Der Altar der Barmherzigkeit von Johann Gottfried Herder
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Die Sage will uns irre führen, |
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Daß einst Prometheus von den Thieren |
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Dem Menschen dies und das erstahl. |
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Er schuf nach schönen Götterbildern, |
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Der Vorsicht Kunst darin zu schildern, |
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Im Menschen sich ein Ideal. |
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»Im Haupte soll die Pallas thronen; |
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Hier,« sprach er, »soll die Weisheit wohnen |
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Und zeig' im Blicke den Verstand. |
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Die Stirn sei Tempel der Gedanken; |
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Hier werd' erfunden, was in Schranken |
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Der Menschenstirn ein Mensch erfand. |
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Aurora soll auf seinen Wangen, |
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Auf seinen Lippen Suada hangen; |
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Der Zephyr fächle frischen Duft |
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Mit unbemerkbar leichtem Flügel |
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Zu diesem schöngewölbten Hügel; |
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Hier athme, Mensch, der Gottheit Luft! |
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Ich will, daß diese Geisteshöhe |
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Gebietend auf dem Thurmbau stehe, |
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Der über Thiere sich erhebt. |
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In dieser Brust soll Stärke thronen, |
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Auf diesem Busen Liebe wohnen, |
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Empfindend, was im Menschen lebt. |
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Sein Arm soll Geisteskräfte regen, |
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Die schlanken Hände sollen wägen |
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Und wirken mit Behendigkeit. |
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Sein Schenkel steh', und seinen Rücken |
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Soll keines Atlas' Last erdrücken; |
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Dem Fuße geb' ich Schnelligkeit. |
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Und inwärts diesem Heiligthume |
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Stell' ich mir selbst zum ew'gen Ruhme |
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Der Fühlbarkeiten Wunder dar. |
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Hier soll mit tausend Leidenschaften |
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Erbarmen, Zorn und Sehnsucht haften, |
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Hier sei des Mitgefühls Altar.« |
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Er schuf das Herz. »Aus mächt'ger Quelle |
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Mit nie versiegter, reger Welle |
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Ström' hier des Lebens Ueberfluß. |
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In engen, schlaugewundnen Schranken |
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Ström' er dem Haupte zu Gedanken |
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Und allen Gliedern Wohlgenuß.« |
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Ich ehr', o Vorsicht, Dein Geschäfte, |
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Und Deinen Willen, Deine Kräfte |
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Stell' ich mir hocherhaben dar. |
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Jedoch verzeih dem schwachen Armen, |
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In diesem Tempel ist Erbarmen, |
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Ein Herz voll Liebe mein Altar. |
Details zum Gedicht „Der Altar der Barmherzigkeit“
Johann Gottfried Herder
8
48
253
1744 - 1803
Sturm & Drang,
Klassik
Gedicht-Analyse
Dieses Gedicht wurde von Johann Gottfried Herder, einem der führenden Denker der deutschen Aufklärung, verfasst. Es datiert vermutlich aus dem späten 18. oder frühen 19. Jahrhundert.
Auf den ersten Blick scheint das Gedicht die Prinzipien der Aufklärung zu reflektieren. Es gibt einen deutlichen Fokus auf Vernunft, Weisheit und Menschlichkeit. In Bezug auf den Inhalt fokussiert das Gedicht sich auf die Erschaffung des Menschen von Prometheus, einem Gott der griechischen Mythologie, der dafür bekannt ist, den Menschen das Feuer gegeben zu haben.
Der erste Vers stellt fest, dass es eine Irrlehre ist zu glauben, dass Prometheus von den Tieren gestohlen hat, um den Menschen zu erschaffen. Stattdessen schuf er den Menschen nach dem Bild der Götter und infundierte ihm menschliche Tugenden und Stärken. In den folgenden Versen wird genau beschrieben, welche Fähigkeiten und Eigenschaften der Mensch besitzt, darunter Weisheit, Verstand, Emotionen und physische Stärke. Der letzte Teil des Gedichts akzentuiert den Wert von Mitgefühl und Liebe, welche Herder als Kernbestandteile der menschlichen Natur darstellt.
