Die sinnende Zeit von Johann Gottfried Herder

Du blickest ernst auf Deine Sense nieder,
Die Alles mäht, Du alter Gott der Zeit!
Suchst Du die Blumen in dem Staube wieder,
Die mordend Du dem Moder hast geweiht?
Wie oder ruhen Deine müden Glieder
Vom traurigen Geschäft, das Allem dräut,
Und blickst mit Schmerz auf Millionen Leichen,
Die jetzt vielleicht im Grabe Dich erweichen?
 
Ach nicht! der Blick, mit dem die Götter sinnen,
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Ist Ruhe, wenn sie mähn und mähn nicht mehr.
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Ihr Enden ist ein ewiges Beginnen;
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Sanft ist ihr Blick, nur ihre Hand ist schwer.
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Was jetzo sprießt, es eilet schnell von hinnen;
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Was wieder kommt, entflieht wie das Vorher.
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Drum laß mich, eine Blume, Dir zu Füßen,
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O Gott der Zeit, mich nur mein Jetzt genießen!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.3 KB)

Details zum Gedicht „Die sinnende Zeit“

Anzahl Strophen
2
Anzahl Verse
16
Anzahl Wörter
121
Entstehungsjahr
1744 - 1803
Epoche
Sturm & Drang,
Klassik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Die sinnende Zeit“ wurde von Johann Gottfried Herder, einem einflussreichen deutschen Dichter, Theologen und Philosophen des 18. Jahrhunderts, verfasst. Herder gehört zur Epoche der Aufklärung und des Sturm und Drang.

Betrachtet man das Gedicht das erste Mal, fällt eine ernste und schwere Stimmung auf, die von einer tiefsinnigen Betrachtung der Zeit und ihres unaufhaltsamen Vergehens geprägt ist. Diese Reflexion auf die Zeit ist typisch für die Epoche, in der Herder lebte und schrieb, eine Zeit der großen philosophischen und intellektuellen Umwälzungen.

Inhaltlich beschreibt das Gedicht in der ersten Strophe ein Bild der Zeit als einer mächtigen, unaufhaltsamen und gnadenlosen Macht, die alles Leben hinweg mäht und zum Vergehen bringt. Es werden Bilder der Vergänglichkeit wie „Blumen im Staub“, „Millionen Leichen“ und das „traurige Geschäft“ der Zeit verwendet. Das lyrische Ich könnten dabei sowohl auf die gnadenlose Gewalt der Zeit hinweisen wollen, als auch auf die mögliche Reue der Zeit, die vielleicht durch ihre zerstörerische Natur erweicht wird.

In der zweiten Strophe wird dieses Bild der Zeit jedoch nuanciert und relativiert. Die Götter - und damit auch der „Gott der Zeit“ - sind nicht nur destruktive Kräfte, sondern sie bringen auch Ruhe und Wiedergeburt, ihr „Enden ist ein ewiges Beginnen“. Es wird die Vergänglichkeit des Lebens akzeptiert und sogar die Möglichkeit der Genuss des aktuellen Moments („mein Jetzt“) angesprochen.

Das Gedicht ist in zwei Strophen mit jeweils acht Versen unterteilt, ein relativ klassischer Aufbau. Auch die metaphorische Sprache, die den „Gott der Zeit“ personifiziert und ihm menschliche Züge und Gefühle zuschreibt, ist typisch für die Dichtung der Epoche. Es sind starke emotionale Ausdrücke und Sprachbilder im Einsatz, die dem Leser eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema Vergänglichkeit ermöglichen und ihn zum Nachdenken und Reflektieren anregen. Gleichzeitig zeigt das Gedicht aber auch Anzeichen von Optimismus und Akzeptanz des unausweichlichen Laufs der Zeit.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Die sinnende Zeit“ ist Johann Gottfried Herder. Im Jahr 1744 wurde Herder in Mohrungen (Ostpreußen) geboren. Im Zeitraum zwischen 1760 und 1803 ist das Gedicht entstanden. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text den Epochen Sturm & Drang oder Klassik zugeordnet werden. Herder ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.

Sturm und Drang ist die Bezeichnung für die Literaturepoche in den Jahren von 1765 bis 1790 und wird häufig auch zeitgenössische Genieperiode oder Geniezeit genannt. Diese Bezeichnung entstand durch die Verherrlichung des Genies als Urbild des höheren Menschen und Künstlers. Der Sturm und Drang knüpft an die Empfindsamkeit an und geht später in die Klassik über. Der Sturm und Drang war die Phase der Rebellion junger deutscher Autoren, die sich gegen das gesellschaftliche System und die Prinzipien der Aufklärung wendeten. Die Autoren des Sturm und Drang waren zumeist Schriftsteller jüngeren Alters, häufig unter 30 Jahre alt. Die Autoren versuchten in den Dichtungen eine geeignete Sprache zu finden, um die subjektiven Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen. Die Nachahmung und Idealisierung von Autoren aus vergangenen Epochen wie dem Barock wurde abgelehnt. Die alten Werke wurden dennoch geschätzt und dienten als Inspiration. Es wurde eine eigene Jugendkultur und Jugendsprache mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Wiederholungen und Halbsätzen geschaffen. Mit der Hinwendung Goethes und Schillers zur Weimarer Klassik endete der Sturm und Drang.

Richtungsweisend für die Literatur der Weimarer Klassik war die Französische Revolution. Menschen setzten sich dafür ein, dass für alle die gleichen Rechte gelten sollten. Der Beginn der Weimarer Klassik ist im Jahr 1786 auszumachen. Die Literaturepoche endete im Jahr 1832 mit dem Tod Johann Wolfgang von Goethes. Das Zentrum dieser Literaturepoche lag in Weimar. Es sind sowohl die Bezeichnungen Klassik als auch Weimarer Klassik gebräuchlich. Der Begriff Humanität ist prägend für die Zeit der Weimarer Klassik. Die wichtigsten inhaltlichen Merkmale der Klassik sind: Selbstbestimmung, Harmonie, Toleranz, Menschlichkeit und die Schönheit. Charakteristisch ist ein hohes Sprachniveau und eine reglementierte Sprache. Diese reglementierte Sprache verdeutlicht im Vergleich zum natürlichen Sprachideal der Literaturepoche des Sturm und Drang mit all seinen Derbheiten den Ausgleich zwischen Gefühl und Vernunft. Die Dichter haben in der Weimarer Klassik auf Gestaltungs- und Stilmittel aus der Antike zurückgegriffen. Die bedeutenden Schriftsteller der Klassik sind Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller. Andere Schriftsteller der Klassik sind Johann Gottfried Herder und Christoph Martin Wieland. Die beiden letztgenannten arbeiteten jeweils für sich. Einen konstruktiven Austausch im Sinne eines gemeinsamen Arbeitsverhältnisses gab es nur zwischen Friedrich Schiller und Johann Wolfgang von Goethe.

Das Gedicht besteht aus 16 Versen mit insgesamt 2 Strophen und umfasst dabei 121 Worte. Der Dichter Johann Gottfried Herder ist auch der Autor für Gedichte wie „Das Flüchtigste“, „Das Gesetz der Welten im Menschen“ und „Das Glück“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Die sinnende Zeit“ weitere 413 Gedichte vor.

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