Warum? von Johann Gottfried Herder

Warum verzäuntest Du, Natur, mit Alpenhöhen
Der Musen und der Künste Mutterland?
Warum umschlossest Du mit wilden Pyrenäen,
Wo irgend sich ein holdes Tempe fand?
Du bargst das Gold in tiefe Grüfte;
Selbst Hygiea's Quell entspringt
Im Thale rauher Klüfte,
Wo kaum ein Vogel singt.
 
»Das that ich,« spricht Natur, »um vor Barbaren
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Zu bergen jedes stille Musenland;
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Um vor Entweihenden es zu verwahren,
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Macht' ich die Straße wild und unbekannt.
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Dem Weichling schloß ich hinter Klüfte
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Den Quell Hygea's, und das Gold
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Verbarg ich tief in Grüfte,
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Daß Ihr's nicht suchen sollt.
 
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Durch Arbeit blühet Euch in jedem Thale
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Des goldnen Glückes stiller Selbstgenuß,
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Durch Mäßigung in jedem Eurer Mahle
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Gesundheit und der Freuden Ueberfluß.
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Hyperboreer Geist und Sitten
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Umzäunen Wälder rings umher;
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Das Volk der wilden Britten
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Umschloß ich mit dem Meer.«
 
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Und dennoch wandern plündernd sie, berauben
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Der Musen und der Künste Vaterland,
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Begraben ihren Raub, die Thörichten! und glauben,
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Sie hätten jetzt der Griechen Kunstverstand.
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Der Weichling siechet an der Quelle
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Hygea's in dem rauhen Thal
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Und suchet in der Hölle
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Das Gold zu seiner Qual.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.1 KB)

Details zum Gedicht „Warum?“

Anzahl Strophen
4
Anzahl Verse
32
Anzahl Wörter
180
Entstehungsjahr
1744 - 1803
Epoche
Sturm & Drang,
Klassik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Warum?“ wurde von dem deutschen Dichter Johann Gottfried Herder verfasst, der im 18. Jahrhundert (1744-1803) lebte. Folglich lässt es sich in die Epoche der Aufklärung und des Sturm und Drang einordnen.

Auf den ersten Blick drückt das Gedicht eine Kritik an dem Umgang der Menschheit mit der Natur und deren Ressourcen aus. Dabei wird die Natur als bewusstes Wesen dargestellt, das versucht, seine Schätze vor den Menschen zu schützen.

Inhaltlich scheint das lyrische Ich die Natur direkt zu fragen warum sie die Heimat der Musen und Künste – wahrscheinlich als Metapher für Griechenland, die Wiege der westlichen Kultur – mit Bergen und wilden Gebieten umgibt und warum sie wertvolle Rohstoffe wie Gold in tiefe Gruben versteckt. In der zweiten Strophe antwortet die Natur, dass sie dies getan hat, um das Land der Musen vor den „Barbaren“ und den Respektlosen zu schützen. In der dritten Strophe spricht die Natur weiter und erklärt, dass wahrer Reichtum und Gesundheit durch harte Arbeit und Mäßigkeit erreicht werden können. In der letzten Strophe beklagt das lyrische Ich, dass die Menschen trotzdem rauben und plündern, in der irrigen Annahme, dass sie damit den griechischen Kunstsinn erlangen könnten.

Die Botschaft des lyrischen Ichs und indirekt der Natur scheint zu sein, dass wirklicher Wert und Glück nicht durch Plünderung und Zerstörung erreicht werden können, sondern nur durch harte Arbeit, Mäßigung und Respekt für die Natur und Kultur.

Formal besteht das Gedicht aus vier achtzeiligen Strophen. Jeder Vers ist dabei in Alexandrinern, also sechshebigen Jamben, geschrieben. Sprachlich ist das Gedicht geprägt von einer gehobenen, teils metaphorischen Sprache und einer dialogischen Struktur, die das Gedicht dynamisch und lebendig machen.

