Der bleiche, herbstliche Halbmond von Heinrich Heine

Der bleiche, herbstliche Halbmond
Lugt aus den Wolken heraus;
Ganz einsam liegt auf dem Kirchhof’
Das stille Pfarrerhaus.
 
Die Mutter liest in der Bibel,
Der Sohn, der starret in’s Licht,
Schlaftrunken dehnt sich die ält’re,
Die jüngere Tochter spricht:
 
Ach Gott! wie Einem die Tage
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Langweilig hier vergeh’n;
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Nur wenn sie Einen begraben,
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Bekommen wir etwas zu sehn.
 
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Die Mutter spricht zwischen dem Lesen:
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Du irrst, es starben nur Vier,
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Seit man deinen Vater begraben,
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Dort an der Kirchhofsthür’.
 
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Die ält’re Tochter gähnet:
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Ich will nicht verhungern bei Euch,
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Ich gehe morgen zum Grafen,
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Und der ist verliebt und reich.
 
21 
Der Sohn bricht aus in Lachen:
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Drei Jäger zechen im Stern,
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Die machen Gold und lehren
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Mir das Geheimniß gern.
 
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Die Mutter wirft ihm die Bibel
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In’s mag’re Gesicht hinein:
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So willst du, Gottverfluchter,
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Ein Straßenräuber seyn!
 
29 
Sie hören pochen an’s Fenster,
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Und sehn eine winkende Hand;
31 
Der todte Vater steht draußen
32 
Im schwarzen Pred’gergewand.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.3 KB)

Details zum Gedicht „Der bleiche, herbstliche Halbmond“

Anzahl Strophen
8
Anzahl Verse
32
Anzahl Wörter
163
Entstehungsjahr
1823–1824
Epoche
Junges Deutschland & Vormärz

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Der bleiche, herbstliche Halbmond“ stammt aus der Feder des deutschen Dichters und Schriftstellers Heinrich Heine, der von 1797 bis 1856 lebte. Er gilt als einer der bedeutendsten deutschen Lyriker des 19. Jahrhunderts, womit das vorliegende Gedicht zeitlich in diese Epoche einzuordnen ist.

Beim ersten Lesen fällt auf, dass das Gedicht eine melancholische, beinahe düstere Atmosphäre vermittelt. Es handelt von einer Familie, die in einem stillen Pfarrhaus auf einem Kirchhof lebt. Die Mutter ist in die Bibel vertieft, während ihre Kinder in ihre eigenen Gedanken abdriften und sich nach anderen Lebensmöglichkeiten sehnen. Die ältere Tochter beklagt sich über die Langeweile ihres Alltags und überlegt, sich einem reichen Grafen hinzugeben. Der Sohn hingegen denkt ans Goldmachen und straßenräuberisches Leben. Er wird von der Mutter dafür getadelt und als „Gottverfluchter“ bezeichnet.

Die Sprache des Gedichts ist klar und einfach, und Heine verwendet weder Reime noch ein festes Metrum. Stattdessen setzt er auf den Kontrast zwischen dem geistigen und dem weltlichen Leben, der in den Zeilen klar hervortritt. Insgesamt acht Strophen, jede mit vier Versen, geben dem Gedicht eine einheitliche Struktur und Ordnung.

Betrachtet man die Aussagen des lyrischen Ichs, so lässt sich das zentrale Thema des Gedichts als der Konflikt zwischen gewünschter und tatsächlicher Lebensrealität interpretieren. Es spiegelt die Unzufriedenheit und das Verlangen nach Veränderung wider. Gleichzeitig bietet es einen Einblick in die unterschiedlichen Lebensperspektiven und Werte der einzelnen Mitglieder der Familie.

Die Erscheinung des toten Vaters in der letzten Strophe könnte als mahnende Erinnerung an die Sterblichkeit und die Vergänglichkeit weltlicher Freuden gesehen werden. Es könnte auch eine Erinnerung an vergangene Zeiten und die Härte des Lebens sein, die die Familie durchlebt hat.

Insgesamt bietet Heinrich Heines Gedicht „Der bleiche, herbstliche Halbmond“ eine tiefgehende Reflexion über Wunsch und Wirklichkeit und das Ringen um das richtige Leben.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Der bleiche, herbstliche Halbmond“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Heinrich Heine. Geboren wurde Heine im Jahr 1797 in Düsseldorf. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1824 zurück. Der Erscheinungsort ist Hamburg. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her der Epoche Junges Deutschland & Vormärz zuordnen. Bei Heine handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das 163 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 32 Versen mit insgesamt 8 Strophen. Weitere Werke des Dichters Heinrich Heine sind „Ach, ich sehne mich nach Thränen“, „Ach, wenn ich nur der Schemel wär’“ und „Ahnung“. Zum Autor des Gedichtes „Der bleiche, herbstliche Halbmond“ haben wir auf abi-pur.de weitere 535 Gedichte veröffentlicht.

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