Karl der Große von Johann Gottfried Herder
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»War er, deutsches Vaterland, |
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Mörder Dir oder Heiland?« |
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Vieh und Heim, das war Dein Gut, |
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Und ein freies, edles Blut. |
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Er vergoß Dein freies Blut, |
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Nahm Dir Heim und Gut und Muth, |
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Und gab Dir - ha! Affentand, |
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Den nicht Lai', nicht Pfaff verstand! |
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Gab Dir Sitte! - Knechtes Muth, |
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Demuth! träges, schleichend Blut, |
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Wie dem Wurm in Wintergruft, |
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Eh ihn Lenz und Sonne ruft. |
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Gab Dir Sitt', und löschte aus |
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Tugend, warf in Staub und Graus |
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Deine Väter! Ahnenzeit! |
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Lobgesang der Ewigkeit! |
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Deine Sprache! Sieggewinn |
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War und Kampf Dir Eins nur! Sinn |
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Und Gefühl! Kraft und Verstand! |
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Wort und Herz und Geist und Hand |
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Dir nur Eins! Der Väter Schaar, |
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Ahnen, Adel, Götter! War |
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Mann und Hermann Dir nicht Gott, |
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Vorbild, Anbild in der Noth? |
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Mann ein Mann! Die edle Braut, |
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Kind und Heimath ihr vertraut, |
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Tochter Freia's! Ha, sie trat, |
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Eine Mana, in den Rath |
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Der Erkürer! Ha, da sang |
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Barde seinen Lobgesang |
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Lauter! Schwester Mana lacht |
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Lieblicher in ihrer Pracht |
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Auf der Schwester Angesicht |
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Nieder! schön und keusch! das Licht |
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Geht dem Barden auf! - Ach, ab |
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Bard' und Braut und Mann, ins Grab |
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Sind sie All' ersunken. - Noch |
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Will der Mörder Sterbhauch doch |
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Retten! - Nicht! - der Bardeklang |
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Wandelt! wird ihm Fluchgesang! |
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Fluch ihm! - Mörder war nicht werth, |
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Sie zu retten! Mörder fährt |
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Selbst hinnach, und all sein Reich |
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Wird, wie Deutschland, Wüste gleich! |
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Fromm und kahl und feist und Kind |
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Waren seine Söhne! sind |
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Alle würdelos! ihr Thron |
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Taumelt! und dort ahnt sie schon |
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Rache! Dort auf Meeres Sand |
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Nordens Deutsche! Vaterland |
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Athmet Rache! Väterblut, |
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Ha, die schwarze große Fluth |
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Brauset! seufzet! - Gottes Buch |
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Ist erfüllt! - der Völkerfluch |
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Trifft! - da schreiet Deutschlands Blut, |
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Und sie tanzen hin die Fluth |
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Ihrer Rach'. Und unterthan |
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Ist schon All's dem Heuchlerbann: |
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Was auf Deutschland sie verhängt, |
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Hat sie nun hinunterdrängt, |
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Jammern! sterben! - Vaterland |
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Ist gerächt! - Ach, aber Land! |
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Oder Sund nur, Inselnschaar! |
64 |
Giebt Dir das, was Dir einst war? |
Details zum Gedicht „Karl der Große“
Johann Gottfried Herder
16
64
329
1770
Sturm & Drang,
Klassik
Gedicht-Analyse
Das vorliegende Gedicht ist von Johann Gottfried Herder und wurde während des 18. Jahrhunderts geschrieben, einer Zeit in der die Aufklärung und das Zeitalter der Romantik Wissenschaft, Gesellschaft und Kunst in Europa stark beeinflussten.
Auf den ersten Eindruck scheint das Gedicht eine historische Betrachtung und Kritik an der Herrschaft Karls des Großen sowie das damit verbundene Erbe zu liefern.
Inhaltlich hinterfragt das lyrische Ich das historische Bild von Karl dem Großen. Dieser wird teilweise als „Mörder“ bezeichnet, der das „freie Blut“ des deutschen Volkes vergossen und ihnen ihr Heim und Gut genommen hat. Dabei scheint das lyrische Ich nicht nur auf die militärischen Auseinandersetzungen zu verweisen, sondern insbesondere auf die kulturellen Veränderungen, die mit der Herrschaft Karls des Großen einhergingen. So kritisiert es, dass er ihnen „ha! Affentand“ gab, den weder ein Laie noch ein Pfaffe versteht, und ihre „Sitt' und Tugend“ auslöschte. Das lyrische Ich beklagt auch den Verlust der deutschen Sprache und das Ende der Epoche der Väter („Ahnenzeit“), die durch Stärke und einen starken Willen (Sieg und Kampf) geprägt war.