Zusammengefasst handelt es sich bei „Warum?“ um ein Gedicht, das die Missachtung und Zerstörung der Natur und Kultur durch die Menschheit anprangert und dabei für einen respektvolleren Umgang und die Wertschätzung wahrer Werte plädiert. Seine Botschaft ist dabei heute aktueller denn je.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Warum?“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Johann Gottfried Herder. 1744 wurde Herder in Mohrungen (Ostpreußen) geboren. Im Zeitraum zwischen 1760 und 1803 ist das Gedicht entstanden. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zu den Epochen Sturm & Drang oder Klassik zu. Herder ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.

Der Sturm und Drang (häufig auch Geniezeit oder Genieperiode genannt) ist eine literarische Epoche, welche zwischen 1765 und 1790 existierte und an die Empfindsamkeit anknüpfte. Später ging sie in die Klassik über. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts dominierte der Geist der Aufklärung das philosophische und literarische Denken in Deutschland. Der Sturm und Drang kann als eine Protest- und Jugendbewegung gegen diese aufklärerischen Ideale verstanden werden. Das Auflehnen gegen die Epoche der Aufklärung brachte die wesentlichen Merkmale dieser Epoche hervor. Die Schriftsteller des Sturm und Drang waren zumeist junge Autoren, häufig unter 30 Jahre alt. In den Gedichten wurde darauf geachtet eine geeignete Sprache zu finden, um die persönlichen Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen. Die Nachahmung und Idealisierung von Schriftstellern aus vergangenen Epochen wie dem Barock wurde abgelehnt. Die alten Werke wurden dennoch geschätzt und dienten als Inspiration. Es wurde eine eigene Jugendkultur und Jugendsprache mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Wiederholungen und Halbsätzen geschaffen. Mit seinen beiden bedeutenden Vertretern Goethe und Schiller entwickelte sich der Sturm und Drang weiter und ging in die Weimarer Klassik über.

Richtungsweisend für die Literatur der Weimarer Klassik war die Französische Revolution. Menschen setzten sich dafür ein, dass für alle die gleichen Rechte gelten sollten. Der Beginn der Weimarer Klassik ist im Jahr 1786 auszumachen. Die Literaturepoche endete im Jahr 1832 mit dem Tod Johann Wolfgang von Goethes. Wie der Name bereits verrät, liegen das literarische Zentrum und der Ausgangspunkt der Weimarer Klassik, die auch kurz Klassik genannt wird, in Weimar. Zum Teil wird auch Jena als ein weiteres Zentrum der Literaturepoche angesehen. Der Begriff Humanität ist prägend für die Zeit der Weimarer Klassik. Die wichtigsten inhaltlichen Merkmale der Klassik sind: Selbstbestimmung, Harmonie, Toleranz, Menschlichkeit und die Schönheit. In der Weimarer Klassik wird eine geordnete, einheitliche Sprache verwendet. Kurze, allgemeingültige Aussagen sind häufig in Werken der Weimarer Klassik zu finden. Da man die Menschen früher mit der Kunst und somit auch mit der Literatur erziehen wollte, legte man großen Wert auf Stabilität und formale Ordnung. Metrische Ausnahmen befinden sich häufig an Stellen, die hervorgehoben werden sollen. Die bedeutendsten Schriftsteller der Weimarer Klassik sind Friedrich Schiller und Johann Wolfgang von Goethe. Weitere Schriftsteller der Weimarer Klassik sind Johann Gottfried Herder und Christoph Martin Wieland. Die beiden letztgenannten arbeiteten aber jeweils für sich. Einen produktiven Austausch im Sinne eines gemeinsamen Arbeitsverhältnisses gab es nur zwischen Friedrich Schiller und Johann Wolfgang von Goethe.

Das Gedicht besteht aus 32 Versen mit insgesamt 4 Strophen und umfasst dabei 180 Worte. Johann Gottfried Herder ist auch der Autor für Gedichte wie „Bilder und Träume“, „Das Flüchtigste“ und „Das Gesetz der Welten im Menschen“. Zum Autor des Gedichtes „Warum?“ haben wir auf abi-pur.de weitere 413 Gedichte veröffentlicht.

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