Die Form des Gedichts folgt einem klaren Muster. Jede Strophe hat sechs Verse, und der Rhythmus und Reim sind konsistent. Die Sprache des Gedichts ist aufklärerisch und hochtrabend, mit vielen Verweisen auf die griechische Mythologie und philosophische Konzepte. Es gibt auch eine starke Betonung auf die Personifizierung von abstrakten Ideen und Qualitäten durch die Benennung von Göttern und Göttinnen der Mythologie.
Insgesamt kann gesagt werden, dass das Gedicht von Johann Gottfried Herder die Ideale der Aufklärung hervorhebt. Es betont die Fähigkeiten und Tugenden, die den Menschen auszeichnen und stellt die menschliche Natur als etwas Erhabenes und Göttliches dar. Es ist eine Ode an die Menschlichkeit und die menschlichen Qualitäten, die uns auszeichnen. Letztlich ist es die Liebe und das Mitgefühl, die Herder als den wahren „Altar der Barmherzigkeit“ betrachtet.
Weitere Informationen
Das Gedicht „Der Altar der Barmherzigkeit“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Johann Gottfried Herder. Geboren wurde Herder im Jahr 1744 in Mohrungen (Ostpreußen). Im Zeitraum zwischen 1760 und 1803 ist das Gedicht entstanden. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text den Epochen Sturm & Drang oder Klassik zugeordnet werden. Bei dem Schriftsteller Herder handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.
Die Epoche des Sturm und Drang reicht zeitlich etwa von 1765 bis 1790. Sie ist eine Strömung innerhalb der Aufklärung (1720–1790) und überschneidet sich teilweise mit der Epoche der Empfindsamkeit (1740–1790) und ihren Merkmalen. Häufig wird der Sturm und Drang auch als Genieperiode oder Geniezeit bezeichnet. Die Klassik knüpft an die Literaturepoche des Sturm und Drang an. Der Epoche des Sturm und Drang geht die Epoche der Aufklärung voran. Die Ideale und Ziele der Aufklärung wurden verworfen und es begann ein Auflehnen gegen die Prinzipien der Aufklärung und das gesellschaftliche System. Die Vertreter der Epoche des Sturm und Drang waren häufig junge Autoren im Alter zwischen zwanzig und dreißig Jahren, die sich gegen die vorherrschende Strömung der Aufklärung wandten. Die Autoren versuchten in den Gedichten eine geeignete Sprache zu finden, um die subjektiven Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen. Die alten Werke vorangegangener Epochen wurden geschätzt und dienten als Inspiration. Dennoch wurde eine eigene Jugendkultur und Jugendsprache mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Wiederholungen und Halbsätzen geschaffen. Die Epoche des Sturm und Drang endete mit der Hinwendung Schillers und Goethes zur Weimarer Klassik.
Die Weimarer Klassik ist eine Literaturepoche, die insbesondere von den Dichtern Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller geprägt wurde. Goethes Italienreise im Jahr 1786 markiert den Anfang der Epoche. Das Todesjahr von Goethe, 1832, markiert das Ende der Weimarer Klassik. In der Literaturepoche sind Einflüsse der Französischen Revolution festzustellen. Sowohl Klassik als auch Weimarer Klassik sind häufig verwendete Bezeichnungen für die Literaturepoche. In Anlehnung an das antike Kunstideal wurde in der Weimarer Klassik nach Vollkommenheit, Harmonie, Humanität und der Übereinstimmung von Form und Inhalt gesucht. In der Lyrik haben die Autoren auf Gestaltungs- und Stilmittel aus der Antike zurückgegriffen. So war beispielsweise die streng an formale Kriterien gebundene Ode besonders populär. Darüber hinaus verwendeten die Dichter jener Zeit eine pathetische, gehobene Sprache. Die Hauptvertreter der Klassik sind Friedrich Schiller, Johann Wolfgang von Goethe, Johann Gottfried Herder und Christoph Martin Wieland. Einen künstlerischen Austausch im Sinne einer gemeinsamen Arbeit gab es jedoch nur zwischen Friedrich Schiller und Johann Wolfgang von Goethe.
Das Gedicht besteht aus 48 Versen mit insgesamt 8 Strophen und umfasst dabei 253 Worte. Weitere Werke des Dichters Johann Gottfried Herder sind „Apollo“, „Bilder und Träume“ und „Das Flüchtigste“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Der Altar der Barmherzigkeit“ weitere 413 Gedichte vor.
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Zum Autor Johann Gottfried Herder sind auf abi-pur.de 413 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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