In der Form fällt das Gedicht durch seine strenge Symmetrie mit jeweils vier Versen pro Strophe auf. Die Sprache ist stark rhetorisch und ausdrucksstark, mit vielen Ausrufen und harten Kontrasten („Mörder oder Heiland?“). Das lyrische Ich macht frequent Gebrauch von starken, gefühlvollen und teils aggressiven Ausdrücken, was die Emotionen und Leidenschaftlichkeit hinter seinen Worten deutlich macht.
Zusammenfassend ist Herders Gedicht „Karl der Große“ eine starke Kritik an der Herrschaft Karls und der damit verbundenen Umwälzungen, insbesondere in Bezug auf die deutsche Kultur und Identität. Es drückt eine tief empfundene Trauer und Wut über den Verlust des „alten“ Deutschlands aus und hinterfragt gleichzeitig das historische Bild von Karl dem Großen als „Heiland“.
Weitere Informationen
Der Autor des Gedichtes „Karl der Große“ ist Johann Gottfried Herder. Der Autor Johann Gottfried Herder wurde 1744 in Mohrungen (Ostpreußen) geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1770 zurück. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text den Epochen Sturm & Drang oder Klassik zugeordnet werden. Herder ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.
Zwischen den Epochen Empfindsamkeit und Klassik lässt sich in den Jahren zwischen 1765 und 1790 die Strömung Sturm und Drang einordnen. Geniezeit oder zeitgenössische Genieperiode sind häufige Bezeichnungen für diese Literaturepoche. Die wesentlichen Merkmale des Sturm und Drang lassen sich als ein Auflehnen oder Rebellieren gegen die Epoche der Aufklärung zusammenfassen. Das philosophische und literarische Leben in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und die Literatur sollten dadurch maßgeblich beeinflusst werden. Bei den Schriftstellern handelte es sich meist um Autoren jüngeren Alters. Meist waren die Vertreter unter 30 Jahre alt. Die Autoren versuchten in den Dichtungen eine geeignete Sprache zu finden, um die subjektiven Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen. Die Nachahmung und Idealisierung von Autoren aus vergangenen Epochen wie dem Barock wurde abgelehnt. Die traditionellen Werke wurden dennoch geschätzt und dienten als Inspiration. Es wurde eine eigene Jugendkultur und Jugendsprache mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Wiederholungen und Halbsätzen geschaffen. Mit der Hinwendung Goethes und Schillers zur Weimarer Klassik endete der Sturm und Drang.
Zwei sich deutlich unterscheidende Anschauungen hatten das 18. Jahrhundert bewegt: die Aufklärung und eine gefühlsbetonte Strömung, die durch den Sturm und Drang vertreten wurde. Die Weimarer Klassik ist eine Verschmelzung dieser beiden Elemente. Die Weimarer Klassik nahm ihren Anfang mit Goethes Italienreise im Jahr 1786 und endete mit Goethes Tod im Jahr 1832. Literarisches Zentrum und Ausgangspunkt der Weimarer Klassik (kurz auch oftmals einfach nur Klassik genannt) war Weimar. In Anlehnung an das antike Kunstideal wurde in der Weimarer Klassik nach Harmonie, Vollkommenheit, Humanität und der Übereinstimmung von Inhalt und Form gesucht. In der Lyrik haben die Dichter auf Stil- und Gestaltungsmittel aus der Antike zurückgegriffen. So war beispielsweise die streng an formale Kriterien gebundene Ode besonders populär. Außerdem verwendeten die Autoren jener Zeit eine pathetische, gehobene Sprache. Goethe, Schiller, Herder und Wieland bildeten das „Viergestirn“ der Klassik. Es gab natürlich auch noch andere Autoren, die typische Werke veröffentlichten, doch niemand übertraf die Fülle und die Popularität dieser vier Autoren.
Das vorliegende Gedicht umfasst 329 Wörter. Es baut sich aus 16 Strophen auf und besteht aus 64 Versen. Johann Gottfried Herder ist auch der Autor für Gedichte wie „Amor und Psyche“, „An Auroren“ und „An den Schlaf“. Zum Autor des Gedichtes „Karl der Große“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 413 Gedichte vor.
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