Der Fuchs hatt seinen Schwanz verloren von Johann Gottfried Herder

Der Fuchs hatt' seinen Schwanz verloren.
»Hört!« fing er an vor allen Ohren,
»Ihr Brüder, hört, was soll der Schwanz?
Bin ich ohn' ihn nicht ganz?
Seht mich an! sehet Ihr?«
»Ja, freilich sehen wir,
Du kluges Thier,
Woran es Dir gebricht;
Sonst riethest Du's auch nicht!«
 
10 
Gehört zur Fabel Poesie?
11 
»Nein! denn mir fehlet die.«
12 
Gehört zur Fabel Witz?
13 
»Ja! denn die mein' ist spitz.«
Arbeitsblatt zum Gedicht
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Details zum Gedicht „Der Fuchs hatt seinen Schwanz verloren“

Anzahl Strophen
2
Anzahl Verse
13
Anzahl Wörter
66
Entstehungsjahr
1744 - 1803
Epoche
Sturm & Drang,
Klassik

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht „Der Fuchs hatt' seinen Schwanz verloren“ wurde von Johann Gottfried Herder verfasst, einem deutschen Dichter, Übersetzer und Theologen, der im Zeitalter der Aufklärung und der beginnenden Weimarer Klassik aktiv war (1744-1803).

Auf den ersten Blick scheint es sich bei dem Gedicht um eine Fabel zu handeln, in der eine moralische Geschichte durch tierische Protagonisten erzählt wird: Ein Fuchs verliert seinen Schwanz und versucht, seine Mitgeschöpfe davon zu überzeugen, dass dieser Verlust keine Beeinträchtigung darstellt.

Inhaltlich geht es darum, dass der Fuchs seinen Schwanz verloren hat und vor seinen „Brüdern“ versucht, den Verlust herunterzuspielen, indem er die Wichtigkeit des Schwanzes in Frage stellt und sie dazu auffordert, ihn anzusehen und zu beurteilen, ob sie einen Mangel erkennen können. Die anderen Tiere antworten, dass sie den Verlust bemerken und dass der Fuchs ihnen den Mangel wohl nicht erwähnt hätte, wenn er für ihn bedeutungslos wäre. Im zweiten Teil des Gedichts stellt der Fuchs die Frage, ob Poesie und Witz zur Fabel gehören und beantwortet sie selbst, indem er die Fehlbarkeit der Poesie in einer Fabel gesteht und beteuert, dass sein Witz jedoch spitz ist.

Das lyrische Ich – der Fuchs – versucht vermutlich, eine verlorengegangene Fähigkeit oder Rolle zu kompensieren, indem er ihre Bedeutung für sein Selbstwertgefühl infrage stellt und gleichzeitig seine positiven Merkmale betont. Dabei wird auch eine Selbsttäuschung oder eine Täuschung der anderen angedeutet, wenn der Fuchs behauptet, der Verlust sei irrelevant.

Das Gedicht hat eine klare und direkte Sprache mit einfachen, verständlichen Worten. Trotz seiner Kürze ermöglicht es Herders Gebrauch von Dialogen und direkten Ansprachen zwischen den Figuren, eine komplexe psychologische Situation zu schaffen. Darüber hinaus verwendete der Autor das Reimschema AABB, wobei jede Strophe eine eigenständige Einheit bildet. Die Anzahl der Silben pro Vers variiert, was den lesenden Fluss des Gedichts unregelmäßig macht. Diese formelle Struktur unterstützt die Präsentation des Fuchses als trickreicher, gewitzter Charakter.

Zusammenfassend geht es in Herders Gedicht um Selbstwahrnehmung und Selbsttäuschung, wobei der Fuchs als Symbol für die menschliche Fähigkeit verwendet wird, seine Schwächen zu verbergen und seine Stärken hervorzuheben. Dabei offenbart sich auch eine Kritik an der Fähigkeit des Menschen, sich und anderen eine geschönte Version der Wirklichkeit zu präsentieren.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Der Fuchs hatt seinen Schwanz verloren“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Johann Gottfried Herder. 1744 wurde Herder in Mohrungen (Ostpreußen) geboren. In der Zeit von 1760 bis 1803 ist das Gedicht entstanden. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her den Epochen Sturm & Drang oder Klassik zuordnen. Der Schriftsteller Herder ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.

Der Sturm und Drang (häufig auch Geniezeit oder Genieperiode genannt) ist eine literarische Epoche, welche zwischen 1765 und 1790 existierte und an die Empfindsamkeit anknüpfte. Später ging sie in die Klassik über. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts dominierte der Geist der Aufklärung das philosophische und literarische Denken in Deutschland. Der Sturm und Drang kann als eine Protest- und Jugendbewegung gegen diese aufklärerischen Ideale verstanden werden. Das Rebellieren gegen die Epoche der Aufklärung brachte die wesentlichen Merkmale dieser Epoche hervor. Bei den Vertretern der Epoche des Sturm und Drang handelte es sich vorwiegend um Schriftsteller jüngeren Alters. Um die subjektiven Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen, wurde besonders darauf geachtet eine geeignete Sprache zu finden und in den Gedichten einzusetzen. Die Nachahmung und Idealisierung von Künstlern aus vergangenen Epochen wie dem Barock wurde abgelehnt. Die traditionellen Werke wurden dennoch geschätzt und dienten als Inspiration. Es wurde eine eigene Jugendkultur und Jugendsprache mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Wiederholungen und Halbsätzen geschaffen. Mit seinen beiden wichtigen Vertretern Schiller und Goethe entwickelte sich der Sturm und Drang weiter und ging in die Weimarer Klassik über.

Zeitlich lässt sich die Weimarer Klassik mit Goethes Italienreise im Jahr 1786 und mit Goethes Tod 1832 eingrenzen. Zwei gegensätzliche Anschauungen hatten das 18. Jahrhundert bewegt. Die Aufklärung und die gefühlsbetonte Strömung Sturm und Drang. Die Weimarer Klassik ist eine Synthese dieser beiden Elemente. Das Zentrum der Weimarer Klassik lag in Weimar. Häufig wird die Epoche auch nur als Klassik bezeichnet. In Anlehnung an das antike Kunstideal wurde in der Klassik nach Vollkommenheit, Harmonie, Humanität und der Übereinstimmung von Form und Inhalt gesucht. In der Gestaltung wurde das Wesentliche, Gültige, Gesetzmäßige aber auch der Ausgleich und die Harmonie gesucht. Im Gegensatz zum Sturm und Drang, wo die Sprache oft derb und roh ist, bleibt die Sprache in der Weimarer Klassik den sich selbst gesetzten Regeln treu. Die berühmtesten Schriftsteller der Weimarer Klassik sind: Friedrich Schiller, Johann Wolfgang von Goethe, Johann Gottfried von Herder und Christoph Martin Wieland.

Das Gedicht besteht aus 13 Versen mit insgesamt 2 Strophen und umfasst dabei 66 Worte. Johann Gottfried Herder ist auch der Autor für Gedichte wie „Das Kind der Sorge“, „Das Orakel“ und „Das Ross aus dem Berge“. Zum Autor des Gedichtes „Der Fuchs hatt seinen Schwanz verloren“ haben wir auf abi-pur.de weitere 413 Gedichte veröffentlicht.

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