Stanzen von Johann Gottfried Herder
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Im ersten Herbst von meinen Lebensjahren, |
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Nachdem mich mancher schwere Tag gedrückt, |
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Nachdem ich beiderlei Geschick erfahren, |
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Das eigne Schuld und fremdes Glück uns schickt, |
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Auch mancherlei Gespenst des Wunderbaren |
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Und manche Lieb' und Huldgestalt erblickt, |
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Rief eine Stimme mich, jenseit der Höhen |
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Das Land der Abenteu'r und Kunst zu sehen. |
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»Lebt,« sprach ich, »lebet wohl, Ihr, meine Freude, |
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Mein Trost und meiner Wünsche kleine Schaar, |
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Ihr, deren Anblick mir in manchem Leide |
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Ein Nektartropfe vom Olympus war; |
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Und Du, an der ich meine Seele weide, |
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Die mir mich selbst, die mir mein Glück gebar |
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Lebt Alle wohl und laßt mich jetzt verschwinden, |
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Bald neu verjüngt Euch freudig wiederfinden!« |
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»Leb wohl,« so sprach mit Schluchzen und mit Weinen |
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Großmüthig Ariadne, »lebe wohl!« |
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Und schlang den Arm um mich und unsre Kleinen; |
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Noch hör' ich es, wie ihre Stimme scholl, |
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Noch seh' ich mir ihr liebes Bild erscheinen, |
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Die Hände ringend, rufend: »Lebe wohl!« |
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Und bin gewiß, so lang' der Ton mich leitet, |
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Daß nie mein Schritt, nie meine Hoffnung gleitet. |
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Ich schied; und über Nebel, Berg' und Thale |
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Zog mich der Weg ins schöne Frankenland, |
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Wo ich bei manchem alten Ehrenmale |
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Der deutschen Kunst auch deutsche Sitten fand |
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Und, wie vorübergleitend mit dem Strahle |
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Der Sonne, manches gute Herz gekannt. |
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So glitt ich sanft hinab, und mit Vergnügen |
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Sah ich im Geist die Alpen vor mir liegen. |
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Ach! aber da umfing in Augsburg's Mauern |
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Mich welch ein böser, fürchterlicher Traum! |
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Schreckbilder sah ich vor mir, um mich lauern; |
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Ich sah und traute meinen Augen kaum. |
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»Was hilft Dir,« sprach ich, »Deine Angst, Dein Trauern? |
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Gieb Deinem Herzen, Deinen Blicken Raum!« |
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Und sieh, da kam, von Westen hergetragen, |
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Pandora an auf Epimetheus' Wagen. |
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»Ich komme nicht um mich, nur Eurethalben; |
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Verschönen will ich Euer Wandeln Euch.« |
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So sprach sie, duftend ihrer Büchse Salben, |
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Als öffnete sie uns Cytherens Reich. |
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»Uns werden Rosen blühn; die welken, fallen, |
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Verwandeln sich vor uns in Knöspchen gleich.« |
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So sprach sie; aber ach, Ihr guten Stunden, |
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Ihr waret mir, mir war mein Glück verschwunden! |
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Wie zog ich mich auf grauer Alpen Rücken, |
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Beschwert im Herzen, mühsam auf und ab! |
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Jedweder Fels schien ächzend mich zu drücken, |
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Jedwedes Thal schien meiner Wünsche Grab; |
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Und als mit neuem, wonnigem Entzücken |
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Verona seinen Schooß dem Blicke gab, |
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Da sprach zu mir, nie werd' ich es vergessen, |
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Ein Geist herab vom Gipfel der Cypressen. |
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Ich stand, der Abendsonne mich zu freuen, |
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Und übersah die weite Lombardei. |
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»Woher,« sprach ich, »o Geist, dies Mißgedeihen |
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Schuldloser Wünsche? sprich, woher es sei?« |
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»Die alte Schuld unwahrer Buhlereien!« |
