Die Reue von Johann Gottfried Herder

Tröst', o, tröste Dich, mein Herz,
Ueber Deine Leiden!
Blicke vor- und hinterwärts!
Süß ist überwundner Schmerz
Unverdienter Leiden.
Und verdientest Du den Schmerz,
So verdiene Freuden!
 
Irrthum zwar und Thorheit sind
Unser Loos hienieden,
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Mißgestaltet, schwach und blind;
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Jeder Fehler ist ihr Kind
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Und verscheucht den Frieden.
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Ach, der süßen Feinde sind
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Uns so viel beschieden.
 
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Aber jedem Fehl verband
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Jene ew'ge Treue,
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Jener göttliche Verstand
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Seiner Liebe bestes Pfand,
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Daß sie uns erneue;
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Besserung wird sie genannt,
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Menschen nennen s' Reue.
 
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Sanft zieht sie hinweg den Flor
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Von des Fehlers Blicke;
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Warnend kommt sie ihm zuvor,
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Oeffnet sanft sein taubes Ohr,
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Führt ihn zart zurücke;
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Durch der Reue niedres Thor
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Wandern wir zum Glücke.
 
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O, wie fröhlich fühlt das Herz
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Dann verlebte Leiden,
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Segnet seinen Arzt, den Schmerz,
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Blickt mit Schauer hinterwärts,
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Siehet vorwärts Freuden!
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Neu und freier wird das Herz
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Durch besiegte Leiden.
 
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Dank der mütterlichen Hand,
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Die den Kelch uns mischet,
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Die aus Schmerzen Lust erfand
39 
Und mit Lust den Schmerz verband,
40 
Der sie neu erfrischet.
41 
Dank der mütterlichen Hand,
42 
Die den Kelch uns mischet!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.5 KB)

Details zum Gedicht „Die Reue“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
42
Anzahl Wörter
179
Entstehungsjahr
1744 - 1803
Epoche
Sturm & Drang,
Klassik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Die Reue“ stammt von Johann Gottfried Herder und wurde im 18. Jahrhundert, in der Zeit der Aufklärung, verfasst.

Beim ersten Eindruck fällt die bewegende emotionale Kraft des Gedichts auf, die auf die innere Konflikte und Kämpfe des lyrischen Ichs hindeutet. Die Worte sind mit tiefem Mitgefühl gefüllt und verleihen dem Gedicht sowohl eine melancholische als auch hoffnungsvolle Atmosphäre.

Inhaltlich dreht sich das Gedicht um das Konzept und die Erfahrung der Reue. Das lyrische Ich adressiert zunächst sein eigenes Herz, beruhigt es und ermutigt es, trotz seiner Schmerzen und Leiden neue Freude zu verdienen und zu finden (Strophe 1). Dann erkennt es die Unvermeidlichkeit von Irrtümern und Dummheit in der menschlichen Natur (Strophe 2). Aber es besteht auch die Hoffnung auf Besserung und Veränderung durch die ewige Treue und den göttlichen Verstand, den die Menschen als „Reue“ bezeichnen (Strophe 3). Die Reue wird als Weg zur Glückseligkeit dargestellt, indem sie die Fehler klärt und das Herz für Freude öffnet (Strophe 4 und 5). In der letzten Strophe dankt das lyrische Ich für den Schmerz und Lust, die das Leben anbietet.

Die Form des Gedichts besteht aus sechs Strophen mit jeweils sieben Versen, die auf das traditionelle metrische Muster und den Reim der Lyrik zurückgreifen. Die Sprache ist einfach und verständlich, und der Rhythmus ist flüssig und gefällig, was den Inhalt des Gedichts klar und unmittelbar macht und die emotionale Wirkung auf den Leser verstärkt. Durch die Metaphern und bildhaften Ausdrücke schafft Herder eine tiefgründige und eindringliche Darstellung der gemischten Gefühle des lyrischen Ichs.

Zusammenfassend kann man sagen, dass es sich bei „Die Reue“ um ein Gedicht handelt, das auf bewegende Weise die menschliche Natur, die Unvermeidlichkeit von Fehlern und das Potential für Besserung und Glück durch Reue thematisiert. Es vermittelt die Botschaft, dass trotz des Leidens, das die Fehler verursachen, die Erfahrung der Reue und die daraus erwachsenden Verbesserungen den Weg zum Glück eröffnen können.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Die Reue“ ist Johann Gottfried Herder. 1744 wurde Herder in Mohrungen (Ostpreußen) geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1760 und 1803. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Sturm & Drang oder Klassik kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Bei Herder handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.

Der Sturm und Drang (häufig auch Geniezeit oder Genieperiode genannt) ist eine literarische Epoche, welche zwischen 1765 und 1790 existierte und an die Empfindsamkeit anknüpfte. Später ging sie in die Klassik über. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts dominierte der Geist der Aufklärung das philosophische und literarische Denken in Deutschland. Der Sturm und Drang kann als eine Jugend- und Protestbewegung gegen diese aufklärerischen Ideale verstanden werden. Das Rebellieren gegen die Epoche der Aufklärung brachte die wesentlichen Merkmale dieser Epoche hervor. Die Vertreter waren meistens junge Autoren, zumeist nicht älter als 30 Jahre. Um die persönlichen Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen, wurde insbesondere darauf geachtet eine geeignete Sprache zu finden und in den Gedichten einzusetzen. Es wurde eine eigene Jugendsprache und Jugendkultur mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Halbsätzen und Wiederholungen geschaffen. Die traditionellen Werke vorangegangener Epochen wurden dennoch geschätzt und dienten als Inspiration. Schiller, Goethe und natürlich die anderen Autoren jener Zeit suchten nach etwas Universalem, was in allen Belangen und für jede Zeit gut sei und entwickelten sich stetig weiter. So ging der Sturm und Drang über in die Weimarer Klassik.

Prägend für die Literatur der Weimarer Klassik war die Französische Revolution. Menschen setzten sich dafür ein, dass für alle die gleichen Rechte gelten sollten. Der Beginn der Weimarer Klassik ist im Jahr 1786 auszumachen. Die Epoche der Klassik endete im Jahr 1832 mit dem Tod Goethes. Literarisches Zentrum und Ausgangspunkt der Weimarer Klassik (kurz auch oftmals einfach nur Klassik genannt) war Weimar. Von zentraler Bedeutung für die Zeit der Weimarer Klassik ist der Begriff Humanität. Toleranz, Menschlichkeit, Selbstbestimmung, Schönheit und Harmonie sind wichtige inhaltliche Merkmale der Weimarer Klassik. Die Weimarer Klassik orientierte sich an klassischen Vorbildern aus der Antike. In der Lyrik haben die Autoren auf Stil- und Gestaltungsmittel aus der Antike zurückgegriffen. Beispielsweise war so die streng an formale Kriterien gebundene Ode besonders geschätzt. Des Weiteren verwendeten die Autoren eine gehobene, pathetische Sprache. Die bekanntesten Autoren der Weimarer Klassik sind: Friedrich Schiller, Johann Wolfgang von Goethe, Christoph Martin Wieland und Johann Gottfried von Herder.

Das vorliegende Gedicht umfasst 179 Wörter. Es baut sich aus 6 Strophen auf und besteht aus 42 Versen. Johann Gottfried Herder ist auch der Autor für Gedichte wie „Apollo“, „Bilder und Träume“ und „Das Flüchtigste“. Zum Autor des Gedichtes „Die Reue“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 413 Gedichte vor.

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