Der erste Akt von Rudolf Lavant

Das war vor der Entscheidungsschlacht
In eurem Lager wüstes Lärmen!
Die Becher klangen durch die Nacht,
Musik, Geschrei und trunknes Schwärmen.
Wir sahen euch im Tanze drehn
Durch euer Lagerfeuer Qualmen
Und ließen uns herüberwehn
Vom Wind die Melodie von Psalmen.
 
Da ward gebetet und geflucht,
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Denn abseits von der tollen Rotte
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Hat zitternd Trost und Schutz gesucht
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Das Muckerthum bei seinem Gotte;
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Und während auf den Knieen lag
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Mit Angstgeplärr der Troß der Pfaffen,
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Schliff pfeifend für den „Ehrentag“
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Der Uebermuth sich seine Waffen.
 
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So habt ihr, prahlend und verzagt
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Und mit geheucheltem Vertrauen,
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Die Nacht verjubelt und verklagt,
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Statt ernst aufs gute Recht zu bauen;
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Und während still das Dunkel wich
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Dem Tag und seiner Strahlenkrone,
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Vollzog in finstrem Schweigen sich
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Der Aufmarsch unsrer Bataillone.
 
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Vernehmlich liefen durch die Reih’n
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Geflüsterte Kommandoworte;
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Ein Jeder stand im Morgenschein
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Geschlossen am bestimmten Orte.
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Wir wußten, wo der Gegner stand,
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Und konnten nicht im Wege irren,
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Und wenn ein Laut sich hob und schwand,
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So war’s der Waffen leises Klirren.
 
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Wohl krampfte zornig sich die Hand,
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Wohl schlug das Herz in heißem Grimme,
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Doch selbst die tiefste Wallung fand
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In diesen Stunden keine Stimme,
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Und kaum ein Lächeln ward getauscht
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Von Freunden, wie ein ernstes Mahnen,
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Als leicht im Morgenwind gerauscht
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Die ehrenreichen rothen Fahnen.
 
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Ein Wink, dann ein Trompetenstoß,
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Ein Schrei des Hasses tausendstimmig –
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Und furchtbar brach das Wetter los,
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Wildschön, erhaben, aber grimmig!
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Das war kein zierlich Lanzenspiel,
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Das war ein Kampf auf Tod und Leben,
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Und wer von unsern Hieben fiel,
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Dem wurde kein Pardon gegeben.
 
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Und wie sie fielen! Links und rechts
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Brach’s wie der Sturm in ihre Glieder,
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Warf rauh die derbe Faust des Knechts
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Die zarten, seidnen Herrlein nieder.
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Der Sturm zerblies ihr Heer wie Schaum –
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Sie suchten sich umsonst zu sammeln,
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Und selbst die Frömmsten fanden kaum
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Die Zeit, ein Stoßgebet zu stammeln.
 
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Ward deinesgleichen je gesehn,
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Gewaltigste der Niederlagen?
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Um die Armada war’s geschehn,
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Bevor sie sich noch recht geschlagen;
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Und mancher prahlerische Held,
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Geziert mit Federn und mit Ketten,
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Irrt jammernd flüchtig übers Feld
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Und sucht verzweifelnd sich zu retten.
 
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Die sich gebrüstet und gebläht,
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Als ob sie Keiner jemals schlage –
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Wie Garben liegen sie gemäht
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Nach diesem großen Ehrentage,
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Und die voll Hochmuth uns gedroht,
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Daß sie uns fesselten und bänden –
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Kein Hund nimmt einen Bissen Brot
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Nach diesem Tag aus ihren Händen.
 
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Nach ihren stolzen Fahnen greift
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Die Hand des Niedrigsten und Letzten;
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Durch Blut und Koth der Wahlstatt schleift
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Er spöttisch singend die zerfetzten:
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Und was nur splitterte, nicht brach,
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Entrann nicht rächenden Geschicken,
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Denn unter dieser Last von Schmach
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Wird es wie Rohr zusammenknicken.
 
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Wir aber stehen stumm und dicht
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In Massen wieder und Kolonnen;
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Wir sind die blöden Narren nicht,
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Zu glauben, Alles sei gewonnen.
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Das große Schauspiel hat gepackt –
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Es kehrt mit einem Eisenbesen;
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Doch ist’s, ihr Herrn, der erste Akt
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Des Riesendramas nur gewesen!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (30.7 KB)

Details zum Gedicht „Der erste Akt“

Anzahl Strophen
11
Anzahl Verse
88
Anzahl Wörter
484
Entstehungsjahr
1890
Epoche
Realismus,
Naturalismus,
Moderne

Gedicht-Analyse

Das analysierte Gedicht heißt „Der erste Akt“ und wurde von Rudolf Lavant verfasst. Lavant lebte von 1844 bis 1915, was sein Werk historisch in die Epoche des Realismus einordnet. Das Gedicht macht auf den ersten Eindruck einen kraftvollen und dramatischen Eindruck, es spricht von Schlachten und Konflikten.

Der Inhalt des Gedichts handelt von einer bevorstehenden Schlacht und der Nacht, die der Auseinandersetzung vorausgeht. Es stellt ein klares Gegensatzpaar dar, zwischen dem unaufmerksam feiernden, übermütigen, aber letztlich ängstlichen Feind und dem disziplinierten lyrischen Ich bzw. seiner Armee, die in stiller Entschlossenheit auf den Ausbruch des Kampfes warten. Der entschiedene Sieg gegen das pompöse, aber letztlich schwache Heer des Gegners wird als glorreicher Triumph gefeiert, wobei jedoch immer wieder auf die Ernsthaftigkeit und Brutalität der Kämpfe hingewiesen wird. Schlussendlich wird signalisiert, dass dieser Sieg nur der Beginn ist und weitere Kämpfe folgen werden.

Die fünfzehn Strophen des Gedichts sind jeweils in acht Zeilen unterteilt, eine klare Struktur, die konträr zu dem chaotischen Verhalten der Gegner steht. Die Sprache ist bildreich und dramatisch, mit vielen Kontrasten (Nacht und Tag, Ruhe und Lärm, Angst und Selbstsicherheit), die den Unterschied zwischen den beiden beschriebenen Gruppen betonen. Der Stil wirkt zugleich erhaben und grimmig, passend zum ernsten Thema des Gedichts.

Zusammenfassend ist „Der erste Akt“ ein starkes und dramatisches Gedicht, das durch seine bildhafte Sprache und klare Struktur besticht. Es stellt den glorreichen Sieg der Disziplin und Entschlossenheit über Unachtsamkeit und Prahlerei in einem brutalen militärischen Konflikt dar und endet mit der Vorahnung auf weitere Kämpfe.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Der erste Akt“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Rudolf Lavant. Der Autor Rudolf Lavant wurde 1844 in Leipzig geboren. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1890. Erscheinungsort des Textes ist Stuttgart. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her den Epochen Realismus, Naturalismus oder Moderne zuordnen. Bei Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit der Zuordnung. Die Auswahl der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und muss daher nicht unbedingt richtig sein. Das Gedicht besteht aus 88 Versen mit insgesamt 11 Strophen und umfasst dabei 484 Worte. Die Gedichte „An die Frauen“, „An die alte Raketenkiste“ und „An unsere Feinde“ sind weitere Werke des Autors Rudolf Lavant. Zum Autor des Gedichtes „Der erste Akt“ haben wir auf abi-pur.de weitere 96 Gedichte veröffentlicht.

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Zum Autor Rudolf Lavant sind auf abi-pur.de 96 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.