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So sprach der Geist und rauschte sanft vorbei. |
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»Statt jetzt dies Land in Friede zu genießen, |
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Kommst Du hieher, für alte Schuld zu büßen. |
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Verwöhnt von Deinen nur zu milden Sternen, |
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Schien Dir zu arm des Lebens reichstes Glück. |
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Was Du genossen, sollst Du kennen lernen; |
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Denn nur im Darben sieht der Thor zurück. |
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Drum hieß von Deinen Lieben Dich entfernen |
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Dein günstiges, Dein besserndes Geschick. |
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Du sollst, um Deine Weisheit neu zu üben, |
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Jetzt Bilder sehn und Menschen lernen lieben. |
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Nie hast Du im Geräusch der Welt den Frieden |
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Des eignen Herzens sittsam Dir bewahrt, |
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Nie zwischen Mensch und Menschen unterschieden, |
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Nie eingesehn, was für ein Glück Dir ward, |
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Es zu betrüben, nie genug vermieden, |
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Es zu genießen, nie genug gespart; |
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Dafür den treusten Herzen jetzt entnommen, |
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Bist Du hieher ins Land der Künste kommen.« |
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Er sprach's; und ach, wie wahr hast Du gesprochen, |
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Geist der Cypresse, wie so grausam wahr! |
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Ihr guten Herzen seid genug gerochen; |
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Ich sehe mich und Euch so hell und klar. |
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Was thätig und unthätig ich verbrochen, |
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Macht jeder Schritt mir kund und offenbar. |
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Ich seh', ich mußte mich von Euch entfernen |
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Und durch Verlust des Lebens Weisheit lernen. |
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Dank also Euch, Ihr göttlichen Medusen, |
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Die mich gelehrt, daß Ihr Medusen seid! |
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Dank Euch, Ihr todten Künste, kalte Musen, |
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Zerfallne Mauern, Grab der Eitelkeit! |
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Wenn je dem falschen, je dem Marmorbusen |
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Statt wahrer Herzen Weihrauch ich gestreut, |
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So nehmt von mir den letzten Zoll hienieden, |
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Der Reue Zoll, und laßt mich ziehn in Frieden! |
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Auch Euch, Ihr der Natur erhabne Scenen, |
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Gebirge, Felsen, Ebnen, Ufer, Meer, |
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Du Meer von Adria und Ihr Sirenen |
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Parthenope's, Ihr Inseln um sie her, |
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Dank Euch, daß, mit mir selbst mich zu versöhnen, |
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Ihr meine Brust von Seufzern machtet schwer! |
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Mit unschuldsvollem, liebeszartem Sehnen |
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Weiht' ich, der Menschheit froh, Euch stille Thränen. |
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Und Ihr erquicktet mich, als in Verona |
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Die Sonne nieder, als sie aufwärts stieg |
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In Rimini, und ich dann in Ancona |
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Mich mit dem Meer vermählete und schwieg; |
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Mit Dir vermählt' ich mich, o Dea Bona, |
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Du gute Göttin, mit der Hoffnung Sieg, |
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Und wie die Sonne war ich liebestrunken |
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Aus Deinem Arm in Deinen Schooß gesunken. |
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O gute Göttin, darf ich, darf ich nennen |
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Den heil'gen Namen? Nenn' ich Dich Natur? |
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Nenn' ich Dich Liebe? Ach, nur Dich zu kennen, |
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Irr' ich umher auf alles Wissens Spur. |
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Und doch, um reiner Flamm' in Dir zu brennen, |
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Bedarf ich reiner Lieb' und Weisheit nur. |
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Nicht Kunst, nicht Wissenschaft: die Kunst des Lebens |
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Ist Wissenschaft; sonst ist die Kunst vergebens. |
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Du, Göttin, weißt, daß ich an jedem Bilde |
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Des schönsten Marmors Dich, nur Dich gelernt, |
