Eine feine, glatte Maus von Johann Gottfried Herder

Eine feine, glatte Maus
Suchte sich in stolzer Jugend
Eine Braut aus.
Und wie jeder Freier begann,
Fing sie hoch an:
»Meine Braut, sie sei von Tugend,
Schöne, Wärme, Wonne!
Kurz, sie sei die Jungfrau - Sonne!«
Eine Weile blieb sie stehn.
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»Hör es, hohe Jungfrau Sonne!
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Doch sie will es nicht verstehn,
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Ist so stolz, hm! und so warm
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Dünkt mich ihr im Arm.
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Laß sie! ich will weiter gehn.
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Die eben dort vorüberzieht
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Und ebenso wie ich die stolze Sonne flieht
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Und, wie ich merke, selbst die Sonne dämpft
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Und mit ihr kämpft
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Sei, hohe Wolke, mir zur Braut
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In Deinem Schooß vertraut!«
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Die Wolke öffnet' ihren Schooß
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Und regnete drauf los.
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»Die hohe Braut ist naß,
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Ein leckes Faß!«
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Kurz, die klug gewaschne Maus
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Ging in ihr Loch
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Und sucht' sich eine Mäusin aus
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Und hat sie noch.
 
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Laßt ihn nur, den Brausewind!
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Er wird werden, was wir sind.
 
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Kein Herr Student
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Thut's minder als auf Präsident,
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Auf Leibarzt oder Suprint'dent;
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Zuletzt wird er wo Küster
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Oder Philister.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.2 KB)

Details zum Gedicht „Eine feine, glatte Maus“

Anzahl Strophen
3
Anzahl Verse
35
Anzahl Wörter
171
Entstehungsjahr
1744 - 1803
Epoche
Sturm & Drang,
Klassik

Gedicht-Analyse

Dieses Gedicht, „Eine feine, glatte Maus“, stammt von Johann Gottfried Herder, einem deutschen Dichter, Theologen und Philosophen, der im 18. Jahrhundert lebte. Bei dem ersten Eindruck entsteht ein humorvolles, etwas ironisches Bild.

Im Grunde geht es in dem Gedicht um eine Maus, die sich nach einer würdigen Braut umsieht. Sie ist jung und stolz und sucht in ihrer Überheblichkeit zunächst eine Braut, die der Sonne gleichkommt - also groß, stark und leuchtend. Als sie erkennt, dass die Sonne zu warm und mächtig für sie ist, entdeckt sie eine Wolke, von der sie glaubt, dass diese ihr besser passen würde. Doch die Wolke entpuppt sich als unberechenbar und regnet auf sie herab. Schließlich gibt sich die Maus mit einer gleichartigen Mäusin zufrieden, ihrer eigentlichen Standesgemäßen.

Herder greift hier ein Bild aus der Tierwelt auf, um menschliche Verhaltensweisen und Erwartungen darzustellen. Es ist eine Parabel auf Überheblichkeit und Realitätsverlust. Die Maus symbolisiert das lyrische Ich, das zunächst hohe Ambitionen hat und dann - im wahrsten Sinne des Wortes - eine kalte Dusche erlebt. Im letzten Teil des Gedichts gibt es noch eine Weiterführung der Geschichte, bei der die Maus als Beispiel für menschliche Hochmut und Selbstüberschätzung dient – und die Konsequenzen daraus.

Im Hinblick auf die Form ist das Gedicht in drei Strophen mit unterschiedlich vielen Versen gegliedert. Auffällig ist die einfache, leicht verständliche Sprache, gepaart mit bildreichen Metaphern und Ironie. Der Reim ist sehr variabel und folgt keinem eindeutigen Schema, was das Gedicht lebendig und unvorhersehbar macht – ganz so, wie das Leben und die Entwicklung des lyrischen Ichs selbst.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Eine feine, glatte Maus“ des Autors Johann Gottfried Herder. Herder wurde im Jahr 1744 in Mohrungen (Ostpreußen) geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1760 und 1803. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Sturm & Drang oder Klassik kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Der Schriftsteller Herder ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.

Der Sturm und Drang reicht zeitlich etwa von 1765 bis 1790. Sie ist eine Strömung innerhalb der Aufklärung (1720–1790) und überschneidet sich teilweise mit der Epoche der Empfindsamkeit (1740–1790) und ihren Merkmalen. Häufig wird die Epoche des Sturm und Drang auch als Geniezeit oder Genieperiode bezeichnet. Die Klassik knüpft an die Literaturepoche des Sturm und Drang an. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts dominierte der Geist der Aufklärung das philosophische und literarische Denken in Deutschland. Der Sturm und Drang kann als eine Jugend- und Protestbewegung gegen diese aufklärerischen Ideale verstanden werden. Das Rebellieren gegen die Epoche der Aufklärung brachte die wesentlichen Merkmale dieser Epoche hervor. Die Autoren der Epoche des Sturm und Drangs waren häufig unter 30 Jahre alt. Die Schriftsteller versuchten in den Gedichten eine geeignete Sprache zu finden, um die persönlichen Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen. Es wurde eine eigene Jugendsprache und Jugendkultur mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Halbsätzen und Wiederholungen geschaffen. Die traditionellen Werke vorangegangener Epochen wurden geschätzt und dienten als Inspiration. Mit seinen beiden bedeutenden Vertretern Goethe und Schiller entwickelte sich der Sturm und Drang weiter und ging in die Weimarer Klassik über.

Die Literaturepoche der Klassik beginnt nach herrschender Auffassung mit der Italienreise Goethes, die er 1786 im Alter von 36 Jahren machte. Das Ende der Epoche wird auf 1832 datiert. In der Klassik wurde die Literatur durch Auswirkungen der Französischen Revolution, die ziemlich zu Beginn der Epoche stattfand, entscheidend geprägt. In der Französischen Revolution setzten sich die Menschen dafür ein, dass für alle die gleichen Rechte gelten sollten. Wie der Name bereits verrät, liegen das literarische Zentrum und der Ausgangspunkt der Weimarer Klassik, die auch kurz Klassik genannt wird, in Weimar. Teilweise wird auch Jena als ein weiteres Zentrum dieser Literaturepoche angesehen. Die Klassik orientiert sich an traditionellen Vorbildern aus der Antike. Sie strebt nach Harmonie ganz im Gegensatz zur Epoche der Aufklärung und des Sturm und Drangs. In der Gestaltung wurde das Gesetzmäßige, Wesentliche, Gültige sowie die Harmonie und der Ausgleich gesucht. Im Gegensatz zum Sturm und Drang, wo die Sprache oft derb und roh ist, bleibt die Sprache in der Klassik den sich selbst gesetzten Regeln treu. Goethe, Schiller, Wieland und Herder bildeten das „Viergestirn“ der Weimarer Klassik. Es gab natürlich auch noch weitere Autoren, die typische Werke veröffentlichten, doch niemand übertraf die Fülle und die Popularität dieser vier Autoren.

Das vorliegende Gedicht umfasst 171 Wörter. Es baut sich aus 3 Strophen auf und besteht aus 35 Versen. Weitere Werke des Dichters Johann Gottfried Herder sind „An die Freundschaft“, „Apollo“ und „Bilder und Träume“. Zum Autor des Gedichtes „Eine feine, glatte Maus“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 413 Gedichte vor.

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