Mein Schicksal von Johann Gottfried Herder
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Meines Lebens verworrene |
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Schattenfabel! o frühe, frühe begann sie schon |
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Dunkel. Bebte den kommenden |
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Lebensflüchtling ein Schau'r hier auf die Wüste der |
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Erde, daß er in Wüste sich |
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Unterm Klange der Nacht inne ward, daß ihm Schau'r |
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Mächtig ewig ins Innre klang; |
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Daß ihm Leben und Tod, Schlummer und Auferstehn, |
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Freud' und Wonne des Lebens ihm, |
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Hoher Göttergedank' und der zerfließenden |
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Seele Fülle wie Wandeltraum |
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Hindurchschwebet; daß ihm seine Erlesenen |
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Stets im Wetter vorübergehn, |
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Stets, aus dunkelm Gewölk Blitze, die weckenden |
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Väterstimmen ihm Mitternachts |
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Kommen, reden und hinwandeln in Mitternachts |
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Dunkel, und er wandelt allein! |
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Schicksalsschwestern, warum? die Ihr sein Tageloos |
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Warfet, warfet Ihr's unhold stets |
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Irrhinüber, wohin nimmer das Götterbild |
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Seines leitenden Dämons wies? |
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Irrhinüber, wohin aller erstrebenden |
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Ahnung Kräfte nicht ahneten? |
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Ach, da weben sie nun meiner erzogenen |
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Hoffnung Blüthe! da weben sie |
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Einsam, Waisen, wie Wurf nächtlich erstarreter |
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Frühlingsblätter! da flatterst Du, |
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Schattenfabel, zerstückt, scenezerrissen! Wurf |
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Dort und hinnen verlorner Zeit! |
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Schicksalsschwestern! o wie? Sammeln sich, sammeln sich |
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Dem ermatteten Lebensblick |
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Einst die Scenen? ersieht er in den wehenden |
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Blättern je der Vorsehung Buch? |
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Je einst Ernte der Saat? jener verflogenen |
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Erdbegrabnen, gemoderten |
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Keime Frühling? und rauscht Aehrengefild hinab, |
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Rauscht durch früchtebelastete |
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Zweige? siehet erstaunt sich die verworrene |
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Schattenfabel zum Prachttriumph |
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Sammeln? siehet erstaunt Krümmen und Mißgestalt |
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Sich zur Schöne des Ganzen ziehn? |
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Schicksalsschwestern, o sprecht! Wie oder liegen mir |
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In der nächtlichen Zukunft Schooß |
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Dort noch immer das Heer wartender Schauer? harrt |
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Meinem Gange noch bis ans Ziel |
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Ungewitter? - Ich hör', höre sie fernher schon |
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Flügel schwingen: »Wir werden sein, |
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Wie wir waren! o Sohn schaudernder Mitternacht, |
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Wie wir waren!« Ihr brauset mir |
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Meinen Wandrergesang, Stürme! Du, feuriger |
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Zeuchst Du, Wettergebärerin, |
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Haupthinüber mir schon! rauschet des Ungestüms |
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Fittig, sterneberaubt, mich schon |
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Neue Wüsten hinan! drohendes Waldgebirg |
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Unbetretner, verwebeter |
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Dorngefilde durchan! Ach, des Ermüdenden |
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Lebenswege! »Wir werden sein, |
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Wie wir waren!« - Wolan, Wandrer, sie waren nie |
59 |
Feige Krümmen des Schlangengangs! |
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Wandrer, höre Triumph! siehe, sie werden sein, |
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Wie sie waren! Des Frommen Gang, |
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Der den kriechenden Gleis unter dem Fuß vertrat, |
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Nicht für Götter und Tempel log, |
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Nicht für Purpur und Gold heuchelt', und ungestüm |
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Nur der Wahrheit, und ungestüm, |
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Biedermenschheit, nur Dir, würdige Tugend, Dir |
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Sich im Leben ermattet hat. |
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Matter Wandrer, wolan! wie die verworrene |
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Schattenfabel auch enden mag! |
Details zum Gedicht „Mein Schicksal“
Johann Gottfried Herder
1
69
376
1770
Sturm & Drang,
Klassik
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Mein Schicksal“ wurde von Johann Gottfried Herder verfasst, einem bedeutenden Vertreter der Weimarer Klassik, der von 1744 bis 1803 lebte.
Auf den ersten Eindruck wirkt das Gedicht tiefsinnig und melancholisch, voller Reflexionen über das Leben, Schicksal und Tod. Das lyrische Ich scheint sich in einer Phase der Unruhe und Unsicherheit zu befinden und sucht Antworten auf existenzielle Fragen.
Das Gedicht handelt von den Ängsten und Zweifeln des lyrischen Ichs bezüglich seines Lebens und Schicksals. Es beginnt mit einer düsteren Darstellung seiner Kindheit und Jugend (Verse 1-2). Im weiteren Verlauf des Gedichts, stellt das lyrische Ich die Frage, warum sein Leben so verlaufen ist und ob es einen göttlichen Plan dafür gibt (Verse 18-24). Es reflektiert über sein eigenes Leben als eine wandelnde Schattenfabel, voller Verlust und Unsicherheit (Verse 28-29). Das lyrische Ich fragt sich, ob es jemals ein Verständnis für seine Existenz und seinen Lebensweg erlangen wird (Verse 30-38).