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Daß Du, so freundlich und mit Weisheit milde, |
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Durchs Schöne mir nur den Betrug entfernt. |
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Dann schlich ich mich in andere Gefilde, |
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Als die man mit Palett' und Meißel lernt |
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Ich lernt' an Eurem Knie, an Eurem Busen |
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Nichts als Humanität, erhabne Musen. |
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Und sah sie in den göttlichsten Gestalten, |
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Sah Weisheit, Güte, Macht als Menschenbild, |
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Sah jeder Schönheit Knospe sich entfalten, |
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Sah jede Art in Menschenform gehüllt; |
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Sah Kräfte sprossen, wachsen und veralten |
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Und jeden Zweig von seinem Saft erfüllt, |
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Sah hier das Licht aufgehen, steigen, schwinden |
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Und lernte stets die Menschheit wiederfinden. |
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Daneben sah ich - darf ich Dich auch nennen, |
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Du inhumanes, alt- und neues Rom? |
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Doch wer wird Dich im Namen nicht schon kennen, |
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Du Capitol und Du St. Peter's Dom? |
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Du Pfuhl, aus dem, die Erde zu verbrennen, |
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Ausging ein alter und ein neuer Strom, |
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Von Kriegern einst bewohnt und Senatoren, |
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Von Pfaffen jetzt bewohnt und Monsignoren. |
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Ich lernte Dich und Deiner theuren Prinzen |
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Und Deiner Prinzessinnen schönes Heer, |
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Die Wüsten Deiner darbenden Provinzen |
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Und Deiner Wissenschaften todtes Meer; |
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Die Weisheit lernt' ich sehn mit Augen blinzen, |
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Die Andacht sehn, von altem Taumel schwer, |
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Die Heuchelei mit stolzen Sklavenmienen, |
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Den Knecht der Knechte, dem die Völker dienen. |
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O daß mir einst, dies Alles zu verkünden, |
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Der Erdengenius sein Buch verlieh', |
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Daß ich, wie Geister allgemach erblinden |
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Und Heilige erkranken wie ein Vieh, |
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Daß ich das große Buch der Menschensünden |
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Entwickeln könnt' mit seinem Wann und Wie: |
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Vom ganzen Heer Castraten-Nachtigallen |
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Sollt' Ave! Amen! in die Lieder schallen. |
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Jedoch, mein Geist, wohin schwingst Du die Flügel |
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Und moderst noch in dieser Todesgruft? |
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Erst über Ström' und Wüsten, Berg' und Hügel, |
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Bis Dich ein neuer mildrer Athem ruft; |
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Dann fühle froh der Gottheit großes Siegel, |
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Dann schweb entzückt im holden Frühlingsduft, |
167 |
Und dann laß, süß umarmt von allen Deinen, |
168 |
Was in Dir glänzt, auch Andern widerscheinen! |
Details zum Gedicht „Stanzen“
Johann Gottfried Herder
21
168
1170
1744 - 1803
Sturm & Drang,
Klassik
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Stanzen“ wurde von Johann Gottfried Herder verfasst, einem Schriftsteller der Weimarer Klassik, der vom 25. August 1744 bis zum 18. Dezember 1803 lebte. Herder spielte in der deutschen Literaturgeschichte eine wichtige Rolle, insbesondere durch seine Beiträge zur Ästhetik und zur kulturellen Anthropologie.
Beim Durchlesen des Gedichts entsteht der erste Eindruck einer persönlichen und introspektiven Reflexion des Dichters, die sowohl Elemente der Spiritualität als auch der Selbst-Erkennung enthält.
Der Inhalt des Gedichts scheint die persönliche und spirituelle Reise des lyrischen Ichs darzustellen. Diese Reise beginnt mit jüngeren Lebensjahren, in denen das lyrische Ich verschiedene Schwierigkeiten und Herausforderungen erlebt hat, sowie die Höhen und Tiefen des Schicksals kennengelernt hat. Die Reise beinhaltet Abschiede von geliebten Personen, Erfahrungen in verschiedenen Orten und Regionen, Begegnungen mit unterschiedlichen Personifikationen der Lebenserfahrung (Motiv der klassischen Mythologie wie Pandora und die Medusen) und schließlich eine Rückkehr zu seinem inneren Selbst.
Die Form des Gedichts ist in gestaffelten Oktaven (achtreihigen Strophen) gehalten, was zu einer wellenartigen Bewegung zwischen verschiedenen Lebensphasen und emotionalen Zuständen beiträgt. Die Sprache ist reich und bildhaft, mit vielen Anspielungen auf klassische Mythologie und Geographie, was zur tiefen und introspektiven Stimmung des Gedichts beiträgt.
