestimmen. Todes- und Abschiedsmotive ziehen sich dabei durch das gesamte Gedicht.
Inhaltlich geht es in dem Gedicht um ein lyrisches Ich, das um seinen verstorbenen Bruder trauert. Der Tod des Geliebten erscheint dem lyrischen Ich dabei als zutiefst traumatische und prägende Erfahrung. Das lyrische Ich setzt sich intensiv mit dem Verlust auseinander und bildet ein intimes und schmerzhaftes Erinnerungsbild des Verstorbenen. Durch den Verlust wird die Vergänglichkeit des menschlichen Lebens besonders schmerzlich bewusst.
Formal besteht das Gedicht aus zwei Strophen mit insgesamt 58 Versen. Die erste Strophe besteht nur aus zwei Versen und die zweite Strophe umfasst dann 56 Verse. Diese ungewöhnliche Form trägt zur Dramatik des Gedichts bei, da die umfangreiche Schilderung des Leids in der zweiten Strophe umso intensiver wirkt.
Herder verwendet eine intensive, bildhafte und emotionale Sprache. Besonders auffällig sind zahlreiche Metaphern und Vergleiche, die das Leid des lyrischen Ichs und das Bild des verstorbenen Bruders emotional verstärken. So wird der Bruder etwa als „Rosenknospe“ (Vers 19) bezeichnet, was seine Jugend und Unschuld, aber auch seine Zerbrechlichkeit unterstreicht.
Insgesamt verbindet das Gedicht Motive der Trauer und des Verlusts zu einem eindrücklichen Bild menschlicher Vergänglichkeit. Durch seine expressive Sprache und emotional aufgeladene Schilderung drückt es jedoch nicht nur Schmerz und Trauer, sondern auch eine tiefe Sehnsucht und Liebe aus, die über den Tod hinausreicht.
Weitere Informationen
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Andenken an meinen ersten Todten“ des Autors Johann Gottfried Herder. 1744 wurde Herder in Mohrungen (Ostpreußen) geboren. In der Zeit von 1760 bis 1803 ist das Gedicht entstanden. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text den Epochen Sturm & Drang oder Klassik zugeordnet werden. Der Schriftsteller Herder ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.
Als Sturm und Drang (auch Genieperiode oder Geniezeit) bezeichnet man eine Literaturepoche, die auf die Jahre 1765 bis 1790 datiert werden kann. Sie knüpfte an die Empfindsamkeit an und ging später in die Klassik über. Der Sturm und Drang war eine Protestbewegung, die aus der Aufklärung hervorging. Der Protest richtete sich dabei gegen den Adel und dessen höfische Welt, sowie andere absolutistische Obrigkeiten. Er richtete sich aber auch gegen das Bürgertum, das als eng und freudlos galt, und dessen Moralvorstellungen veraltet waren. Als Letztes richtete sich der Protest des Sturm und Drang gegen Traditionen in der Literatur. Die Vertreter der Epoche des Sturm und Drang waren häufig Autoren im jungen Alter, die sich gegen die vorherrschende Strömung der Aufklärung wandten. In den Gedichten wurde darauf geachtet eine geeignete Sprache zu finden, um die persönlichen Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen. Die Nachahmung und Idealisierung von Autoren aus vergangenen Epochen wie dem Barock wurde abgelehnt. Die alten Werke wurden dennoch geschätzt und dienten als Inspiration. Es wurde eine eigene Jugendkultur und Jugendsprache mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Wiederholungen und Halbsätzen geschaffen. Mit der Hinwendung Goethes und Schillers zur Weimarer Klassik endete der Sturm und Drang.
Die Weimarer Klassik dauerte von 1786 bis 1832 an. Zentrale Vertreter dieser Literaturepoche waren Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller. Die zeitliche Abgrenzung orientiert sich dabei an dem Schaffen Goethes. So wird dessen erste Italienreise 1786 als Beginn der deutschen Klassik angesehen, die dann mit seinem Tod 1832 ihr Ende nahm. Wie der Name bereits verrät, liegen das literarische Zentrum und der Ausgangspunkt der Weimarer Klassik, die auch kurz Klassik genannt wird, in Weimar. Zum Teil wird auch Jena als ein weiteres Zentrum dieser Literaturepoche angesehen. Statt auf Konfrontation und Widerspruch wie noch in der Aufklärung oder im Sturm und Drang strebte die Klassik nach Harmonie. Die wichtigsten Werte sind Toleranz und Menschlichkeit. Die Klassik orientierte sich an klassischen Vorbildern aus der Antike. Ziel der Literaturepoche der Klassik war es die ästhetische Erziehung des Menschen zu einer „charakterschönen“ Persönlichkeit zu forcieren. In der Gestaltung wurde das Gültige, Gesetzmäßige, Wesentliche aber auch die Harmonie und der Ausgleich gesucht. Im Gegensatz zum Sturm und Drang, wo die Sprache oftmals roh und derb ist, bleibt die Sprache in der Klassik den sich selbst gesetzten Regeln treu. Die Hauptvertreter der Klassik sind Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schiller, Johann Gottfried Herder und Christoph Martin Wieland. Einen künstlerischen Austausch im Sinne einer gemeinsamen Arbeit gab es jedoch nur zwischen Friedrich Schiller und Johann Wolfgang von Goethe.
Das vorliegende Gedicht umfasst 254 Wörter. Es baut sich aus 2 Strophen auf und besteht aus 58 Versen. Die Gedichte „Apollo“, „Bilder und Träume“ und „Das Flüchtigste“ sind weitere Werke des Autors Johann Gottfried Herder. Zum Autor des Gedichtes „Andenken an meinen ersten Todten“ haben wir auf abi-pur.de weitere 413 Gedichte veröffentlicht.
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