Zur Feier der Beziehung des neuen Gerichtshauses zu Riga von Johann Gottfried Herder

O Vaterland! dem Ohr des Patrioten
Ein Silberton, ein Ton des Ruhms dem Geist,
Der, hundert andrer werth, sich von lebend'gen Todten
Hinauf ins Heil'ge der Verdienste reißt;
Wo Die wie Erdengötter glänzen,
Die Dir, o Vaterland, sich weihn
Und sich mit Lorbeerkränzen
Aus Deinen Händen freun!
 
Für Dich, o Theure, geht der Held zum Streite
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Wie zum Triumph und lockt sein goldnes Haar;
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Der Jüngling glüht ins Feld und giebt aus seiner Seite
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Sein bestes Herzensblut Dir jauchzend dar;
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Und sterbend labst Du seine Ohren;
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Schon brechend, lallt der Zunge Band:
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»Dir, das Du mich geboren,
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Dir sterb' ich, Vaterland!«
 
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Ja, Vaterland! Du Mutter, der der Weise
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Die Erstgeburt des Geists zum Opfer bringt;
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O Du, sein Sonnenflug, wenn er zum hohen Preise
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Der Tugend Dich mit edlen Thaten singt;
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Dich, die mit goldnen Liebesseilen
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Der Söhne Herzen an sich zieht
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Und, wie mit Sonnenpfeilen,
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Mit Ruhme sie durchglüht!
 
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Dir, Göttin, Dir, der Freiheit süßer Namen,
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Für den der Held den Tod als Freund umfaßt,
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Dir sä't der Menschenfreund, der Bürger stillen Samen,
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Und kann er nichts - so trägt er Deine Last.
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Dir weihn die Götter auf dem Throne,
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Der Handel und die Künste weihn
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Zu Deiner Siegeskrone
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Den besten Edelstein.
 
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Dein sind die Schulen! Deine zarten Söhne
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Erziehn sie Dir; damit Dein Hoffnungsreis
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Mit Blüthe Dich, mit Frucht, mit Schatten kröne,
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So trinkt sein junger Keim erst theuren Schweiß.
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Dir blühn die Tempel; denn sie weihen
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Den Bürger Dir zum Christen ein;
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Der Weihrauch, den sie streuen,
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O Vaterland, ist Dein!
 
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Dein ist dies Haus in Katharinens Schatten,
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Das sie Dir selbst voll Majestät geweiht!
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So lang' sich Rußlands Adlerhäupter gatten,
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So lange blüht hier Recht und Billigkeit;
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Die Unschuld flieht zu diesen Schranken,
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Zurücke wird sie lächelnd gehn;
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Und Thränen werden danken,
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So lang' hier Pfeiler stehn.
 
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Ich seh', Asträa steigt vom Himmel nieder,
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Mit Palmen, Oel und Lorbeer neu bekränzt,
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Vor ihr der Wahrheit Schild, nach ihr der Engel Lieder.
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Wie flammt ihr Schild! Seht, wie ihr Antlitz glänzt!
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Es sinken ihrer Wage Schalen;
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Sie streiten; keine überwiegt:
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Hier wirft die Weisheit Strahlen,
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Wie dort die Treue siegt.
 
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Ich seh', ich seh'! Sie schreibt mit ew'gen Zügen
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Hier das Gesetz und dort des Handels Glück
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An beide Pfeiler, schreibt hier Ruhe, dort Vergnügen,
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Hier Rußlands Huld und dort der Sonne Blick.
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O kommt, die unsre Freude loben,
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Und schreibt mit patriot'scher Hand,
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Als Krone, mitten oben:
64 
»Gott und dem Vaterland!«
Arbeitsblatt zum Gedicht
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Details zum Gedicht „Zur Feier der Beziehung des neuen Gerichtshauses zu Riga“

Anzahl Strophen
8
Anzahl Verse
64
Anzahl Wörter
405
Entstehungsjahr
1765
Epoche
Sturm & Drang,
Klassik

Gedicht-Analyse

Der Autor des Gedichts „Zur Feier der Beziehung des neuen Gerichtshauses zu Riga“ ist Johann Gottfried Herder, ein bedeutender deutscher Dichter, Theologe und Philosoph der Zeit der Aufklärung und der Weimarer Klassik. Herder lebte von 1744 bis 1803.

Durch die feierliche Tonsprache und den Gebrauch von Wendungen wie „Vaterland“ und „der Held zum Streite“, erweckt das Gedicht zunächst einen patriotischen, heroischen Eindruck.

Inhaltlich geht es im Gedicht um die Verehrung und Wertschätzung des Vaterlandes. Dabei steht das „Vaterland“ symbolisch für alle Gemeinwesen, für Freiheit und für Rechtsstaatlichkeit. Herder bezeichnet das Vaterland als Mutter, der der Weise die Erstgeburt des Geistes zum Opfer bringt. Es lässt sich auch herauslesen, dass der Dichter die Bedeutung der Ausbildung junger Bürger und die Rolle von Schulen und Kirchen im Dienst der Gesellschaft betont.

