Angedenken an Neapel von Johann Gottfried Herder

Ja, verschwunden sind sie, sind verschwunden,
Jene kurzen, jene schönen Stunden,
Die auch ich am Pausilipp erlebt.
Holder Traum von Grotten, Felsen, Hügeln,
Inseln und der Sonne schönen Spiegeln,
Seen, Meer - Du bist mir fortgeschwebt!
 
Fortgeschwebt die zaubernde Sirene,
Die mich ohne süßer Flöten Töne
Schwesterlich in ihre Arme nahm;
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Und mein Herz schlug voller und geschwinder,
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Und mein Blut floß reiner und gelinder,
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Da ihr Athem mir entgegen kam.
 
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Sehnend sah ich ihres Busens Wellen
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Sanfter sich und reger zu mir schwellen,
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Schwamm dann mit der Fläche sanft dahin;
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Sah den schönen Kranz von Fels und Hügeln,
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Sah die Sterne, sah den Mond sich spiegeln
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In der süßen Freudegeberin.
 
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Sah die Inseln in den Wellen schweben,
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Träumt' auf ihnen ein beglücktes Leben,
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Unbekannt und aller Welt entflohn;
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Sammelt' nur um mich den Kreis der Meinen
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Ach, Ihr Wellen, oft saht Ihr mich weinen
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Um sie, für sie, zu der Göttin Thron!
 
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Wenn die Abendröth' im stillen Meere
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Sanft verschwebte, und mit seinem Heere
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Glänzender der Mond zum Himmel stieg,
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Ach, da flossen mit so neuem Sehnen
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Unschuldvolle, jugendliche Thränen;
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Nur ein Seufzer sprach, und Alles schwieg.
 
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Nimmer, nimmer sollt Ihr mir entschwinden,
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Immer wird mein Herz Euch wiederfinden,
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Süße Träume, rein und zart und schön.
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Nie wird Euch mein Auge wiedersehen,
35 
Doch ein Hauch wird lispelnd zu Euch wehen:
36 
»Ich, auch ich war in Arkadien.«
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.6 KB)

Details zum Gedicht „Angedenken an Neapel“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
36
Anzahl Wörter
227
Entstehungsjahr
1789
Epoche
Sturm & Drang,
Klassik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Angedenken an Neapel“ wurde von Johann Gottfried Herder verfasst, einem deutschen Dichter, Übersetzer, Theologen und Philosophen, der in der Zeit der Aufklärung und des Sturm und Drang (1744-1803) tätig war.

Beim ersten Lesen des Gedichtes fallen die nostalgischen und melancholischen Töne auf, die den Gedanken an vergangene Zeiten und Erlebnisse fördern. Das Bild des Pausilipp, einer berühmten Landschaft in Neapel, der Sirene – einer Gestalt aus der griechischen Mythologie – sowie zahlreiche Naturbilder wie Inseln, Seen, Meer und Sterne, schaffen eine gefühlvolle Atmosphäre.

Inhaltlich drückt das lyrische Ich eine tiefe Sehnsucht und ein Bedauern über die flüchtige Natur der Zeit aus. Die Erinnerung an Neapel ziehen den Sprecher in seinen Bann - erinnert an die Schönheiten, die er dort erlebte, und sehnt sich danach zurück. Herder nutzt das Bild der Sirene als Symbol für die Anziehungskraft, die Neapel auf das lyrische Ich ausübt. Die Sirene repräsentiert dabei sowohl die Schönheit als auch das Verlockende und Gefährliche der Stadt.

Die Form des Gedichts ist streng rhythmisches Sechshebige Jamben, wobei jede Strophe aus sechs Versen besteht. Der Jambus, eine Metrik mit abwechselnd unbetonten und betonten Silben, verleiht dem Text einen fließenden, melodiösen Charakter, der die träumerische Atmosphäre verstärkt.

