Die Trösterinnen von Johann Gottfried Herder

Die zarte Laute nicht mit ihrem sanften Beben,
Du, philosophisch Rohr, Du sollst mir Labung geben;
Aus Dir, o Trösterin, entschwindet mir das Leben,
Von Lippen kaum berührt, ein leichtes Wölkchen hin.
Und mit dem Wölkchen sind des Lebens harte Stunden,
Wie Traumgebilde, kaum berühret und verschwunden,
Verschwunden ungemerkt dem froh-entwölkten Sinn.
 
Wer reichet mir das Rohr? Es soll mir Wahn und Glauben
Und jeder Zukunft Traum, umwölbt mit vollen Trauben,
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Mir Hoffnung, Ahnung, Wunsch, Gefühl und Sehnsucht rauben;
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Des Menschen Würd' und Werth ist Türken-Apathie!
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Wie aber? wäre mir mit allen Lebensstunden
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Das Leben selbst, Gefühl und Mitgefühl verschwunden,
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So tröstete mich Rauch und Rauchphilosophie.
 
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Komm, zarte Laute, Du mit Deinem zarten Beben,
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Und schone meiner nicht! Du sollst mir Thränen geben,
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Und jeder Ton in Dir zum Himmel mich erheben,
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Erheben mich in Klang und Maaß und Sympathie.
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Ein neues Weltenall erschaffst Du uns in Tönen,
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Die uns mit Gott und Glück und mit uns selbst versöhnen.
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Des Herzens Trösterin ist Herzenspoesie.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (25.7 KB)

Details zum Gedicht „Die Trösterinnen“

Anzahl Strophen
3
Anzahl Verse
21
Anzahl Wörter
164
Entstehungsjahr
1744 - 1803
Epoche
Sturm & Drang,
Klassik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Die Trösterinnen“ wurde von Johann Gottfried Herder verfasst, einem deutschen Dichter und Theologen, der von 1744 bis 1803 lebte. Er war einer der bedeutendsten Vertreter der Weimarer Klassik und der Aufklärung. Dieses Gedicht ist also dem späten 18. Jahrhundert zuzuordnen.

Beim ersten Lesen fallen verschiedene Aspekte auf. Das lyrische Ich spricht mit einer melancholischen Stimme und ist in einer Suche nach Beruhigung und Trost durch verschiedene Mittel verwurzelt - nämlich Musik und Rauch (möglicherweise als Metapher für Tabak oder Opium).

Im ersten Abschnitt zeigt das lyrische Ich seine Enttäuschung über die Musik, insbesondere die Laute. Sie gibt ihm keine Befriedigung, keine „Labung“. Stattdessen wendet er sich dem „philosophischen Rohr“ zu, das ihm das Gefühl gibt, dass sein Leben mit jedem Zug verschwindet, was eine Ablenkung oder Flucht vor seinen Problemen darstellen könnte.

Im zweiten Abschnitt erkennt das lyrische Ich, dass auch der Konsum des „Rohrs“ seine Sorgen und Ängste, seine Hoffnungen und Sehnsüchte, nicht lindern kann. Es kritisiert diese Form von Ablenkung und bezeichnet sie als „Türken-Apathie“.

Im dritten und letzten Abschnitt kehrt das lyrische Ich zur Musik zurück, diesmal mit einer anderen Haltung. Es bittet die „zarte Laute“, ihm Tränen zu geben, ihn aber auch zu erheben. Es scheint, dass das lyrische Ich erkannt hat, dass die wahre Trostspenderin die Musik ist, die es „Herzenspoesie“ nennt.

Das Gedicht hat eine regelmäßige Form und besteht aus drei Strophen mit jeweils sieben Versen. Der Versmaß ist gleichbleibend und die Worte sind sorgfältig gewählt, um Gefühle und Stimmungen zu erwecken. Herder benutzt viele bildhafte Ausdrücke und Metaphern, um die Gefühlswelt des lyrischen Ichs zu umschreiben.

