Antwort auf die Klage von Johann Gottfried Herder

»Ach, daß Jahre voll Vergnügen
Schnellen Winden gleich verfliegen!
Einen Augenblick voll Leid
Macht der Schmerz zur Ewigkeit.«
 
Und die goldnen süßen Stunden
Wären Dir wie nichts verschwunden?
Sieh, ein holder Augenblick
Bringt Dir tausende zurück!
 
Müh und Leid sind überwunden,
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Hellgeläutert kehren Stunden,
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Und mit ihnen reines Glück,
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Rein von Müh und Leid, zurück.
 
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Jede Furcht, Verdruß und Trauer
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Wird in ihnen süßer Schauer;
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Dulcamara bringt die Zeit,
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Dolce die Vergangenheit.
 
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Heil uns! jedes Jetzt hat Flügel;
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Die Erinnrung hält den Zügel;
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Jeder Augenblick enteilt;
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Süßes Angedenken weilt.
 
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Eine nur der Göttergaben
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Ewiget: »genossen haben.«
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Haben wird zum Ueberdruß,
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Angedenken ist Genuß.
 
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Nur geliehen war die Stunde,
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Nur geliehn auf fremdem Grunde;
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Meine Schätze, dort und hier
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Frei gepflückt, trag' ich in mir.
 
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Und was mir im Rücken lieget,
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Groß, daß es mich übergnüget;
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Ist die Unermeßlichkeit,
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Ist nicht mein die Ewigkeit?
 
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Keine meiner Lebensstunden
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War mir dann wie nichts verschwunden;
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Jeder Tropfe Freud' und Leid
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Mehrt den Strom der Süßigkeit.
 
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Diesen Schatz in mir zu häufen,
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Weit und weiter stets zu greifen,
39 
Im Besitz der Künftigkeit,
40 
Macht mein Jetzt zur Ewigkeit.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.8 KB)

Details zum Gedicht „Antwort auf die Klage“

Anzahl Strophen
10
Anzahl Verse
40
Anzahl Wörter
183
Entstehungsjahr
1744 - 1803
Epoche
Sturm & Drang,
Klassik

Gedicht-Analyse

„Antwort auf die Klage“ ist ein Gedicht von Johann Gottfried Herder, einem deutschen Dichter, Übersetzer, Philosophen und Theologen der Aufklärungszeit. Herder war einer der wichtigsten Theoretiker und Vertreter der Sturm und Drang Zeit, die sich von etwa 1770 bis 1785 erstreckte.

Beim ersten Durchlesen scheint das Gedicht emotional und nachdenklich zu sein. Es stellt eine tiefgründige Untersuchung über die Wahrnehmung von Zeit, Erinnerungen und Lebenserfahrungen dar.

Das lyrische Ich reflektiert und antwortet auf die Klage, dass glückliche Zeiten wie im Flug vergehen, während ein Moment des Schmerzes wie eine Ewigkeit erscheint. Das Gedicht argumentiert, dass sowohl Freude als auch Leid wertvoll sind, weil sie das Leben prägen. Herder betont auch die Kraft der Erinnerungen und behauptet, die Vorstellung, dass die Vergangenheit jemals verschwindet, ist ein Trugschluss. Die Erinnerungen an Vergangenes tragen zur Süßigkeit des Lebens bei; sie sind ein Schatz, den das lyrische Ich in sich trägt.

Das Gedicht ist in zehn Quartette gegliedert (vier Zeilen lang), was eine geordnete Struktur suggeriert, ebenso wie ein Gefühl der Stabilität oder Kontinuität in der Vorstellung von Zeit und Erinnerungen. Die Sprache, die Herder verwendet, ist recht bildlich und poetisch, mit Begriffen wie „gold'ne süße Stunden“ und „Strom der Süßigkeit“. Solche Wortwahl malt ein lebendiges, sinnliches Bild der Erinnerungen und Erfahrungen, die das lyrische Ich hervorhebt.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass „Antwort auf die Klage“ eine feierliche, durchdachte Auseinandersetzung mit der Zeit und den Erinnerungen ist. Es vermittelt die wichtige Botschaft, dass wir jede Lebenserfahrung, ob gut oder schlecht, schätzen und in uns tragen sollten, und dass die Erinnerung an das Vergangene eine Quelle der Freude und des Trostes sein kann. Herders Verwendung von Bildsprache und rhythmischer Struktur intensiviert und vertieft diese Botschaft.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Antwort auf die Klage“ ist Johann Gottfried Herder. 1744 wurde Herder in Mohrungen (Ostpreußen) geboren. Das Gedicht ist in der Zeit von 1760 bis 1803 entstanden. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zu den Epochen Sturm & Drang oder Klassik zu. Der Schriftsteller Herder ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.

Zwischen den Epochen Empfindsamkeit und Klassik lässt sich in den Jahren zwischen 1765 und 1790 die Strömung Sturm und Drang einordnen. Geniezeit oder zeitgenössische Genieperiode sind häufige Bezeichnungen für diese Literaturepoche. Der Literaturepoche des Sturm und Drang geht die Epoche der Aufklärung voran. Die Ideale und Ziele der Aufklärung wurden verworfen und es begann ein Auflehnen gegen die Prinzipien der Aufklärung und das gesellschaftliche System. Die Schriftsteller der Epoche des Sturm und Drangs waren häufig unter 30 Jahre alt. Die Schriftsteller versuchten in den Gedichten eine geeignete Sprache zu finden, um die persönlichen Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen. Es wurde eine eigene Jugendsprache und Jugendkultur mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Halbsätzen und Wiederholungen geschaffen. Die traditionellen Werke vorangegangener Epochen wurden geschätzt und dienten als Inspiration. Die Epoche des Sturm und Drang endete mit der Hinwendung Schillers und Goethes zur Weimarer Klassik.

Die Literaturepoche der Klassik beginnt nach heutiger Auffassung mit der Italienreise Goethes, die er 1786 im Alter von 36 Jahren machte. Das Ende der Epoche wird auf 1832 datiert. In der Klassik wurde die Literatur durch Einflüsse der Französischen Revolution, die ziemlich zu Beginn der Epoche stattfand, entscheidend geprägt. In der Französischen Revolution setzten sich die Menschen dafür ein, dass für alle die gleichen Rechte gelten sollten. Das Zentrum dieser Literaturepoche lag in Weimar. Es sind sowohl die Bezeichnungen Klassik als auch Weimarer Klassik gebräuchlich. Humanität, Güte, Gerechtigkeit, Toleranz, Gewaltlosigkeit und Harmonie sind die essenziellen Themen. Die Klassik orientiert sich am antiken Kunstideal. In der Lyrik haben die Dichter auf Stil- und Gestaltungsmittel aus der Antike zurückgegriffen. So war beispielsweise die streng an formale Kriterien gebundene Ode besonders populär. Darüber hinaus verwendeten die Dichter jener Zeit eine gehobene, pathetische Sprache. Goethe, Schiller, Herder und Wieland bildeten das „Viergestirn“ der Klassik. Es gab natürlich auch noch andere Autoren, die typische Werke veröffentlichten, doch niemand übertraf die Fülle und die Popularität dieser vier Autoren.

Das Gedicht besteht aus 40 Versen mit insgesamt 10 Strophen und umfasst dabei 183 Worte. Weitere bekannte Gedichte des Autors Johann Gottfried Herder sind „Das Kind der Sorge“, „Das Orakel“ und „Das Ross aus dem Berge“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Antwort auf die Klage“ weitere 413 Gedichte vor.

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