Der Ton des Gedichts ändert und es wird eine eher heroische Haltung eingenommen (Verse 58-69). Das lyrische Ich erklärt, dass es entschlossen ist, seinen Weg trotz der Unwägbarkeiten und Geheimnisse des Lebens weiterzugehen.
Die Form des Gedichts ist in freien Versen gehalten, es hat keine Reime oder ein klares Metrum, was dazu beiträgt, den introspektiven und rätselhaften Charakter des Themas zu unterstreichen. Die Sprache ist reich an bildlichen Darstellungen und Metaphern, die den Inhalt lebendig und emotional wirken lassen. Begriffe wie „Schattenfabel“,„Lebensflüchtling“, „Schicksalsschwestern“ oder „Wurf nächtlich erstarreter Frühlingsblätter“ verleihen dem Gedicht eine tiefsinnige, fast mystische Qualität.
Insgesamt kann das Gedicht als ein ausdrucksstarkes und anspruchsvolles Werk gesehen werden, das das universelle Thema des menschlichen Schicksals aufgreift und den Leser dazu einlädt, über sein eigenes Leben und seinen Platz im Universum nachzudenken. Es ist ein Beispiel für die Art von lyrischer Poesie, die zur Zeit der Weimarer Klassik populär war, eine Epoche, die für ihre Tiefe und Ernsthaftigkeit bekannt ist.
Weitere Informationen
Das Gedicht „Mein Schicksal“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Johann Gottfried Herder. 1744 wurde Herder in Mohrungen (Ostpreußen) geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1770 zurück. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht den Epochen Sturm & Drang oder Klassik zuordnen. Bei dem Schriftsteller Herder handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.
Die Epoche des Sturm und Drang reicht zeitlich etwa von 1765 bis 1790. Sie ist eine Strömung innerhalb der Aufklärung (1720–1790) und überschneidet sich teilweise mit der Epoche der Empfindsamkeit (1740–1790) und ihren Merkmalen. Häufig wird die Epoche des Sturm und Drang auch als Genieperiode oder Geniezeit bezeichnet. Die Klassik knüpft an die Literaturepoche des Sturm und Drang an. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts dominierte der Geist der Aufklärung das literarische und philosophische Denken im deutschen Sprachraum. Der Sturm und Drang „stürmte“ und „drängte“ als Protest- und Jugendbewegung gegen die aufklärerischen Ideale. Ein wesentliches Merkmal des Sturm und Drang ist somit ein Auflehnen gegen die Epoche der Aufklärung. Die Autoren des Sturm und Drang waren zumeist Schriftsteller jüngeren Alters, häufig unter 30 Jahre alt. In den Gedichten wurde darauf geachtet eine geeignete Sprache zu finden, um die persönlichen Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen. Die Nachahmung und Idealisierung von Schriftstellern aus vergangenen Epochen wie dem Barock wurde abgelehnt. Die alten Werke wurden dennoch geschätzt und dienten als Inspiration. Es wurde eine eigene Jugendkultur und Jugendsprache mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Wiederholungen und Halbsätzen geschaffen. Mit dem Hinwenden Goethes und Schillers zur Weimarer Klassik endete der Sturm und Drang.
Die Weimarer Klassik ist eine Epoche der deutschen Literaturgeschichte, die von zwei zentralen Dichtern geprägt wurde: Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller. Die Literaturepoche beginnt im Jahr 1786 mit Goethes Italienreise und endet im Jahr 1832 mit dem Tod Goethes. Es gibt aber auch Definitionen, die das gemeinsame Schaffen der beiden befreundeten Dichter Goethe und Schiller von 1794 bis zu Schillers Tod 1805 als Weimarer Klassik zeitlich festlegen. Die Weimarer Klassik wird häufig nur als Klassik bezeichnet. Beide Bezeichnungen werden in der Literatur genutzt. Toleranz, Menschlichkeit und Übereinstimmung von Natur und Mensch, von Individuum und Gesellschaft sind die Ideale der Klassik. Im Zentrum des klassischen Kunstkonzepts steht das Streben nach harmonischem Ausgleich der Gegensätze. Kennzeichnend ist ein hohes Sprachniveau und eine reglementierte Sprache. Diese reglementierte Sprache verdeutlicht im Vergleich zum natürlichen Sprachideal des Sturm und Drang mit all seinen Derbheiten den Ausgleich zwischen Gefühl und Vernunft. Die Dichter haben in der Weimarer Klassik auf Stil- und Gestaltungsmittel aus der Antike zurückgegriffen. Goethe, Schiller, Wieland und Herder bildeten das „Viergestirn“ der Weimarer Klassik. Es gab natürlich auch noch andere Autoren, die typische Werke veröffentlichten, doch niemand übertraf die Fülle und die Popularität dieser vier Autoren.
Das 376 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 69 Versen mit nur einer Strophe. Johann Gottfried Herder ist auch der Autor für Gedichte wie „Das Glück“, „Das Kind der Sorge“ und „Das Orakel“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Mein Schicksal“ weitere 413 Gedichte vor.
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