Insgesamt scheint „Stanzen“ eine Reflexion des lyrischen Ichs über sein Leben, seine Erfahrungen und seine Selbst-Erkennung zu sein. Es zeigt die spirituelle Reise einer Person, die durch verschiedene Phasen des Lebens geht und schließlich zu einem tieferen Verständnis ihres eigenen Charakters und ihrer Stellung in der Welt gelangt.
Weitere Informationen
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Stanzen“ des Autors Johann Gottfried Herder. 1744 wurde Herder in Mohrungen (Ostpreußen) geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1760 und 1803. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht den Epochen Sturm & Drang oder Klassik zuordnen. Bei dem Schriftsteller Herder handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.
Sturm und Drang ist die Bezeichnung für die Literaturepoche in den Jahren von 1765 bis 1790 und wird häufig auch Geniezeit oder zeitgenössische Genieperiode genannt. Diese Bezeichnung entstand durch die Verherrlichung des Genies als Urbild des höheren Menschen und Künstlers. Der Sturm und Drang knüpft an die Empfindsamkeit an und geht später in die Klassik über. Die Epoche des Sturm und Drang war die Phase der Rebellion junger deutscher Autoren, die sich gegen das gesellschaftliche System und die Prinzipien der Aufklärung wendeten. Bei den Autoren handelte es sich meist um junge Schriftsteller. Meist waren die Vertreter unter 30 Jahre alt. Die Autoren versuchten in den Dichtungen eine geeignete Sprache zu finden, um die persönlichen Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen. Die Werke vorheriger Epochen wurden geschätzt und dienten als Inspiration. Aber dennoch wurde eine eigene Jugendkultur und Jugendsprache mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Wiederholungen und Halbsätzen geschaffen. Schiller, Goethe und die anderen Autoren jener Zeit suchten nach etwas Universalem, was in allen Belangen und für jede Zeit gut sei und entwickelten sich stetig weiter. So ging der Sturm und Drang über in die Weimarer Klassik.
Zwei sich deutlich unterscheidende Anschauungen hatten das 18. Jahrhundert bewegt: die Aufklärung und eine gefühlsbetonte Strömung, die durch den Sturm und Drang vertreten wurde. Die Weimarer Klassik ist eine Verschmelzung dieser beiden Elemente. Die Weimarer Klassik nahm ihren Anfang mit der Italienreise Goethes im Jahr 1786 und endete mit dem Tod von Johann Wolfgang von Goethe im Jahr 1832. Wie der Name bereits verrät, liegen der Ausgangspunkt und das literarische Zentrum der Weimarer Klassik, die auch kurz Klassik genannt wird, in Weimar. Teilweise wird auch Jena als ein weiteres Zentrum dieser Literaturepoche angesehen. In Anlehnung an das antike Kunstideal wurde in der Weimarer Klassik nach Harmonie, Vollkommenheit, Humanität und der Übereinstimmung von Form und Inhalt gesucht. In der Lyrik haben die Dichter auf Gestaltungs- und Stilmittel aus der Antike zurückgegriffen. So war beispielsweise die streng an formale Kriterien gebundene Ode besonders beliebt. Des Weiteren verwendeten die Autoren eine gehobene, pathetische Sprache. Die Hauptvertreter der Klassik sind Friedrich Schiller, Johann Wolfgang von Goethe, Christoph Martin Wieland und Johann Gottfried Herder. Einen künstlerischen Austausch im Sinne einer gemeinsamen Arbeit gab es jedoch nur zwischen Schiller und Goethe.
Das 1170 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 168 Versen mit insgesamt 21 Strophen. Die Gedichte „Apollo“, „Bilder und Träume“ und „Das Flüchtigste“ sind weitere Werke des Autors Johann Gottfried Herder. Zum Autor des Gedichtes „Stanzen“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 413 Gedichte vor.
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Zum Autor Johann Gottfried Herder sind auf abi-pur.de 413 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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