Die Sprache ist gekennzeichnet durch eine sehr bildreiche und emotionale Diktion. Wortwahl und Satzbau tragen zur emotionalen Wirkung des Gedichts bei und vermitteln die sentimental-nostalgische Stimmung des lyrischen Ichs. Es wird eine kraftvolle und emotionale Bildsprache verwendet, um die einzigartige Schönheit Neapels zum Ausdruck zu bringen und das Gefühl der Sehnsucht und des Verlusts zu betonen.

Zusammengefasst drückt Herder in „Angedenken an Neapel“ über das Medium der Landschaft und mythologischen Figuren seine tiefe Ehrfurcht und Sehnsucht für die Vergangenheit aus. Dies wird durch die Form und Sprache des Gedichts hervorgehoben und transportiert.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Angedenken an Neapel“ des Autors Johann Gottfried Herder. Herder wurde im Jahr 1744 in Mohrungen (Ostpreußen) geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1789 zurück. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text den Epochen Sturm & Drang oder Klassik zugeordnet werden. Der Schriftsteller Herder ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.

Der Sturm und Drang ist eine Strömung in der deutschen Literaturgeschichte, die häufig auch als Genieperiode oder Geniezeit bezeichnet wird. Die Literaturepoche ordnet sich nach der Epoche der Empfindsamkeit und vor der Klassik ein. Sie lässt sich auf die Zeit zwischen 1765 und 1790 eingrenzen. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts dominierte der Geist der Aufklärung das philosophische und literarische Denken in Deutschland. Der Sturm und Drang kann als eine Jugend- und Protestbewegung gegen diese aufklärerischen Ideale verstanden werden. Das Rebellieren gegen die Epoche der Aufklärung brachte die wesentlichen Merkmale dieser Epoche hervor. Die Vertreter der Epoche des Sturm und Drang waren häufig junge Schriftsteller im Alter zwischen zwanzig und dreißig Jahren, die sich gegen die vorherrschende Strömung der Aufklärung wandten. Um die persönlichen Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen, wurde im Besonderen darauf geachtet eine geeignete Sprache zu finden und in den Gedichten einzusetzen. Die alten Werke vorheriger Epochen wurden geschätzt und dienten als Inspiration. Aber dennoch wurde eine eigene Jugendsprache und Jugendkultur mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Halbsätzen und Wiederholungen geschaffen. Die Epoche des Sturm und Drang endete mit der Hinwendung Schillers und Goethes zur Weimarer Klassik.

Die Literaturepoche der Klassik beginnt nach heutiger Auffassung mit der Italienreise Goethes, die er im Jahr 1786 im Alter von 36 Jahren machte. Das Ende der Epoche wird auf 1832 datiert. In der Klassik wurde die Literatur durch Auswirkungen der Französischen Revolution, die ziemlich zu Beginn der Epoche stattfand, entscheidend geprägt. In der Französischen Revolution setzten sich die Menschen dafür ein, dass für alle die gleichen Rechte gelten sollten. Sowohl Klassik als auch Weimarer Klassik sind oftmals verwendete Bezeichnungen für die Literaturepoche. In Anlehnung an das antike Kunstideal wurde in der Klassik nach Harmonie, Vollkommenheit, Humanität und der Übereinstimmung von Form und Inhalt gesucht. Charakteristisch ist ein hohes Sprachniveau und eine reglementierte Sprache. Diese reglementierte Sprache verdeutlicht im Vergleich zum natürlichen Sprachideal der Literaturepoche des Sturm und Drang mit all seinen Derbheiten den Ausgleich zwischen Gefühl und Vernunft. Die Dichter haben in der Klassik auf Gestaltungs- und Stilmittel aus der Antike zurückgegriffen. Die Hauptvertreter der Klassik sind Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schiller, Christoph Martin Wieland und Johann Gottfried Herder. Einen künstlerischen Austausch im Sinne einer gemeinsamen Arbeit gab es jedoch nur zwischen Schiller und Goethe.

Das 227 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 36 Versen mit insgesamt 6 Strophen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Johann Gottfried Herder sind „Das Kind der Sorge“, „Das Orakel“ und „Das Ross aus dem Berge“. Zum Autor des Gedichtes „Angedenken an Neapel“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 413 Gedichte vor.

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