Insgesamt handelt das Gedicht von der Suche nach Trost in Situationen der Verzweiflung. Es zeigt die Begrenztheit und Unzulänglichkeit von Ablenkungen und Betäubungsmitteln als Mittel zur Bewältigung von Problemen, und betont stattdessen die Bedeutung der Musik als Form des emotionalen Ausdrucks und der Vermittlung von Trost.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Die Trösterinnen“ des Autors Johann Gottfried Herder. 1744 wurde Herder in Mohrungen (Ostpreußen) geboren. Im Zeitraum zwischen 1760 und 1803 ist das Gedicht entstanden. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zu den Epochen Sturm & Drang oder Klassik zu. Herder ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.

Sturm und Drang ist die Bezeichnung für die Literaturepoche in den Jahren von 1765 bis 1790 und wird häufig auch Geniezeit oder zeitgenössische Genieperiode genannt. Diese Bezeichnung entstand durch die Verherrlichung des Genies als Urbild des höheren Menschen und Künstlers. Der Sturm und Drang knüpft an die Empfindsamkeit an und geht später in die Klassik über. Die wesentlichen Merkmale des Sturm und Drang lassen sich als ein Auflehnen oder Rebellieren gegen die Epoche der Aufklärung zusammenfassen. Das philosophische und literarische Leben in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und die Literatur sollten dadurch maßgeblich beeinflusst werden. Die Schriftsteller der Epoche des Sturm und Drangs waren häufig unter 30 Jahre alt. Die Autoren versuchten in den Gedichten eine geeignete Sprache zu finden, um die persönlichen Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen. Die Nachahmung und Idealisierung von Autoren aus vergangenen Epochen wie dem Barock wurde abgelehnt. Die traditionellen Werke wurden dennoch geschätzt und dienten als Inspiration. Es wurde eine eigene Jugendkultur und Jugendsprache mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Wiederholungen und Halbsätzen geschaffen. Schiller, Goethe und die anderen Autoren jener Zeit suchten nach etwas Universalem, was in allen Belangen und für jede Zeit gut sei und entwickelten sich stetig weiter. So ging der Sturm und Drang über in die Weimarer Klassik.

Die Literaturepoche der Klassik beginnt nach heutiger Auffassung mit der Italienreise Goethes, die er im Jahr 1786 im Alter von 36 Jahren machte. Das Ende der Epoche wird auf 1832 datiert. In der Klassik wurde die Literatur durch Auswirkungen der Französischen Revolution, die ziemlich zu Beginn der Epoche stattfand, entscheidend geprägt. In der Französischen Revolution setzten sich die Menschen dafür ein, dass für alle die gleichen Rechte gelten sollten. Literarisches Zentrum und Ausgangspunkt der Weimarer Klassik (kurz auch häufig einfach nur Klassik genannt) war Weimar. Statt auf Konfrontation und Widerspruch wie noch in der Aufklärung oder im Sturm und Drang strebte die Klassik nach Harmonie. Die wichtigsten Werte sind Toleranz und Menschlichkeit. Die Klassik orientierte sich an klassischen Vorbildern aus der Antike. Ziel der Klassik war es die ästhetische Erziehung des Menschen zu einer „charakterschönen“ Persönlichkeit zu forcieren. Kennzeichnend ist ein hohes Sprachniveau und eine reglementierte Sprache. Diese reglementierte Sprache verdeutlicht im Vergleich zum natürlichen Sprachideal des Sturm und Drang mit all seinen Derbheiten den Ausgleich zwischen Gefühl und Vernunft. Die Dichter haben in der Weimarer Klassik auf Stil- und Gestaltungsmittel aus der Antike zurückgegriffen. Goethe, Schiller, Wieland und Herder bildeten das „Viergestirn“ der Klassik. Es gab natürlich auch noch andere Autoren, die typische Werke veröffentlichten, doch niemand übertraf die Fülle und die Popularität dieser vier Autoren.

Das Gedicht besteht aus 21 Versen mit insgesamt 3 Strophen und umfasst dabei 164 Worte. Weitere Werke des Dichters Johann Gottfried Herder sind „An die Freundschaft“, „Apollo“ und „Bilder und Träume“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Die Trösterinnen“ weitere 413 Gedichte vor.

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