Die Struktur des Gedichts ist streng vorgegeben: Jede der acht Strophen besteht aus acht Versen. Der Rhythmus ist flüssig und die Sprache ist bildreich und metaphorisch. Dies gewährt dem Leser eine gewisse Dichte und Tiefe der Botschaft. Zum Beispiel verwendet Herder das Bild vom Menschen, der „für die Freiheit“ den Tod umarmt und „den stillen Samen sät“. Damit zeigt er, wie tief die Liebe zum Vaterland und das Streben nach Freiheit bei den Menschen, besonders den Helden, verankert ist.

Im Ganzen lässt sich feststellen, dass Herder in seinem Gedicht patriotische Gefühle zum Ausdruck bringt. Zugleich unterstreicht er die Verpflichtung jedes Bürgers zur Bildung und Selbstverbesserung im Dienst seines Landes. Symbolisch steht das „neue Gerichtshaus“ für Rechtsstaatlichkeit und Gerechtigkeit, wesentliche Grundsätze eines funktionierenden Gemeinwesens.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Zur Feier der Beziehung des neuen Gerichtshauses zu Riga“ des Autors Johann Gottfried Herder. Der Autor Johann Gottfried Herder wurde 1744 in Mohrungen (Ostpreußen) geboren. Das Gedicht ist im Jahr 1765 entstanden. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zu den Epochen Sturm & Drang oder Klassik zu. Bei Herder handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.

Als Sturm und Drang (auch Genieperiode oder Geniezeit) bezeichnet man eine Epoche der Literatur, die auf die Jahre 1765 bis 1790 datiert werden kann. Sie knüpfte an die Empfindsamkeit an und ging später in die Klassik über. Die Epoche des Sturm und Drang war eine Protestbewegung, die aus der Aufklärung hervorging. Der Protest richtete sich gegen den Adel und dessen höfische Welt, sowie andere absolutistische Obrigkeiten. Er richtete sich darüber hinaus auch gegen das Bürgertum, das als freudlos und eng galt, und dessen Moralvorstellungen veraltet waren. Als Letztes richtete sich der Protest der Epoche des Sturm und Drang gegen Traditionen in der Literatur. Die Vertreter der Epoche des Sturm und Drang waren häufig junge Schriftsteller im Alter zwischen zwanzig und dreißig Jahren, die sich gegen die vorherrschende Strömung der Aufklärung wandten. Um die persönlichen Empfindungen des lyrischen Ichs zum Vorschein zu bringen, wurde besonders darauf geachtet eine geeignete Sprache zu finden und in den Gedichten einzusetzen. Es wurde eine eigene Jugendsprache und Jugendkultur mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Halbsätzen und Wiederholungen geschaffen. Die alten Werke vorangegangener Epochen wurden dennoch geschätzt und dienten als Inspiration. Mit der Hinwendung Goethes und Schillers zur Weimarer Klassik endete der Sturm und Drang.

Zwei gegensätzliche Anschauungen hatten das 18. Jahrhundert bewegt: die Aufklärung und eine gefühlsbetonte Strömung, die durch den Sturm und Drang vertreten wurde. Die Weimarer Klassik ist eine Verschmelzung dieser beiden Elemente. Die Weimarer Klassik nahm ihren Anfang mit Goethes Italienreise im Jahr 1786 und endete mit Goethes Tod im Jahr 1832. Sowohl die Bezeichnung Klassik als auch die Bezeichnung Weimarer Klassik sind gebräuchlich. Das literarische Zentrum dieser Epoche lag in Weimar. Prägend für die Zeit der Weimarer Klassik ist der Begriff Humanität. Toleranz, Menschlichkeit, Selbstbestimmung, Schönheit und Harmonie sind wichtige inhaltliche Merkmale der Weimarer Klassik. Die Weimarer Klassik orientierte sich an klassischen Vorbildern aus der Antike. In der Weimarer Klassik wird eine sehr geordnete, einheitliche Sprache verwendet. Allgemeingültige, kurze Aussagen sind häufig in Werken der Weimarer Klassik zu finden. Da man die Menschen früher mit der Kunst und somit auch mit der Literatur erziehen wollte, legte man großen Wert auf Stabilität und formale Ordnung. Metrische Ausnahmen befinden sich oftmals an Stellen, die hervorgehoben werden sollen. Die Hauptvertreter der Weimarer Klassik sind Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schiller, Johann Gottfried Herder und Christoph Martin Wieland. Einen künstlerischen Austausch im Sinne einer gemeinsamen Arbeit gab es jedoch nur zwischen Friedrich Schiller und Johann Wolfgang von Goethe.

Das vorliegende Gedicht umfasst 405 Wörter. Es baut sich aus 8 Strophen auf und besteht aus 64 Versen. Johann Gottfried Herder ist auch der Autor für Gedichte wie „Bilder und Träume“, „Das Flüchtigste“ und „Das Gesetz der Welten im Menschen“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Zur Feier der Beziehung des neuen Gerichtshauses zu Riga“ weitere 413 Gedichte vor.

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