Timon der Zweite von Johann Gottfried Herder

»Nur aus der Welt, der Lasterwelt,
Der Welt voll Heuchelei, Gewalt und Schadenfreude!
Wo jede gute That mit Wermuth wird vergällt,
Wo Unschuld, Zärtlichkeit und Tugendfreude
Längst flohen! Aus der Lasterwelt
Zum Himmel auf!« So taumelt' ich voll Gram,
Verzweifelnd, unstät in die Wüst' und kam
An eine kleine Hütt' und sah
Da!
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Himmelsmädchen! Find' ich eine,
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Die ich such', um die ich weine,
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Eine der Göttinnen hier?
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Unschuld, Liebe, Tugendfreude
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Welche? - Doch Du bist der keine!
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Unschuld, Liebe, Tugendfreude
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Wohnen ja vereint in Dir!
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Mädchen, um Dich ist der Himmel!
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Süßes Mädchen, vom Getümmel
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Jener Welt, voll Schadenfreude,
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Voll Gewalt, voll Heuchelei,
21 
Floh ich! - Schönste! ach, vergönnst Du,
22 
Daß dies hier mein Himmel sei?
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.5 KB)

Details zum Gedicht „Timon der Zweite“

Anzahl Strophen
1
Anzahl Verse
22
Anzahl Wörter
117
Entstehungsjahr
1744 - 1803
Epoche
Sturm & Drang,
Klassik

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht „Timon der Zweite“ stammt von dem Dichter Johann Gottfried Herder, der von 1744 bis 1803 lebte. Es lässt sich damit in die Epoche der Aufklärung einordnen.

Beim ersten Lesen fällt auf, dass das lyrische Ich starke Gefühle von Verzweiflung und Sehnsucht ausdrückt. Die Welt wird als Ort voller Übel und Ungerechtigkeiten dargestellt, von dem das lyrische Ich flieht.

Das lyrische Ich beschreibt zunächst, wie es enttäuscht und voller Gram aus der verderbten Welt flüchtet – eine Welt, die von Heuchelei, Gewalt und Schadenfreude geprägt ist. In der Wüste stößt es auf eine Hütte und dort auf ein Mädchen, das es als personifizierte Unschuld, Liebe und Tugend wahrnimmt. Diese Begegnung wird als Erlösung und himmlischer Glückszustand beschrieben. Das lyrische Ich bittet das Mädchen schließlich um die Erlaubnis, dort bleiben zu dürfen.

Inhaltlich lässt sich das Gedicht als eine Art Parabel interpretieren. Herder nutzt das Bild der Flucht aus der dekadenten Welt und die Begegnung mit dem Mädchen als Allegorie für die Suche des Menschen nach Echtheit, Unschuld und Tugend in einer moralisch verfallenden Welt.

Formal besteht das Gedicht aus einer einzigen Strophe mit 22 Versen. Sprachlich fällt auf, dass Herder eine recht simple, aber dennoch sehr emotional geladene Sprache verwendet. Zudem nutzt er Bilder und Metaphern (zum Beispiel die Vergleiche des Mädchens mit einer Gottheit und der Hütte mit dem Himmel) um seine Botschaft zu vermitteln. Durch die direkte Anrede des Mädchens erzeugt er eine starke emotionale Intensität und Nähe.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass „Timon der Zweite“ das Ringen des Menschen nach Unschuld und Tugend in einer verfallenden Welt thematisiert. Die Sehnsucht nach diesen Werten ist so stark, dass das lyrische Ich bereit ist, die Welt zu verlassen und in der Wüste Zuflucht zu suchen. Dabei symbolisiert das Mädchen die reinsten Tugenden, nach denen das lyrische Ich sucht.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Timon der Zweite“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Johann Gottfried Herder. Im Jahr 1744 wurde Herder in Mohrungen (Ostpreußen) geboren. Zwischen den Jahren 1760 und 1803 ist das Gedicht entstanden. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht den Epochen Sturm & Drang oder Klassik zuordnen. Herder ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.

Der Sturm und Drang (häufig auch Geniezeit oder Genieperiode genannt) ist eine literarische Epoche, welche zwischen 1765 und 1790 existierte und an die Empfindsamkeit anknüpfte. Später ging sie in die Klassik über. Der Sturm und Drang war die Phase der Rebellion junger deutscher Autoren, die sich gegen das gesellschaftliche System und die Prinzipien der Aufklärung wendeten. Die Vertreter der Epoche des Sturm und Drang waren häufig Autoren im jungen Alter, die sich gegen die vorherrschende Strömung der Aufklärung wandten. Die Autoren versuchten in den Gedichten eine geeignete Sprache zu finden, um die subjektiven Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen. Die alten Werke vorangegangener Epochen wurden geschätzt und dienten als Inspiration. Aber dennoch wurde eine eigene Jugendkultur und Jugendsprache mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Wiederholungen und Halbsätzen geschaffen. Die Epoche des Sturm und Drang endete mit der Hinwendung Schillers und Goethes zur Weimarer Klassik.

Die Weimarer Klassik war geprägt durch die Französische Revolution mit ihren Forderungen nach Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit. Der Kampf um eine Verfassung, die revolutionäre Diktatur unter Robespierre und der darauffolgende Bonapartismus führten zu den Grundstrukturen des 19. Jahrhundert (Nationalismus, Liberalismus und Imperialismus). Die Weimarer Klassik lässt sich zeitlich mit Goethes Italienreise im Jahr 1786 und mit Goethes Tod 1832 eingrenzen. Sowohl Klassik als auch Weimarer Klassik sind häufig verwendete Bezeichnungen für die Literaturepoche. Zu den bedeutenden Motiven der Klassik gehören unter anderem Menschlichkeit und Toleranz. In der Gestaltung wurde das Gesetzmäßige, Wesentliche, Gültige sowie die Harmonie und der Ausgleich gesucht. Im Gegensatz zum Sturm und Drang, wo die Sprache oftmals roh und derb ist, bleibt die Sprache in der Weimarer Klassik den sich selbst gesetzten Regeln treu. Goethe, Schiller, Wieland und Herder bildeten das „Viergestirn“ der Klassik. Es gab natürlich auch noch andere Autoren, die typische Werke veröffentlichten, doch niemand übertraf die Fülle und die Popularität dieser vier Autoren.

Das vorliegende Gedicht umfasst 117 Wörter. Es baut sich aus nur einer Strophe auf und besteht aus 22 Versen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Johann Gottfried Herder sind „An den Schlaf“, „An die Freundschaft“ und „Apollo“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Timon der Zweite“ weitere 413 Gedichte vor.

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