Die Dämmerung des Lebens von Johann Gottfried Herder

O Du, den nur die Lilienwange,
Den nur ein Rosenmund entzückt,
Der sehnend auf zur Morgenröthe
In der Geliebten Auge blickt,
O Freund, die Morgenröthe steigt
Und neiget sich zur Abendröthe,
Und Lilie und Ros' erbleicht.
 
Was aber bleibt Dir, das mit Wonne
Sich auch auf blasser Wange malt?
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Was Dir auch in des Lebens Dämmrung
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Mit schönrem Himmelsglanze strahlt?
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Du schweigest? Freund, ein gutes Herz!
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Mitleidend wird es uns ein Engel,
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Erscheint als Engel uns im Schmerz.
 
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Die Rosen hat er Erdenblumen
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Gelassen, hat ihn abgelegt,
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Den Strahlenschmuck, die Sonnenblicke,
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Den Kranz, den er dort oben trägt;
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Er kommt im Thränenschmuck und spricht:
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»Die Dämmerung wird Morgenröthe!
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Freund, weine, doch verzage nicht!«
Arbeitsblatt zum Gedicht
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Details zum Gedicht „Die Dämmerung des Lebens“

Anzahl Strophen
3
Anzahl Verse
21
Anzahl Wörter
113
Entstehungsjahr
1771
Epoche
Sturm & Drang,
Klassik

Gedicht-Analyse

Der Autor des Gedichts ist Johann Gottfried Herder, ein bedeutender Philosoph, Theologe und Dichter der Epoche der Aufklärung. Er lebte von 1744 bis 1803, das Gedicht ist daher vermutlich im ausgehenden 18. oder frühen 19. Jahrhundert entstanden.

Auf den ersten Eindruck wirkt das Gedicht melancholisch und nachdenklich. Es scheint einen WiIden, ursprünglich leuchtenden Eindruck darzustellen, jemanden, der vom Leben und von seiner Schönheit entzückt ist, aber auch die Realität von Vergänglichkeit und Veränderung anerkennt.

Das lyrische Ich richtet seine Worte an einen Freund, vermutlich an eine fiktive Person, die die Jugend und Leidenschaft verkörpern könnte. Im ersten Abschnitt des Gedichts bespricht das lyrische Ich die Schönheit der Jugend und Frische, dargestellt durch Symbole wie Morgendämmerung, Rosen und Lilien. In der zweiten Strophe wird dann die bleichere Wange, die Lebensdämmerung und der Himmelsglanz erwähnt, die auf das fortschreitende Alter und den Verlust der früheren Vitalität hinweisen könnten. Während die äußere Schönheit nachlässt, bleibt jedoch ein gutes Herz erhalten, das Mitgefühl zeigt und Engelscharakter im Schmerz annimmt. Im letzten Abschnitt bestätigt das Gedicht eine Hoffnung trotz des Alters und der Tränen: die Dämmerung wird zur Morgendämmerung, was bedeutet, dass das Ende auch einen neuen Anfang beinhaltet.

Das Gedicht folgt einer klaren Versstruktur. Jede der drei Strophen besteht aus sieben Versen. Die verwendete Sprache ist bildreich und symbolisch, mit starkem Gebrauch von Naturbildern und Farben, die Stimmungen und Lebensphasen darstellen. Worte wie „Morgenröthe“, „Abendröthe“, „Lilie“, „Ros'“ und „Engel“ sind gefüllt mit metaphorischen Bedeutungen.

Im Gesamten gesehen ist „Die Dämmerung des Lebens“ ein Gedicht, das sowohl auf die Vergänglichkeit des Lebens als auch auf das fortbestehende Potential für Schönheit und Erneuerung hinweist. Besonders erinnert es daran, dass trotz körperlichen Alterungsprozessen, das Herz nicht altern muss und Mitgefühl und Liebe fortbestehen können. Herders Gedicht ist somit ein feines und poetisches Gleichnis auf das Altern und das menschliche Herz.

Weitere Informationen

Johann Gottfried Herder ist der Autor des Gedichtes „Die Dämmerung des Lebens“. Geboren wurde Herder im Jahr 1744 in Mohrungen (Ostpreußen). 1771 ist das Gedicht entstanden. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Sturm & Drang oder Klassik kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Der Schriftsteller Herder ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.

Die Epoche des Sturm und Drang reicht zeitlich etwa von 1765 bis 1790. Sie ist eine Strömung innerhalb der Aufklärung (1720–1790) und überschneidet sich teilweise mit der Epoche der Empfindsamkeit (1740–1790) und ihren Merkmalen. Häufig wird der Sturm und Drang auch als Genieperiode oder Geniezeit bezeichnet. Die Klassik knüpft an die Literaturepoche des Sturm und Drang an. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts dominierte der Geist der Aufklärung das literarische und philosophische Denken im deutschen Sprachraum. Der Sturm und Drang „stürmte“ und „drängte“ als Protest- und Jugendbewegung gegen diese aufklärerischen Ideale. Ein wesentliches Merkmal des Sturm und Drang ist somit ein Auflehnen gegen die Epoche der Aufklärung. Die Schriftsteller des Sturm und Drang waren zumeist junge Autoren, häufig unter 30 Jahre alt. In den Gedichten wurde darauf geachtet eine geeignete Sprache zu finden, um die subjektiven Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen. Die alten Werke vorheriger Epochen wurden geschätzt und dienten als Inspiration. Aber dennoch wurde eine eigene Jugendkultur und Jugendsprache mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Wiederholungen und Halbsätzen geschaffen. Die Epoche des Sturm und Drang endete mit der Hinwendung Schillers und Goethes zur Weimarer Klassik.

Die Literaturepoche der Klassik beginnt nach herrschender Auffassung mit der Italienreise Goethes, die er im Jahr 1786 im Alter von 36 Jahren machte. Das Ende der Epoche wird auf 1832 datiert. In der Klassik wurde die Literatur durch Einflüsse der Französischen Revolution, die ziemlich zu Beginn der Epoche stattfand, entscheidend geprägt. In der Französischen Revolution setzten sich die Menschen dafür ein, dass für alle die gleichen Rechte gelten sollten. Wie der Name bereits verrät, liegen das literarische Zentrum und der Ausgangspunkt der Weimarer Klassik, die auch kurz Klassik genannt wird, in Weimar. Zum Teil wird auch Jena als ein weiteres Zentrum der Literaturepoche angesehen. In Anlehnung an das antike Kunstideal wurde in der Klassik nach Vollkommenheit, Harmonie, Humanität und der Übereinstimmung von Form und Inhalt gesucht. In der Weimarer Klassik wird eine einheitliche, geordnete Sprache verwendet. Allgemeingültige, kurze Aussagen (Sentenzen) sind oftmals in Werken der Weimarer Klassik zu finden. Da man die Menschen früher mit der Kunst und somit auch mit der Literatur erziehen wollte, legte man großen Wert auf Stabilität und formale Ordnung. Metrische Ausnahmen befinden sich oftmals an Stellen, die hervorgehoben werden sollen. Schiller, Goethe, Herder und Wieland können als die Hauptvertreter der Klassik bezeichnet werden. Aber nur Schiller und Goethe inspirierten und motivierten einander durch enge Zusammenarbeit und wechselseitige Kritik.

Das Gedicht besteht aus 21 Versen mit insgesamt 3 Strophen und umfasst dabei 113 Worte. Die Gedichte „Apollo“, „Bilder und Träume“ und „Das Flüchtigste“ sind weitere Werke des Autors Johann Gottfried Herder. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Die Dämmerung des Lebens“ weitere 413 Gedichte vor.

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